Interview mit Heide und Erich Wilts 7.05. 20017
Sie sind jetzt seit 5 Jahren mit Ihrer neuen „Freydis“ unterwegs. Sie sind, ganz grob skizziert, 2012 und 2013 auf der sogenannten Barfußroute in die Südsee bis nach Australien gesegelt, 2014 von Australien nach Japan und 2015 von Japan über die Aleuten nach Alaska, wo Sie im vergangenen Jahr das Revier weiter erkundet haben. Was waren die Highlights auf Ihrer neuerlichen Weltumsegelung, der mittlerweile 8., zu der Sie ja traditionell 2012 in Leer gestartet sind ?
Tatsächlich gab es mehrere Höhepunkte: etwa zu Beginn die Fahrt auf der „Stehenden Mastroute“. Unter Maschine ging es über die holländischen Kanäle und das Ijsselmeer bis Ijmuiden am Eingang zum Nordseekanal, der Amsterdam mit der Nordsee verbindet.
Jahrzehnte hatten wir in unserem Heimatrevier mit der FREYDIS die West- und Ostfriesischen Inseln besucht und waren dabei dutzende, ja hunderte Male durchs Watt gesegelt, aber noch nie „über Land“. Das war etwas Neues für uns. Für uns ging es „hoch auf dem roten Boot“ und wenig behelligt von widrigen Winden durch die holländische Landschaft mit ihren vielen Windmühlen und schmucken kleinen Ortschaften.
Weitere Höhepunkte waren die Durchsegelung des Südpazifik mit seinen traumhaften Südseeinseln und liebenswürdigen Bewohnern, oder die Archipele Melanesiens und Mikronesiens im Nordpazifik, die uns zum Teil noch völlig unbekannt waren. Etwas ganz Außergewöhnliches – allerdings in negativer Hinsicht – waren für uns die Taifune, die uns auf dem Weg nach und auch in Japan das Fürchten lehrten.
Es waren ja auch wieder Ostfriesen an Bord. Sind das besondere Törns für Sie?
Wir hatten auf der Reise nach Japan und Alaska etliche Ostfriesen an Bord. Mit vielen von ihnen verbindet uns jahrzehntelange Freundschaft und natürlich ist dann so ein gemeinsamer Törn etwas ganz Besonderes.
Hat sich das neue Boot, dessen Aluminiumrumpf ja von der Emder Yachtwerft Benjamins stammt, auf dieser Reise bewährt?
Das Boot hat unsere Erwartungen sogar noch übertroffen. Es ist solide und praktisch, und es verfügt über hervorragende Segeleigenschaften. Unsere Erfahrungen aus 50 Jahren Segeln sind nicht umsonst in seinen Bau eingeflossen.
Gab es Probleme? (Und wenn ja, welche?).
Bei aller Sorgfalt gibt es auf neuen Booten auch immer Kinderkrankheiten: Die alternative Energie-Erzeugung klappte nur zum Teil, die Wassergeneratoren fielen aus, viel Ärger hatten wir mit der Elektronik und mit den Bordbatterien auf Grund eines Fehlers in der Relgeltechnik. Das Großsegel ging bereits nach zwei Jahren wegen Materialfehlers in Fetzen, die elektronischen Selbststeueranlagen gingen wegen fehlerhafter Montage zu Bruch, einer der beiden Trinkwassertanks platzte, da nicht fachgerecht eingebaut usw. Die Liste ist lang und wir hatten unterwegs genug zu tun, um alle Schäden zu beheben.
Sie haben beim Start in Leer damals gesagt, dass Sie sich durch den Tsunami um Ihr Schiff und Ihre Lebensart betrogen gefühlt haben. Dass Ihnen das weggenommen worden ist. Dass Sie schöne Jahre in Alaska verbringen und noch einmal nach Neuseeland segeln wollten. Haben Ihre Reisen in den vergangenen fünf Jahren die Strapazen rund um das alte Schiff und den Neubau, den Sie immerhin mit Anfang 70 gestemmt haben, aufgewogen?
Ja, das haben sie – auf jeden Fall. Als wir vor fünf Jahren starteten, waren wir erschöpft und wir waren uns keineswegs sicher, ob wir uns in unserem fortgeschrittenen Alter nicht zu viel vorgenommen hatten. Aber heute wissen wir´s: Es war genau richtig!
Hat das nicht auch alles unglaublich viel Energie und Geld gekostet?
Natürlich – wir haben uns völlig verausgabt. Aber im Laufe der Reise waren wir dann doch wieder die „Alten“. Wir haben den Verlust nach und nach verarbeitet und unsere „Batterien“ wieder aufgeladen. Dabei haben unsere Freunde und Mitsegler sehr geholfen.
Zu den Kosten: Das Geld für das neue Boot ist natürlich weg und damit
eine wesentliche Säule unserer Altersvorsorge. Aber wir kommen klar und sind dabei auch glücklich – und das ist doch die Hauptsache.
Sie haben mal gesagt, dass Sie keine Lust haben, die Hände in den Schoß zu legen und auf den Tod zu warten…?
