2013 – Segelreporter.com: Amphibisches Leben

SEGELREPORTER.COM

Langfahrtsegler: Die Geschichte der Wilts und ihrer “Freydis“

Amphibisches Leben

06.12.2013 von Erdmann Braschos

Anlässlich des neuen Buches über die letzte Reise der „Freydis II“ von Alaska nach Japan erinnert sich Erdmann Braschos an eine Begegnung mit dem ringsum gelassenen Blauwassersegler Erich Wilts, der gemeinsam mit seiner Frau mit dem dritten Schiff nach Australien segelte.

Es gibt keinen seltsameren Ort zur Begegnung mit dem Blauwassersegler Erich Wilts als die hektische Hamburger Innenstadt. Hier, an der Binnenalster wird an mancher roten Ampel allen Ernstes per Countdown die Wartezeit in Sekunden bis zum nächsten 200 m Spurt angezeigt. Als ich den großen, ringsum gelassenen Mann das erste Mal sehe, denke ich an einen Werkkundelehrer, der als integre Persönlichkeit eine desinteressierte Kinder-Verwahranstalt mit wenigen Unterrichtsstunden in einen lebenswerten Ort verwandeln könnte.

Ausgerechnet in der Filiale einer nichtssagenden Kaffeekette sind wir verabredet. Nach der Begrüßung wird gerätselt, wo wir uns mit unseren Bechern hinhocken könnten. „Na, wo wir am wenigsten von diesem dauerfröhlichen Gedudel hier belästigt werden“ rutscht es mir heraus. Die Kassiererin versteht das und gibt uns gleich eine Peilung.

Dann erzählt Wilts mitten in dieser hektischen, absurd künstlichen Plastikwelt mit leuchtenden Augen vom Segeln vor Alaska, vom Beringmeer und den Aleuten, wo er gerade herkommt. Wo der Pazifik einen langen Atem hat, es in der Wetterküche dieser Breitengrade plötzlich stürmt und so heftig weht, das man kaum aus dem Niedergang kommt. Wilts ist hands on, wie man im englischsprachigen Raum sagen würde. Ohne es zu betonen, klar und auf angenehme Weise geradeaus.

Die Begegnung liegt eine Weile zurück. Dennoch erinnere ich das etwa zweistündige Gespräch, als wäre es gestern erst gewesen. Damals bereitete er sich gemeinsam mit seiner Frau Heide auf jene Reise von Alaska nach Japan vor, die mit dem Verlust der „Freydis II“ endete.

Staunen und Demut gelernt

Viel ist passiert seitdem. Die Wilts segelten im Uhrzeigersinn die große Runde um die nördliche Hemisphäre des Pazifik von Alaska südwärts bis San Diego über die Hawaii und Midway Inseln bis Japan, fanden in der Marina von Iwaki einen Liegeplatz und nahmen sich Zeit zur Erkundung Japans.

Wieder bereiten sie während einer Bordlebenspause von Deutschland aus die Fortsetzung ihres Törns über die russische Halbinsel Kamchatka in den Norden vor. Erneut soll es in diese unwirtliche Gegend des Beringmeeres gehen, wo man das Wetter gut beobachten sollte, das Fahrtensegeln eine abenteuerliche Exkursionen ist und die entfesselten Elemente mit der stäbigen 25 Tonnen Slup Katz und Maus spielen.

Reißende Gezeitenströme mit gefährlichem Seegang zwischen den Inseln, der Blick in den harten Alltag der Einheimischen, Begegnungen mit Bären und die Ansteuerung schroffer Gletscher locken die Wilts mehr als komfortable Marinas, die Barfußroute, der seglerische Mainstream. Es zieht die beiden immer wieder in jene Breitengrade, wo die Zivilisation ausfranst und in die Wildnis übergeht.

Sie segeln mit jener Begeisterung dorthin „die Bergsteiger auf Gipfel treibt. Dafür sind wir bereit Unwägbarkeiten und Strapazen auf uns zu nehmen. Wir haben bei solchen Törns das Staunen gelernt und eine Demut, die glücklich und zufrieden macht. Solche Erlebnisse befriedigen zutiefst“ schrieb Heide Wilts einmal.

Obwohl sie ihre Ziele von langer Hand, mit cleverer Organisation und beharrlicher Vorbereitung verfolgen, wirken sie dabei ringsum gelassen. „Jeder nach seinem Gusto. Wem die Ostsee oder das Mittelmeer reicht, wunderbar“ meinte Wilts damals im Balzac.

