SEGELN Heft 4 1984
Detlef Jens: Der sanfte Hochseesegler
Der sanfte Hochseesegler – so könnte man Erich Wilts aus Leer beschreiben, der nicht nur etliche Seemeilen auf dem Buckel hat und im letzten Jahr Schlimmbachpreisträger war, sondern der sich auch Gedanken um die zwischenmenschlichen Beziehungen auf langen Törns macht. Detlef Jens führte mit ihm ein Gespräch über diese Probleme und über Wilts‘ Einstellung zur Seesegelei, die mitunter nachdenklich stimmt.
Erich Wilts ist ein Mann, der sich mit Leib und Seele der Fahrtensegelei, oder, noch genauer, der Hochseesegelei verschrieben hat. Und er hat obendrein das Glück, mit einer Frau verheiratet zu sein, die dieses zeit- und geldraubende Hobby nicht nur toleriert, sondern vielmehr aktiv teilt. Nun betätigte sich Heide Wilts auch noch als Schriftstellerin: In diesen Tagen erscheint ihr Buch „Weit im Norden liegt Kap Hoorn“ (Delius Klasing Verlag, 29,80 DM), in dem sie eine außergewöhnliche Reise beschreibt, die ihr Mann ganz, und sie selbst größtenteils mitgesegelt hat.
Für diese Reise erhielt Erich Wilts als Skipper übrigens im vergangenen Jahr den Kronenkompaß. Mit einer modifizierten Hydra, einem 15 Meter langen Kielschwerter, segelte er in Etappen und mit wechselnden Crews einmal rund um Südamerika. Die Route führte von Leer, seinem Heimatort, über den spanischen Hafen Bayona nach Gran Canaria, von dort aus Uber die Kapverden nach Salvador in Brasilien und von hier über Rio nach Montevideo. Hier begann der spektakulärste Abschnitt der Reise, denn nach einem Besuch der Falkland-Inseln machte die Crew um Erich Wilts zunächst einen Abstecher in die Antarktis, bis heran an die Antarktische Halbinsel, und dann erst zum Falschen Kap Hoorn. Von hier ging es über Puerto Natales nach Estrecho Nelson und über Ancud und Robinson Crusoe Island nach Lima. Von Lima aus schließlich, wurde die Umrundung des Kontinents über Galapagos und durch den Panama-Kanal vollendet, und dann ging es über Nassau, Bermudas, Azoren und Quessant zurück nach Leer.
Eine derartige Reise führt man nur als erfahrener Hochseesegler durch, der weiß, worauf er sich da einläßt.
Erich Wilts, der 1942 in Lübeck geboren wurde, segelt bereits seit seiner Studienzeit in Hamburg Touren und Langfahrten über See; von 1962 bis 1967 als Crewmitglied und später, ab 1968, auch als Wachführer auf der alten „Ortac“. Seit 1976 schließlich segelte der selbständige Kaufmann bereits diverse Langfahrten auf einem eigenen Schiff.
Erich Wilts hat unter vielen Skippern und mit vielen verschiedenen Leuten zusammen gesegelt, bevor er auch Törns mit seiner Frau alleine unternahm. Seit einem Jahr sitzt er im Vergabe-Ausschuß des Schlimbachpreises, und auf der diesjährigen Preisverleihung in Kiel (SEGELN 3/83, Seite 58) teilte er sich, entgegen aller Tradition, mit einem seiner Crewmitglieder eine Rede, in der die beiden Segler auch die Frage nach der Funktion des Skippers an Bord aufwarfen und sich Gedanken um das Zusammenleben einer Mannschaft auf See machten. Eine bemerkenswerte Rede, die uns dazu veranlaßte, mit Erich Wilts einmal ein ausführliches Gespräch über dieses Thema, über die Erfahrungen, die er auf seiner Südamerikareise gemacht hat und über das Seesegeln generell zu führen.
