Okinawa, den 16. April 2014
Guam
Der neue JEFA-Motor der Selbststeueranlage war inzwischen eingetroffen. Hin zum Zoll und auslösen. Nach drei Stunden hatten wir ihn sogar schon eingebaut und angeschlossen und der Probelauf war zufriedenstellend. Wir konnten uns auf eine bequeme Weiterreise nach Okinawa freuen. Die harte Überfahrt von Chuuk nach Guam steckte uns immer noch in den Knochen.
Unsere beiden Mitsegler waren eingetroffen. Eigentlich wollten wir zu fünft nach Japan, aber, wie bereits berichtet, war Andreas bereits in Chuuk nach den Erlebnissen mit dem Taifun desertiert.
Nun also zu viert. Außer uns beiden noch der fitte und hochsee-erfahrene 72-jährige Klaus, von Beruf Kapitän und Reeder – letztes Jahr hatte er seine „Thetis“ in den Philippinen verloren, als die Maschine kurz nach dem Start in einer Riffpassage aussetzte; Ursache: verdreckter Diesel. Und es kam der nicht minder fitte 80-jährige Wolfgang an Bord, von Beruf Ingenieur.
Kurz vor Weihnachten hatte seine Frau angerufen und gefragt, ob noch ein Platz auf den Törns nach Japan frei sei. Sein 80ster Geburtstag stünde an und die Familie wollte ihn mit dieser Reise überraschen. Einen 80-jährigen Mitsegler hatten wir noch nie an Bord, also vorsichtige Gegenfrage: „Ist er denn fit dafür und welche Segelerfahrung hat er?“ Antwort: „Er ist seit Jahrzehnten leidenschaftlicher „Anita“-Segler und war in diesem Jahr noch auf einem dreiwöchigen Törn dabei. „Wolfgang berichtete, als er uns ein paar Tage später mit seiner Frau besuchte, dass er seine erste „Anita“-Reise bereits 1969 angetreten hatte. Die Oldtimer Yacht „Anita“, ein 12er, ist ca 24 Meter lang und wurde bis vor 2 Jahren ohne Hilfsmotor gesegelt. Sie ist eine Legende und ein Garant für gute Seemannschaft. Wir hatten bereits etliche ihrer Crews auf früheren Reisen der Freydis mit.
Wolfgang war unser Mann.
Selbststeuerung? Träum‘ weiter…
Als wir Apra Harbor auf Guam verliessen, erwartete uns draussen ein starker bis stürmischer NE-Passat. Wir hatten zwei Reffs ins Großsegel gebunden und steuerten in der ruppigen See auf der Schelfkante die ersten Stunden per Hand, damit die beiden „Neuen“ an Bord sich einsteuern und an die Schiffsbewegungen gewöhnen konnten. Dann schalteten wir die Autosteuerung ein und ließen uns ein Auslauf-Bier schmecken. Doch toll, wieder so einen eisernen Gustav zu haben!
Nach ca 1 Stunde drang starkes Knacken aus der Achterkammer, zunächst vereinzelt, dann immer häufiger. Beunruhigt bauten wir die Verschalung wieder ab, auf der Suche nach der Ursache. Und da sahen wir sie: Die Schubstange der Selbststeuerung war dabei, den Ruderquadranten auseinander zu nehmen, die Schweißnähte rissen Zentimeter für Zentimeter. Werftchef Matzerath hatte die Schubstange am dafür viel zu schwachen Quadranten der Seilsteuerung befestigt, statt am Ruderschaft einen separaten Hebelarm anzubringen. Die Fachleute von Simrad hatten das auf den Probefahrten zwar moniert und Matzerath hatte daraufhin eine Stelle am Quadranten verstärkt, aber – wie sich nun herausstellte – völlig unzureichend. Fachleute!
Aus der Traum von einer gemütlichen Überfahrt mit automatischem Steuermann. Ergebnis: Bis Okinawa war wieder Steuern per Hand angesagt: Jeder von uns drei Männern ging zwei Stunden Ruder und hatte dann 4 Stunden Freiwache. Tag und Nacht, Tag für Tag. Heide, diesmal von diesem Joch entbunden, sprang bei Segelmanövern ein und versorgte uns – bei der groben See wurde das Arbeiten in der Kombüse zum schwerer Job. Bei halbem Wind mit 20 – 35 knoten, also 5 – 7 Bft., waren wir alle gefordert. Nach zweistündigem konzentrierten Rudergehen gab es nicht mehr viele freie Valenzen.
