2021 – YACHT: Drei Fragen vom Herausgeber der YACHT, Menso Heyl, an Heide und Erich

Heide: 14. März 20211

Was war Ihre erste Erfahrung „auf dem Wasser“, sozusagen der Zündfunke für Ihr Segelleben?

Der erste Zündfunke war das Meer: Während des Studium ging ich von Wien nach Kiel, um ihm nahe zu sein. Natürlich wollte ich dort auch segeln lernen, musste aber wegen unüberwindbarer Seekrankheit abbrechen. Erst als ich Erich kennenlernte, fing ich wieder damit an. Er besaß eine Jolle, und in der wurde ich, zu meiner Überraschung, nie seekrank. 

Der zweite Zündfunke war der Wunsch nach mehr Komfort beim Segeln: Ein Kollege in der Klinik plante ein neues Boot. Mit seiner Begeisterung steckte er mich sofort an, in erster Linie wohl deshalb, weil ich unsere anstrengende, nasskalte Jollen-Segelei an dienstfreien Wochenenden gründlich leid war. Mit meinem Wunsch nach einem wohnlichen Schiff rannte ich bei Erich nicht nur offene Türen ein, sondern landete, wie sich bald herausstellen sollte, in einem Fass ohne Boden… 

Schildern Sie bitte die ein oder zwei Momente, die Zustände oder Erfahrungen, die Ihnen beim Segeln am meisten bedeuten oder bedeutet haben.

Es sind so viel Momente, Zustände, Erfahrungen, die mir viel bedeuten: Da sind die schönen Sonnenauf- und -untergänge auf hoher See, die ruhigen Nachtwachen, das Ankommen nach anstrengenden Törns, das Kennenlernen besonderer Menschen, die anregenden Gespräche mit ihnen, die tiefe Freude, wenn ich auf See, am Strand, am Küstenstreifen plötzlich Tiere entdecke; wenn ich dort etwas finde, was mir besonders wertvoll erscheint; oder wenn wir historisch interessante Ziele erreichen, über die ich recherchiert habe. 

Und dann gibt es die Glücksgefühle nach lebensbedrohlichen Situation – ebenfalls Momente von großer Bedeutung für mich: etwa das Glücksgefühl, als wir uns nach der Strandung im Krater von Deception in die Nothütte flüchten konnten; oder das Glücksgefühl, nachdem eine Monstersee die Freydis im Südindischen Ozean getroffen hatte, und sie sich nach dem Knockdown langsam wieder aufrichtete; oder das Glücksgefühl nach einer Nacht in der Crozet-Bucht (Südindischen Ozean), als in schwerem Sturm der Ankerwirbel brach. Ich war mit zwei älteren Mitseglern allein an Bord, während Erich mit der restlichen Crew gezwungen war auf der gottverlassenen, eisigen Insel zu biwakieren, weil sie nicht mehr zur Freydis zurück konnten. Aber ich muss auch die Glücksgefühle nennen, die ich nach dem Erreichen unserer Ziele hatte: zuletzt als die Nordwestpassage – immer noch ein Glücksspiel mit unsicherem Ausgang – hinter uns lag.

Das Erlebnis des Segelns bindet manche Menschen ein Leben lang, spornt andere zu Höchstleistungen an – eine positive Kraft scheint dahinter zu stehen. Wenn Sie es in ein, zwei Sätzen sagen könnten: Worin besteht diese Anziehungskraft?

Unübersehbar stehen für mich hinter all dem, was uns im Leben etwas bedeutet – und damit meine ich auch das Erlebnis Segeln – entsprechend der Natur des Menschen nicht allein rationale Triebkräfte, also vordergründige, am reinen Nutzeffekt orientierte Motive, sondern auch solche, die allein verstandesmäßig nicht zu erklären sind. Es ist eine ganze Palette emotionsgefärbter Wunschassoziationen – kindliche Neugier, Abenteuerlust, Ehrgeiz, Drang nach Selbstbestätigung, Idealismus, romantische Schwärmerei – die erst im rechten Zusammenspiel zum Nährboden für Höchstleistungen wird. 

Für uns selbst standen zu Beginn beim Segeln sportliche Ambitionen und eine Mischung aus Neugier und Abenteuerlust im Vordergrund. Später waren es immer stärker die einzigartigen Naturerlebnisse, denn wie sich herausstellte, war es uns mit dem kleinen Boot möglich, sie selbst an den entlegensten Winkeln der Erde aufzuspüren. Stern-Redakteur Peter Sandmeyer hat die Leidenschaft, die uns treibt, in dem Magazin „mare“ auf den Punkt gebracht: Es ist „die Anziehungskraft des schwer Erreichbaren.“

Die Südsee z.B., in der wir uns einige Jahre aufgehalten haben, bringt zwar eine Seite in uns zum Klingen, die sich nach Entspannung, Heiterkeit, unbeschwertem Leben sehnt: nach Wärme, Sonne, Palmenstränden, schillernden Lagunen, freundlichen Menschen.