SEGELN: Anläßlich der Schlimbach-Preisverleihunghielten Sie ja eine recht bemerkenswerte Rede, in der es sich um die Problematik und die Funktion des Skippers an Bord einer Hochseeyacht drehte. Wie waren eigentlich Ihre Erfahrungen auf Ihrer Südamerikareise als Skipper verschiedener Mannschaften auf den einzelnen Etappen?
WILTS: Die Rede hatte mit dem Reiseverlauf selbst eigentlich weniger zu tun. Aber gerade weil die Teilstrecken, die mit starker Crew gesegelt werden, so problemlos und harmonisch verliefen, tauchte abschließend die Frage auf, ob man nicht so gut eingespielt sei, daß man auf einen Skipper verzichten kann.
SEGELN: Kann man das tatsächlich?
WILTS: Kann man nicht, und das ist auch die Meinung meiner Freunde und Mitsegler. Allerdings ist klar, daß auf einer Tour die Person des Skippers durchaus wechseln kann, genauso wie auf den einzelnen Abschnitten der Reise die Position des Wachführers mal von dem einen und mal von dem anderen ausgefüllt wurde.
SEGELN: Kann es denn eine Demokratie an Bord geben?
WILTS: Es ist kein Zeichen von Schwäche, wenn der Skipper die Crew in möglichst viele Entscheidungen mit einbezieht, und sogar einige davon von einem Mehrheitsbeschluß abhängig macht.
Auf der anderen Seite muß er aber auch bestimmte Dinge bestimmen können, und oft gibt es auch gar keine Zeit, zu diskutieren. Wenn ein schwieriges Segelmanöver ansteht, dann muß der Skipper entscheiden, wer aufs Vorschiff geht.
SEGELN: Angenommen, jemand möchte nun aber, aus welchen Gründen auch immer, in diesem Moment eigentlich nicht auf das Vorschiff – sollte der Skipper das respektieren oder vielmehr seinen Entschluß, ihn doch dorthin zu schicken, durchsetzen?
WILTS: Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, daß es in einer eingespielten Crew deswegen Spannungen geben könnte. Wenn einer gehandicapt ist, sich gerade nicht wohl fühlt, dann ist es selbstverständlich, daß ein anderer das macht. Und nehmen wir einmal eine andere Situation – angenommen, es müßte nun dringend in der Mastspitze etwas klariert werden. Da ist es auch nicht mehr möglich, jemanden hinauf zu kommandieren, sondern da müßte sich schon jemand freiwillig melden.
SEGELN: Die Funktion eines Skippers auf einer Segelyacht endet ja vermutlich nicht mit der rein nautischen Schiffsführung, er muß sich wohl auch um seine Mannschaft kümmern.
WILTS: Ja. Ein Törn ist nicht dann schon gelungen, wenn das gesteckte Ziel erreicht ist. Viel mehr entscheidend ist, daß die beteiligten Mitsegler auch Spaß an der Reise gehabt haben. Insofern sehe ich auch eine wichtige Aufgabe des Schiffsführers darin, das Miteinander an Bord möglichst harmonisch zu gestalten. Es ist durchaus seine Aufgabe, auftretende zwischenmenschliche Probleme zu erkennen, ihnen nachzugehen und möglichst irgendwelche Lösungsvorschläge zu entwickeln.
SEGELN: Wieweit ist dies denn möglich für einen Skipper, beispielweise, wenn sich innerhalb der Crew eine Hierarchie gebildet hat und der „Schwächste“ der Mannschaft quasi als „Underdog“ dasteht? Kann ein Skipper Ihrer Meinung nach auch dies unterbinden?
WILTS: Da hat ein Skipper meiner Meinung nach sehr viele Möglichkeiten, nämlich, indem er einfach über den Stil entscheidet, indem der eine mit dem anderen umgeht. Außerdem kann er durchaus Zirkusspiele, die nur darauf hinauslaufen, den Schwächsten zu küren, auf dem dann ständig herumgehackt werden kann, von vornherein verhindern.