Ein Unglück kommt selten allein
Als sich am Abend des ersten Tages ein schwarzes Wolkendach über den Himmel zog, beschlossen wir, für die Nacht vorsorglich das dritte Reff ins Groß zu binden. Beim Fieren des Falls und Herunterholen des Segels zog sich plötzlich ein meterlanger Riss durchs obere Drittel des Segels. Wir konnten es kaum fassen, das Segel war nirgendwo hängen geblieben. Wir dachten, wir könnten das nähen, sobald sich die See beruhigt und setzten – auf der dafür angebrachten separaten Schiene – vorübergehend das Try (das erste Mal übrigens auf der neuen Freydis).
Dort blieb es jedoch 1.385 sm bis Okinawa stehen, denn als wir den Riss und noch weitere Risse und Löcher untersuchten, stellten wir fest, dass wir das schwere 480gr Tuch wie Papier zerreißen konnten. Reparieren war völlig sinnlos.
Von unterwegs riefen wir über unser Sat-Phone Lee Sails in Flensburg an, reklamierten das Segel und bestellten ein neues nach Okinawa. Das soll noch in dieser Woche eintreffen. Herr Zill, Geschäftsführer von Lee Sails Deutschland, hielt das für einen „Materialfehler des Tuchherstellers“, so einen Fall habe er noch nie gehabt. Hoffentlich hat er recht!
1.385 Seemeilen unter Trysegel und – abhängig vom Wind – mit Genua oder Fock: Es gab keine Alternative zum Trysegel. Da der starke Wind durchhielt, kamen wir trotzdem zügig voran. Einmal drehten wir bei stürmischem Wind nachts bei. Bei anderer Gelegenheit konnten wir die Genua ausbaumen.
Japan erreicht
Am 5. Tag erreichten wir unser erstes Etappenziel, die südöstlichste Ecke Japans: Okino-Tori-Shima. Riff oder Insel? – Das ist hier die Frage. Eigentlich ein Riff, das eine Lagune umschließt und das bei Hochwasser komplett überspült wird, aber die Japaner sind dabei, mit Schuten herbeigeschaffte Erde und Steine soweit aufzuschütten, dass das Riff bei Hochwasser 10 cm herausschaut – mit vielen rechtlichen und wirtschaftlichen Konsequenzen: Mit einer Insel (künstlich oder nicht) beanspruchen sie 200 Meilen Fischereischutzzone, Schürf- und Bohrrechte etc..
Uns interessierte aber mehr, ob wir in die Lagune gelangen konnten, um uns dort vor Anker ein wenig von den Strapazen zu erholen. Zwei Stunden sondierten wir, gaben dann aber auf. Durch den Starkwind, es blies 35-40 Knoten, war die See auch in der Lagune zu unruhig, die Riffpassage zu gefährlich. Wir drehten in der Nacht nicht weit davon bei und schliefen endlich einmal aus.
Zwei Tage später erreichten wir die nächste japanische Insel, Oki-Daito-Shima – ein kleiner kahler Korallenhaufen, dreieckig, Kantenlänge ca. 1000 Meter. Wir ankerten in Lee und badeten im kristallklaren Wasser. Gerne hätten wir den Flecken betreten, aber ein Saumriff hielt uns davon ab. In Lee war die See leidlich ruhig, wir konnten das erste Mal Großsegel und Ruderquadranten gründlich inspizieren. Telefonate mit unseren Freunden in Deutschland schlossen sich an: die nächste Crew würde Ersatzteile nach Okinawa mitbringen.
Unter Try und Fock I liefen wir weiter zur ersten bewohnten japanischen Insel: Minami-Daito-Shima. Der Hafen zählt zu den „Closed Ports“ von Japan. Wir hatten keine Genehmigung, aber zu unserer Erleichterung ließen sich keine Behördenvertreter blicken. Als wir den Fischern im kleinen Hafen der Insel das zerrissene Großsegel zeigten, waren wir willkommen. Im einzigen Hotel der Insel konnten wir sogar einen Leihwagen mieten und die Insel erkunden. Wir genossen die japanische Küche und feierten unseren Landfall.
Ein Tief mit Sturmböen und Gewitter zog in der Nacht über die Insel und wir waren froh, in einem sicheren Hafen zu liegen.
Wie wir Okinawa erreichten und was wir dort erlebten, darüber berichten wir in der nächsten Rundmail.
Es grüßen Euch herzlich
Heide & Erich
Ich wünsche euch trotz aller Pannen viel Glück!
Warum eigentlich eine elektrische Selbststeueranlage? Warum keinen mechanischen Windpiloten? Zuverlässiger und einfacher geht es doch gar nicht? Ich dachte, Sie stehen der vielen Technik eher skeptisch (zu Recht!) gegebenüber. Warum haben Sie sich hier trotzdem für die anfällige elektrische Lösung entschieden?