Das ist richtig. Und wie sie sehen, tun wir das noch immer nicht. Wir starten schon zur nächsten Reise.
Sie waren ja auch wieder in Japan. War das vor dem Hintergrund Ihrer Erlebnisse rund um den Tsunami, den Sie damals von Deutschland aus verfolgt haben, aber in dem sie ja Ihre Yacht verloren haben, ein besonderer Moment?
Als wir nach drei Jahren das erste Mal wieder vor den Resten unserer alten Freydis standen, hat uns das sehr berührt. Schmerz und Trauer waren jedoch überwunden oder zumindest in den Hintergrund getreten. Es war eher Dankbarkeit, dass wir eine zweite Chance bekommen hatten im Gegensatz zu den vielen japanischen Opfern der Katastrophe.
Was ist aus der alten „Freydis“ geworden, die Sie ja vor 6 Jahren beim Tsunami in Japan verloren haben? Sie sollte ja ein Denkmal werden?
Viel ist seitdem nicht geschehen. Das zweigeteilte Wrack liegt samt Mast und Rigg noch auf dem Hügel vor der Hochschule – so wie wir das von den Fotos her kennen, die uns der damalige Vertreter der Hafenbaubehörde in der Präfektur Fukushima, nach dem Transport geschickt hatten. Wie uns der neue Leiter der Hochschule, dessen Vorgänger wir schon in Heidelberg kennen gelernt haben, bestätigte, ist die Präfektur noch immer mit der Beseitigung der Schäden beschäftigt, die Erdbeben, Tsunami und Verstrahlung angerichtet haben. Über Gedenkpark und Denkmal ist deshalb noch gar nicht endgültig entschieden worden. Verständlich: Infrastruktur und Küstenschutz sind wichtiger.
Statt über die Südsee, Australien und Südafrika nach Europa zurückzukehren, haben Sie sich nach gründlicher Überlegung für die kürzere, aber auch sehr viel anspruchsvollere zweite Variante entschieden: Sie wollen in diesem Jahr auf der legendären Nordwestpassage segeln. Die Nordwestpassage ist der zirka 5780 Kilometer lange Seeweg, der nördlich des amerikanischen Kontinents den Atlantischen Ozean mit dem Pazifischen Ozean verbindet. Kein anderer Seeweg ist so schwer zu bezwingen wie diese berüchtigte Passage. Sie gilt als Mount Everest des Segelns. Selbst Langfahrt-Ikone Jimmy Cornell scheiterte 2014 beim Versuch, den Seeweg nördlich von Kanada in Ost-West-Richtung zu befahren, noch am allzu hartnäckigen Eis. Er musste seinen Plan nach wochenlanger Wartezeit vor der grönländischen und nordwest-kanadischen Küste aufgeben, da das Eis den Weg nicht freigab. In vier Etappen soll es für Sie von West nach Ost nun also durch die Nordwestpassage gehen?
Trotz Klimawandel und verbesserter Wetter- und Eisvorhersage bleibt die Durchquerung der Nordwest-Passage ein großes Abenteuer und ein Wagnis: Zur Bewältigung gehören auch weiterhin hoher persönlicher Einsatz, Ausdauer, Mut, Leidensfähigkeit – und nicht zuletzt auch Frustrationstoleranz, denn es wird nicht alles so laufen, wie geplant. Wir glauben, dass wir diese Voraussetzungen noch mitbringen.
Weil wir mit unserem Boot bereits in Alaska sind – die Freydis befindet sich auf der Insel Kodiak im Golf von Alaska – werden wir die NWP in West-Ost-Richtung – also von Kodiak/Alaska nach Nuuk, der Hauptstadt Grönlands- in Angriff nehmen. Eine gewaltige Strecke, die wir in dem kurzen arktischen Sommer bezwingen müssen. Wir haben sie in vier Abschnitte unterteilt, wobei uns jeweils sehr erfahrene Mitsegler begleiten. So können wir die Belastungen auf mehrere Schultern verteilen und (hoffentlich) schnell vorankommen.
Sollte das Eis uns nicht passieren lassen, wären wir gezwungen, ein Jahr unter extremen Bedingungen zu überwintern – wo, das wissen wir selbst noch nicht. Im schlimmsten Fall wird das Eis die Freydis zerquetschen. Dieses Risiko müssen wir eingehen.
Woher nehmen Sie den Mut, diese Strecke zu wagen?
Wer nicht wagt, der nicht gewinnt – so einfach ist das.
Einer der Gründe für diese Reise, ist auch Ihre Beobachtung der schnell schmelzenden Gletscher in Alaska gewesen?
Dass die Gletscher, die wir in Alaska besuchten, so schnell wie nie abschmelzen, sind Ausdruck des Klimawandels. Sie erfasst in besonderem Maße die Polarregionen. Erst dadurch wurde die NWP befahrbar nicht nur für Eisbrecher, sondern auch für Yachten.