Unsere Herzenslandschaft ist die Südsee aber nicht: Das sind Arktis und Antarktis – subantarktische und antarktischen Eilande. Immer wieder zieht es uns dorthin, mit der gleichen “Leidenschaft”, die Bergsteiger auf Gipfel treibt, und genau wie diese, sind wir bereit, dafür “Leiden” auf uns zu nehmen: Denn das Segelerlebnis in den Weiten des stürmischen Ozeans zu den entlegensten Flecken der Erde, können – wenn überhaupt – oft nur unter schwierigen Bedingungen und großem persönlichem Einsatz erreicht werden. Dafür stellen sie grandiose Landschaften und eine einzigartige Tierwelt in Aussicht. 

Aber auch Freundschaften sind uns beim Segeln wichtig: Gerade in den abgelegenen Regionen fanden wir Menschen, die ihr Leben nach ähnlichen Werten ausrichteten, unabhängig von Nationalität, Kultur und Bildung. Aus vielen dieser zufälligen Zusammentreffen sind Freundschaften entstanden, die sich über die Dauer der Aufenthalte hinaus lebendig erhalten haben. Ähnlich verhält es sich mit den Freundschaften zu unseren Mitseglern – wobei ich betonen will, dass Zweisamkeit beim Segeln für uns ganz wichtig ist. Im Alter ist die gemeinsame Zeit noch kostbarer geworden. Die Endlichkeit des Lebens ist uns nun schon sehr bewusst. 

Erich

Was war Ihre erste Erfahrung „auf dem Wasser“, sozusagen der Zündfunke für Ihr Segelleben?

  1. Obwohl ich am Wasser auf dem Priwall in Lübeck geboren wurde (mein Vater war dort in den Kriegsjahren stationiert) und in Leer am Wasser aufgewachsen bin – unser Grundstück grenzte an den Hafen und ich hatte bereits mit 8 Jahren mein eigenes Boot – kam der „Zündfunke“ erst mit 16. Ich stand am Ufer des Porto Conte von Sardinien, eine Segelyacht lief ein und ankerte nicht weit vom Ufer. Von dem Moment an wollte ich mit einem Segelboot aufs Meer. Zurück aus den Ferien bemühte ich mich in Leer vergeblich um einen Platz auf einer der drei hochseegängigen Eigneryachten. Mit 20 ging ich dann zum BWL-Studium nach Hamburg – ich wollte segeln, versuchte es über Kurse, die die Uni anbot und hatte auch schnell eine Elb-H-Jolle an der Hand. Ein paar Monate später kam ich durch einen glücklichen Zufall zum HVS, war dann fünf Jahre Crewmitglied auf der motorlosen „ORTAC“, einer Oldtimer-Rennyacht (Sie war vor dem Krieg die schnellste Yacht in den Kanal-Regatten und Fastnet). Auf ihr lernte ich das Hochsee-Segeln von der Pike auf und bin aus Dankbarkeit bis heute Fördermitglied des HVS.

(nur nebenbei: Obwohl ich extrem unter Seekrankheit zu leiden hatte, war ich in jedem der beiden Jahre 1963 und 1964 mehr als 100 Tage an Bord).

  1. Ein Jahrzehnt war ich Mitsegler unter rund einem Dutzend Skippern. Sie segelten aus ganz unterschiedlichen Beweggründen, aber den meisten war gemeinsam, dass sie ausschließlich segeln wollten – Land und Leute interessierten sie nicht oder nur ganz am Rande. Die Reise, die bis heute unser beider Lebensstil beeinflusst hat, war die sechswöchige Reise 1964 rund Island – die Insel war damals noch touristisch so gut wie unbekannt. Wir segelten zu der wenige Monate zuvor aus dem Meer gestiegenen Vulkaninsel Surtsey, ankerten dort und bestiegen den Feuer- und Lava-speienden Vulkan. Und ich sah den ersten Eisberg meines Lebens, ein riesiges Monster in der Dänemarkstraße. Wir mussten in Reykjavik 14 Tage auf einen Hamburger Frachter warten, der unseren Proviant für die zweite Hälfte der Reise mit Verspätung brachte. Während sich unser Skipper und etliche Crewkameraden grämten wegen der „verlorenen“ Segelzeit, unternahm ich mit meinem mitgebrachten Zelt Abstecher ins Innere der Insel und war begeistert über diese Kombination aus abenteuerlichem Segeln zu fernen Gestaden und dem Erkunden derselben. 

