FREYDIS IN OKINAWA

Okinawa, den 19. April 2014

Wo ist nur die Sonne geblieben?

Sie brannte doch immer erbarmungslos vom Himmel; wir haben sie gehasst und uns die Seele aus dem Leib geschwitzt. Und nun, 70 Meilen vor Okinawa, die ganze Nacht Regen, kalte Luft aus dem Norden. Abschied von Badeanzug und T-Shirt, stattdessen fließ-gefüttertes Ölzeug.

Und das Baro schon wieder am Fallen. Erich spricht über Satellit mit Jochen in Deutschland: Ein Tief ziehe südlich von uns durch, bringe uns nördliche Winde, keinen Sturm. KEINEN STURM!

Ich freue mich auf Okinawa, auf eine Marina mit ihren Annehmlichkeiten. Ich freue mich auf Japan. Jemand hat uns eine Mail geschickt und gefragt warum wieder Japan. An der Tsunami-Gefahr habe sich doch nichts geändert. Nein, nichts. Aber es zieht uns mit Macht dorthin, wo unsere alte Freydis liegt. Wir wollen wissen, was aus ihr geworden ist.

Endlich in Okinawa!

Endlich in der Marina von Ginowan (nahe der Hauptstadt Naha). Die erste Marina seit wir vor drei Monaten in Bundaberg/Australien gestartet sind. Das Sumlog zeigt 21.807 Seemeilen – also haben wir seit Deutschland eine Strecke zurückgelegt, die dem Erdumfang entspricht.

Unsere beiden Freunde bleiben noch ein paar Tage an Bord. Klaus fliegt über Hongkong und setzt sich bei Lee Sails für unser Großsegel ein. Wolfgang, unser 80-jähriger, hält es sogar noch 10 Tage bei uns aus. Er platzt vor Unternehmungslust, die anstrengende Reise hat ihm nichts anhaben können, er ist so fit wie stets, badet am kleinen Strand, fährt im Bus dahin und dorthin, besucht Museen und Sehenswürdigkeiten, und abends streift er durchs nächtliche Okinawa oder man findet ihn in der Eisdiele des Supermarktes.

Okinawa: Auf den ersten Blick nicht das Ziel unserer Träume. Auf der Fahrt zum Büro der Immigration viele Kilometer nichts als Asphalt und Beton: Stadt reiht sich an Stadt – allein Naha hat über 320.000 Einwohner – , ein Sammelsurium moderner Gebäude unterschiedlicher Baustile – sofern man überhaupt von Stil reden kann. Kein Hauch von Japan… Alles neu, amerikanisiert, an jeder Ecke ein McDonalds, Starbucks, Kentucky Fried Chicen… nirgends etwas Altes, Historisches – alles weggefegt vom Zweiten Weltkrieg.

Seine Bewohner sind nicht nur Japaner, sondern vor allem auch Ryukyu mit ihrer eigenen Kultur, daneben Chinesen und Amerikaner – amerikanische Veteranen wie unser Bootsnachbar aus Puerto Rico, der jetzt als Tauchlehrer arbeitet – insgesamt eine Multikulti-Gesellschaft. Dazu viele Touristen aus Korea, Taiwan, Hongkong.

Auf den Straßen fast nur kleine Kastenwägen, funktionsgerecht, platzsparend, mit kleinen Rädern, gebaut zwar von den großen japanischen Automarken, aber in Deutschland unbekannt, nicht dagegen „Rushhour“ und „Stop and Go“.

Erst auf den zweiten Blick entdecken wir interessante und gemütliche Ecken, den kleinen, sehr sauberen Badestrand kaum hundert Meter von uns entfernt, enge Gassen, ein altes Töpferviertel, Museen, Shops, Märkte, Kneipen, Speisen, eine Festung der früher hier herrschenden Dynastie. Und natürlich die Menschen.