Auf Ihrem Törn werden Sie wettertechnisch von der Firma „Wetterwelt“ in Kiel beraten. Die gehört auch einem Ostfriesen, nämlich Dr. Meeno Schrader aus Leer, der führender Wetterexperte in Deutschland ist? Er berät viele prominente ausländische Segler. Sie kennen Sich aus früheren Zeiten gut. Sein Großvater war Volksschulrektor und hat Ihnen die ersten vier Jahre Rechnen und Schreiben beigebracht?
Erich: Das stimmt. Meno Schrader und ich kennen uns vom Seglerverein Leer. Sein Großvater war mein Volksschullehrer.
Wir beide haben in Kiel mit ihm die Einzelheiten für die Wetterbegleitung auf unserer Reise über Satelliten-Telefon besprochen.
Wie wichtig ist diese Wetterberatung auf Ihrem Törn?
Davon hängt viel für das Gelingen der NWP ab.
Über Iridium-Handy können wir in der Nordwest-Passage nicht nur genaue Eisinformationen erhalten, sondern werden auch rechtzeitig vor gefährlichen Wetterumschwüngen gewarnt. Man tappt nicht mehr blind in eine Falle, sondern kann rechtzeitig sichere Ankerplätze aufsuchen oder Legerwall-Situationen vermeiden.
Haben Sie keine Angst, vielleicht im Eis eingeschlossen zu werden und bei den Eisbären überwintern zu müssen?
Es kann durchaus passieren, dass wir vom Eis eingeschlossen werden und wir müssen auch, wie erwähnt, mit einer Überwinterung rechnen. Darauf müssen wir uns einstellen und haben uns auch darauf vorbereitet. Mit Eisbären müssen wir rechnen und bei Landgängen besonders vorsichtig sein.
Die Passage bedarf sicherlich einer akribischen Vorbereitung. Was müssen Sie dabei besonderes bedenken, was bei anderen Törns keine Rolle spielt?
Auf der Strecke müssen wir mit vielen Risiken rechnen, denn wir werden komplett auf uns allein gestellt sein: das Boot muss durchhalten, ebenso die Crew. Die geplanten Crewwechsel müssen zeitlich genau eingehalten werden. Auch darf niemand ernsthaft krank werden. Außerdem gibt es auf der Strecke weder Supermärkte noch Tankstellen. Wir dürfen nichts vergessen, sondern müssen alles Notwendige an Bord mitführen..
Sie starten Ende Mai in Alaska und wollen im September Grönland erreichen?
Wenn möglich, ist Grönland unser Ziel. Aber, wie gesagt, vielleicht kommt eine Überwinterung dazwischen.
Grönland kennen Sie ja bereits: Vor 30 Jahren waren Sie mit der alten „Freydis“ schon einmal dort. Sie segelten so lange nach Norden, bis das Packeis Ihnen den Weg verbaute?
Das erste Mal waren wir 1986 sowohl an der West-, als auch an der Ostküste Grönlands und segelten dann an der Westküste Spitzbergens nach Norden bis zur Packeisgrenze auf 80 Grad Nord. Zwei Jahre später (1988) waren wir erneut in Grönland und wollten an der Westküste über den Polarkreis bis zur Diskobucht. Maschinenschaden zwang uns, in der Hauptstadt Nuuk zu bleiben. Um den Schaden zu beheben mussten wir sogar einen Maschinenbaumeister aus Leer einfliegen lassen!
Diesmal wird es hoffentlich klappen mit der Diskobucht.
Sie haben einmal gesagt, dass die Küste mit ihren Fjorden, Gletschern und Eisbergen zu den faszinierendsten Landschaften gehört.
Die grönländische Küste war wirklich spektakulär für uns. Das ist auch der Grund, warum wir mit der Freydis dort bis zum nächsten Frühjahr bleiben wollen.
Damals war Grönland für Segler noch „terra incognita“. In Ihrem zweiten Buch „Wo Berge segeln“ schrieb Heide über Land und Leute und über ihre Abenteuer. Sind Sie schon gespannt, was Sie dort dann erwartet?
Sehr gespannt, natürlich! In den letzten 30 Jahren dürfte sich vieles verändert haben – auch im Zuge des Klimawandels.
Sie beide sind jetzt Mitte 70. Woher nehmen Sie den Ansporn, das alles noch auf sich zu nehmen?
Zum Glück können wir uns immer noch für solche Unternehmungen begeistern. Und noch haben wir auch die Kraft dazu.
Was macht die Gesundheit. Frau Dr. Wilts, Sie sind ja zwischenzeitlich auch am Rücken operiert worden?
Das war einen wirklich schlimme Zeit, vor allem auch auf den letzten Reisen an Bord. Aber nun ist alles gut. Wir hoffen beide, dass wir weiterhin gesund bleiben.
Gibt es schon Pläne, wie es 2018 weitergeht? Zurück in die Heimat?
Erst einmal wollen wir diese Reise unbeschadet überstehen, dann sehen wir weiter.
Dann wünschen wir Ihnen für Ihren Törn die nötige Handbreit Wasser unterm Kiel – vor allem Gesundheit!
Vielen Dank Herr Bloem. Es wird schon schiefgehen.