Der Tsunami

In der Nacht vom 10. auf den 11. März 2011 hat Heide Wilts im fernen Heidelberg einen Alptraum vom Verlust des Schiffes. Er wird mit dem Erdbeben und dem fürchterlichen Tsunami Wirklichkeit, überflutet die Ostküste Japans teilweise, kostet vielen Menschen das Leben und löst die Atomkatastrophe von Fukushima aus.

Der Sog des Tsunami zerrt die „Freydis“ zunächst aus dem Hafen. Eine Woge spült sie unrettbar in die Felsen. Die Wilts haben mehr als einfach „nur“ ihr Schiff, sie haben ihre Arche, ihr schwimmendes Zuhause verloren, einen treuen Begleiter, mit dem sie durch dick und dünn segelten, der ihnen einmal in Südamerika ausbrannte und den sie vor Deception Island am Rand der Antarktis beinahe verloren hätten, aber wieder flott machten.

All das, den erlebnisreichen letzten großen Törn der „Freydis II“ von Alaska nach Japan, das Drama des verloren geglaubten, bald entdeckten, zunächst rettbar geglaubten und schweren Herzens aufgegebenen Bootes schildert der soeben erschienene 230-seitige Band von Heide Wilts. Das Buch ist im Ostfriesland-Verlag SKN erschienen. Es wird innerhalb Deutschlands kostenlos verschickt.

Nach dem Verlust ihres Schiffes haben die beiden Endsechziger nicht lange gezögert und sich in einem Alter, wo die meisten längst die Segel gestrichen haben oder aufhören, zügig ihre dritte „Freydis“ ausbauen lassen. Praktisch: das Kasko existierte in der gewünschten Eisklasse. Damit sind sie seit 2012 unterwegs. Die Wilts halten einfach Kurs. Denn da ist ja noch die siebte Weltreise, die das sympathische Ehepaar weiter segeln möchte.

Ihre neue „Freydis“ liegt derzeit in Bundaberg, das ist in der Nähe von Brisbane an der Ostküste Australiens. Von dort werden sie Anfang Januar ausgerechnet wieder in das gefährliche, von Seebeben und Tsunamis heimgesuchte Gewässer Japans aufbrechen, um dann weiter nach Kamchatka und zu den Aleuten zu segeln. Dort, wo es noch ungemütlicher ist, als bei uns im Winter. Wo man beim Landgang auf Grizzlys achten muss. Wo es aber garantiert keine Ampeln mit Countdown bis zur Grünphase für den nächsten 200 m Spurt und natürlich keine Kaffeeketten mit Muzak Musik gibt.

Die Wilts stillen einfach ihre Seenot. Noch ein paar Erledigungen in Heidelberg, ein paar Vorträge, Emails und Besorgungen, ein neuer Unterwasseranstrich, dann legen die segelnden Globetrotter wieder ab. Sie werden unterwegs 72 Jahre alt. Das neue Buch von Heide Wilts gibt Einblick in dieses beeindruckende Seglerleben. Empfehlens- und lesenswert!

Freydis III“

Reinke 16 M Ice Spezialversion, Konstruktion Kurt Reinke, Alu Rumpf und Deck gebaut von F. Benjamins in Emden, Ausbau M. Matzerath Düren, Länge über Alles 16,90 m, Rumpf 15,90 m, Breite 4,45 m, Tiefgang 2,60 – 1,60 m, Verdrängung 28 t, acht Kojen in vier Kajüten, 2000 l Diesel, 1.400 l Frischwasser.

Besonderheiten: ein um 15 cm erhöhter Freibord, größerer Ballastanteil (9,5 t Blei als Innenballast), dreifacher Boden und Schwenkkiel zum Trockenfallen, durchgehender Skeg zum Schutz von Ruder und Schraube, geschlossenes Deckhaus mit dicken Verbundglasscheiben, zusätzliche Steckschotten zur Verriegelung des Niedergangs, deutlich überdimensioniertes Rigg mit gekürztem Mast, doppelte Spibäume, lattenloses 50 qm Groß, 85 qm Rollgenua, 160 qm Passatbesegelung (zwei Genuas), 44 qm Rollfock, 20,50 qm Trysegel an separater Mastschiene, 165 qm Blister, 200 und 250 qm Spinnaker, marinisierter 126 PS Mercedes OM 366 Diesel (wie beim vorigen Schiff).

Weitere Informationen, auch zu Mitsegelgelegenheiten unter blog.freydis.de