Minderwertiges Material, Schweizer Wertarbeit…

Patrick begrüßt uns auf japanisch. Eigentlich ist er Schweizer, lebt aber seit 20 Jahren in Japan und war zweimal mit Japanerinnen verheiratet. Seinen Lebensunterhalt verdient er sich mit Yacht-Überführungen und -Reparaturen. Er gibt uns nicht nur viele wertvolle Tipps für die Weiterreise, sondern verschafft uns auch Einblick in Land und Leute. Eine gute Tat im Maschinenraum der Freydis: Hier leckt es irgendwo. Patrick nimmt das ganze Seewasserfilterystem samt Rohren und Ventilen auseinander und entdeckt fehlende Dichtungen und einen korrodierten Filtertopf aus minderwertigem Edelstahl der Marke Vetus. Nach ein paar Stunden ist alles wie neu.

Erich ist begeistert.

…Japanische Besucher

Auch vier Japanische Segler besuchen uns an Bord. Sie haben im Segelmagazin „Kazi“ von uns gelesen.Von ihnen erfahren wir endlich auch Neuigkeiten von Hiki, der uns so selbstlos in Iwaki/Onahama bei der Bergung einiger Teile der Freydis half (obwohl Japan 50% mehr Bewohner hat als Deutschland, staunen wir immer wieder, wie gut man sich hier untereinander kennt). Wir hatten einige Zeit nichts mehr von Hiki gehört und waren in Sorge. Nun erfahren wir, dass sein Boot auf einem Törn nach San Diego von einem Wal gerammt wurde und sank. Die Crew wurde von der japanischen Luftwaffe mit einem Wasserflugzeug gerettet.

Auf der Schnellstraße im Osten der Insel entlang nach Norden immer wieder Schilder mit den Höhenangaben früherer Tsunamis – 10 Meter, 20 Meter – die ein beklemmendes Gefühl in uns auslösen. Was bleibt nach einer solchen Monsterwellen von der Insel noch übrig? Strände oder Ufer sind kaum zu sehen, nur Mauern und Wellenbrecher. Nicht umsonst liegen die meisten Hotels und Resorts auf der Westseite – zum Glück auch die Marina. Armes katastrophen-gebeuteltes Japan. Wie verstrahlt der Fisch ist, den wir hier bekommen, weiß keiner.

Fukushima?

Kein Thema hier, eher „schöne heile Welt“. Am Abend ein großartiges, sage und schreibe, einstündiges Feuerwerk (soll 1 Million $ gekostet haben), das an dem kleinen Badestrand (die Freydis hatte einen Logenplatz!) gezündet, von Verdi, Luis Armstrong, den Beatles und Geisha-Gesang untermalt und vom Fernsehen übertragen wurde.

Und auf der Halbinsel an der Westseite geistern im weltgrößten Aquarium mehrere Walhaie, Riesenmantas und weiteres Meeresgetier hinter dicken Glaswänden. Im gepflegten Park davor drehen Delphine und Wale – vollendet dressiert – ihre Pirouetten u.a. im Rhythmus eines – ebenso vollendet – auf Japanisch gesungen und gejodelten, aber unverkennbar deutschen Alpenliedes.

Strassenkarten, Prospekte?

„Gomen nasei“ („tut mir leid“) sagt die Dame in der Touristeninformation: Sie kann uns keinen Prospekt von der Insel und auch keine Straßenkarte in englischer Sprache geben, alles nur auf Japanisch, auch nicht zu kaufen. Von wegen Amerikanisierung! Ist das Fremdenfeindlichkeit? Japan, vor allem Okinawa, will die Amerikaner los werden. Wer mag schon Besatzer, noch dazu so viele Jahre und auf so kostbarem Land? Geplant ist die Verlegung eines Truppenteils von 6.000 Mann nach Guam. Doch ausgerechnet jetzt rasselt China mit dem Säbel wegen ein paar Inseln. Da ruft man die Amerikaner wieder als Beschützer. Ab und zu donnern Jets über uns hinweg, sonst hören und sehen wir aber wenig von den GIs. Sie leben in ihren eigenen durch Zäune und Mauern gesicherten Vierteln, nicht anders als in Deutschland auch.

Drei Wochen Okinawa

Nun sind wir schon fast drei Wochen hier. Die Insel war kein Highlight, aber die Pause hat uns gut getan. In zwei Tagen rückt die neue Crew an. Wir haben inzwischen die Permits für eine Reihe vielversprechender Inseln (allesamt „Closed Ports“) auf dem Weg nach Nagasaki und Hiroshima bekommen. Wir sind startbereit!

Frohe Ostern wünschen wir Euch.

Herzlich
Heide und Erich

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