SEGELN: Der Stil des Skippers ist also prägend für die gesamte Crew?
WILTS: Er entscheidet den Stil nicht allein, aber er entscheidet ihn durchaus maßgeblich.
SEGELN: Welche Erfahrungen haben Sie in dieser Richtung denn in Ihrer Zeit als Crewmitglied auf einer großen Yacht gemacht?
WILTS: Es ist mir damals öfters passiert, daß ein Törn für einen oder mehrere Beteiligte absolut negativ verlief. Es ist sogar schon passiert, daß im Anschluß an solche Reisen von einigen Mitseglern rechtliche Schritte gegen den Skipper erwogen wurden, um ihn für bestimmte Dinge zur Verantwortung zu ziehen. Das ist natürlich nicht die Norm, aber in extremen Fällen kann es durchaus so ausgehen. Manchmal ist am Ende eines Törns für die gesamte Crew der große Frust da. Wenn man allerdings ungefähr weiß, wie die menschlichen Beziehungen untereinander ablaufen, kann man schon eine Menge unternehmen, damit es nicht zu so einem Ende kommt.
SEGELN: Ein Problem dürfte dabei wahrscheinlich auch sein, daß sich einige Mannschaften kaum kennen, bevor sie zusammen an Bord steigen und lossegeln.
WILTS: Die Schwierigkeiten, die auftreten können, müssen nicht unbedingt daher rühren. Natürlich ist es gut, wenn es sich um eine eingespielte Crew handelt, aber das ist nicht die Voraussetzung für ein erfreuliches miteinander Segeln. Ich will einmal ein Beispiel dazu bringen:
Wir haben die letzte Etappe der Rund-Südamerika-Tour von Nassau aus mit einer Crew gesegelt, in der sich nur mein Bruder und ich vorher kannten. Obwohl wir etwas unter Zeitdruck standen, haben wir erst einmal drei Tage in der Nähe von Nassau ankernd verbracht, um uns kennenzulemen und um etwas aus dem Berufsstreß, in dem jeder noch steckte, herauszukommen. Diese Etappe ist dann einer der harmonischten Törns geworden, die ich je gesegelt habe.
Ein anderes Problem besteht aber darin, daß auf einem größeren Törn ein harter Kern da sein kann, einige Leute, die sich schon vorher kannten, und dazu einige Neulinge. Diejenigen, die sich kennen, werden dann automatisch eine Clique bilden und den Neulingen, besonders, wenn sie mit dem Schiff vielleicht nicht so vertraut sind, ein gewisses Minderwertigkeitsgefühl verschaffen. Es ist natürlich klar, daß die Neulinge an diesem Törn dann keinen Spaß mehr haben.
SEGELN: Wie sieht es bei Ihnen an Bord eigentlich mit den Privilegien für den Skipper aus?
WILTS: Das gibt es bei uns nicht. Wenn man solche Privilegien zuläßt, und jeder Skipper ist natürlich versucht dazu, sich diese zu verschaffen, dann funktioniert das ganze System nicht mehr, und man hat wieder das Hierarchiedenken, welches man, zumindest aus meiner Sicht, ja unbedingt vermeiden sollte. Der Skipper muß genauso Wache gehen, abbacken oder was es an Bord eben noch so alles zu tun gibt, wie jeder andere auch. Das geht ja schon damit los, daß jeder an Bord seinen Lieblingsplatz hat, und bei uns passiert es durchaus, daß eben solche Gewohnheiten auch von der Crew aus schon im Keim erstickt werden. Sobald der Skipper meint, Privilegien haben zu müssen, korrigieren ihn die anderen, und das funktioniert bei uns ganz gut.
SEGELN: Wie war das eigentlich bei Ihrer Südamerika–Reise, die ja auch sportlich sehr hohe Anforderungen an die Crew gestellt hat – hat sich Ihre Begeisterung auf die Crew übertragen, konnten Sie sie dazu motivieren, weiterzusegeln, wenn es dem einen oder anderen vielleicht schon genug war?