Das genau war es, was ich wollte. 

Schildern Sie bitte die ein oder zwei Momente, die Zustände oder Erfahrungen, die Ihnen beim Segeln am meisten bedeuten oder bedeutet haben.

  1. Es ist für uns alle an Bord ein großer Glücksmoment, als am 12. Januar 1982 um 20:30 in der Whalers Bay von Deception Island am Rande der Antarktischen Halbinsel der Anker unserer Freydis fällt. Wir hatten als erste deutsche Yacht die Antarktis erreicht – ohne Radar, ohne GPS, ohne Funkpeilung, ohne Sumlog. 

Noch sechs Stunden vorher hätten wir uns im dichten Nebel beinahe selbst versenkt, als 50 Meter vor uns ein Eisberg wie aus dem Nichts auftauchte, auf den wir unter Groß und Genua mit 6 Knoten Fahrt zu hielten.

Und ähnlich glücklich und euphorisch wie in Deception waren wir 11 Tage später am 23. Januar, als wir auf der Rückreise über die Drake-Passage nach einem überstandenen schweren Sturm das Falsche Kap Hoorn an Backbord passierten.

2. Die „Zustände“, die mir am meisten bedeutet haben? Eindeutig die langen Passagen mit meiner Frau zu zweit, auf denen wir beide glücklich waren: Um nur zu nennen: Die Jungfernreise mit der ersten Freydis von Leer durch die Ostsee nach Mariehamn und zurück (1975), die erste Transatlantiküberquerung mit der Freydis II von den Kanaren nach Brasilien (1981), die 4.500 Seemeilen-Fahrt von der Isla Robinson Crusoe zu den Marquesas (1999), die Fahrt über den Indischen Ozean von Bali nach Mauritius (2001), die Fahrt über den Südatlantik von Namibia über St. Helena und Ascension nach Recife (2002), die stürmische Reise von Hawaii nach Japan (2010). Und last not least: Unser neunmonatiger Aufenthalt auf King Georg Island und Deception während unserer Überwinterung in der Antarktis (1991) – und das trotz Strandung. Nie waren wir uns näher. 

Das Erlebnis des Segelns bindet manche Menschen ein Leben lang, spornt andere zu Höchstleistungen an – eine positive Kraft scheint dahinter zu stehen. Wenn Sie es in ein, zwei Sätzen sagen könnten: Worin besteht diese Anziehungskraft?

Die positive Kraft rührt bei mir daher, dass ich das verwirklichen kann, was ich im Innersten erstrebenswert finde, was meinem Wesen am meisten entspricht: 

Ich kann meine besonderen Fähigkeiten – Planen, Organisieren, Führen – mit meinen sportlichen und geistigen Ambitionen verbinden: Meine Lieblingsfächer in der Schule waren Geschichte und Geographie. Die Reisen, die wir unternehmen, sind Entdeckungsreisen – auch wenn schon alles entdeckt scheint. Was mich auch reizt, ist die spezielle Mischung aus sportlichem Einsatz und Abenteuer: Das Segelerlebnis in den Weiten des stürmischen Ozeans zu den entlegensten Flecken der Erde, die – wenn überhaupt – oft nur unter schwierigen Bedingungen unter großem persönlichem Einsatz erreicht werden können, uns aber grandiose Landschaften und eine einzigartige Tierwelt in Aussicht stellen. Diese Unternehmungen sind mit Risiken verbunden. Denn eine Reise mit einem kleinen Boot durch die stürmischsten, kältesten Zonen der Erde, zu schwer zugänglichen Küsten und ins Eis kann nicht bis ins kleinste Detail vorgeplant werden. Viel „Wenn“ und „Aber“ liegt auf dem Weg und fordert flexibles, spontanes Entscheiden und Handeln; und hinter der Ungewissheit lauert immer Bedrohung und Gefahr. 

Allein oder zu zweit erscheint uns ein derartiges Unternehmen deshalb auch unverantwortlich, und das ist für uns ein Grund, auf diesen Extremreisen Gleichgesinnte zu suchen. Die Belohnung für die Entbehrungen und Strapazen, für die Enge und Unbequemlichkeit an Bord liegt für alle letztlich nur in einem ganz persönlichen Maß an Glücksgefühl, das diese Art elementarer Erlebnisse vermittelt.

Meine Neugier und mein Wissensdurst, meine Sehnsucht und Lust am Abenteuer sind auch im 80. Lebensjahr noch nicht gestillt: In diesem Jahr wollen wir mit unserer Freydis noch einmal nach Grönland.