WILTS: Zu einem Problem kam es eigentlich nur auf dem wirklich schwierigen Abschnitt von Montevideo über die Falklands, in die Antarktis und zurück zum Kap Hoorn. Bis zum Start in Montevideo blieb offen, ob wir den Abstecher in die Antarktis mit all den zu erwartenden Strapazen wirklich machen würden oder nicht. Dann hat jeder in der Crew für sich überlegt, ob er dies gerne möchte, und dann haben wir das besprochen und abgestimmt. Schließlich hat auch der einzige, der eigentlich lieber direkt um Kap Hoorn herumgesegelt wäre, diesen Entschluß mitgetragen, obwohl es ihm keiner von uns verübelt hätte, wenn er daraufhin über Land gefahren wäre und dann später wieder eingestiegen wäre. Sicherlich wäre es auch sehr schwer für ihn gewesen, solch eine Entscheidung zu treffen, aber es wäre möglich gewesen und ist auch diskutiert worden.
SEGELN: Was hat Sie eigentlich dazu bewogen, noch diesen extremen Abstecher in die Antarktis zu machen? Die Umrundung von Südamerika wäre ja auch für sich genommen schon eine beachtliche Leistung gewesen.
WILTS: Ich glaube, es geht darum, seine eigenen Grenzen auszuloten. Und mit der Strapaze ist auf der anderen Seite auch ein unbeschreibliches Hochgefühl verbunden, wenn man die Dinge tatsächlich gemeistert hat.
SEGELN: Vielleicht spielt aber auch das Gefühl, aus der Masse der „Normalsegler“ herausgehoben zu sein, eine Rolle dabei?
WILTS: Ich bin ganz sicher, daß wir diese Reise, auch unbewußt, nicht unternommen haben, um anschließend im Rampenlicht der Öffentlichkeit zu stehen. Ob man nun allerdings ein solches Unternehmen je wieder in der gleichen naiven Weise angehen wird, daß man dabei nur an persönliches Vergnügen denkt, das weiß ich allerdings auch nicht.
SEGELN: Letztendlich hat das große Interesse an Ihrer Reise Sie wohl doch etwas überholt. Ihre Frau hat ja nun gerade ein Buch darüber geschrieben, und Sie selbst halten ab und zu Vorträge über Ihre Reise…
WILTS: Als diese Reise beendet war, begann für meine Frau und mich wieder der ganz normale Berufsalltag. Meine Frau wollte allerdings versuchen, aus ihrem Tagebuch ein Buch zu machen, was ihr ja auch gelungen ist, und mein Freund Folkmar und ich haben erst ein dreiviertel Jahr danach damit begonnen, Vorträge zu halten, als wir merkten, daß ein ganz großes Interesse daran bestand.
SEGELN: Ihre Reise hat ja insgesamt elf Monate gedauert, wovon Sie die gesamte Zeit, und Ihre Frau den allergrößten Teil davon an Bord waren. Ist es Ihnen eigentlich schwergefallen, danach so einfach wieder in den Alltag zurückzukehren?
WILTS: Diese Umstellung dauerte für meine Frau und mich zwar etwas länger als nach einem normalen Urlaubstöm, aber wir wußten ja von vornherein, daß dies nur eine einmalige Unterbrechung unseres Berufsalltags war. Schwierigkeiten, wieder in den Beruf einzusteigen, hatten wir nicht.
SEGELN: Ist durch diese Reise Ihr Bedarf an längerfristigen Unterbrechungen Ihres Berufsalltags vorerst gedeckt, oder reizt es Sie, solche Unternehmen zu wiederholen?
WILTS: Konkrete Pläne haben wir zwar nicht, aber wir möchten schon gerne einmal wieder eine ähnliche Tour unternehmen.
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