Hallo Freunde,
seit ein paar Tagen haben wir wieder festen Boden unter den Füßen und die Freydis liegt hoch und trocken in einer Marina auf Vancouver Island in Britisch Kolumbien. Unsere anregende, aufregende und manchmal auch anstrengende Reise in den Gewässern von Alaska ist zuende.
Drei Sommer und einen Winter haben wir mit der Freydis in Alaska verbracht. Wehmütig blicken wir zurück, der Abschied fällt uns schwer.
Dabei begann die diesjährige Saison alles andere als verheißungsvoll: Ende Mai flog ich alleine voraus zur Freydis nach King Cove, um sie betriebsbereit zu machen – Heide war noch dabei, ihr neues Buch abzuschließen. Ausgerechnet in diesem Jahr verspätete sich der Frühling um einen ganzen Monat und tiefer Winter empfing mich. Drei Tage vor dem Start mit der ersten Crew bekam ich Verstärkung von unserem Mitsegler Hans aus Göttingen. Gemeinsam haben wir dann das Unterwasserschiff mit Antifouling im Schneetreiben gestrichen. Über der Wasserlinie konnten wir die Freydis noch nicht herrichten, die rote Zweikomponentenfarbe hätte nicht abgebunden. Zum Glück hatten die gesamte Technik und das Rigg die Kälte und die Winterstürme (es wurden bis zu 129 Knoten Wind in King Cove gemessen) gut überstanden.
Lachs und Heilbutt satt hatten wir allen Mitseglern versprochen. Aber auf den ersten beiden Törns mußten wir tiefgefrorenen Lachs im Supermarkt und in der Fischfabrik kaufen, denn die Fischer, die uns sonst großzügig versorgt hatten, warteten einen Monat vergeblich auf das Eintreffen der Lachsschwärme, auch die hatten sich verspätet. Doch danach lief es umso besser. Unvergessen bleibt uns der Tag, an dem unser Freund Duncan in dem Uyak-Fjord auf der Insel Kodiak fünfzehn frisch gefangene Rotlachse (Sockeye) vorbeibrachte und der Tag, an dem unser hartnäckiger Angler Thilo drei Heilbutts an Deck zog, davon einer an die zwanzig Kilo schwer. Mit einer gut gefüllten Tiefkühltruhe an Bord hatten wir für lange Zeit ausgesorgt. Außerdem: Auf allen sechs Abschnitten in diesem Jahr war die Kombüse spitzenmäßig besetzt. Doch das gute Essen hat seine Wirkung getan. Die überflüssigen Pfunde müssen wieder runter. Ich habe mir das fest vorgenommen.
Die ersten drei Etappen bewegten wir uns auf bereits bekanntem Terrain: Die wilde Küste entlang der Alaska-Halbinsel mit ihren schneebedeckten, rauchenden Vulkanen und den kleinen Fischersiedlungen, Kenais grandiose Gletscherfjorde, Katmais spektakuläre Bärenbuchten und Kodiaks tiefe Fjorde mit ihren Walen, Robben, Ottern und Seevögeln haben wir schon in den Vorjahren ausführlich gewürdigt. Es ist das ideale Revier für die robuste, stählerne Freydis mit ihrem aufholbaren Schwenkkiel. An vielen geschützten Stränden im Inneren der Buchten und Fjorde konnten wir bei Niedrigwasser problemlos trockenfallen und dadurch die Grizzlybären aus nächster Nähe erleben. Oft kamen sie direkt ans Schiff. Viele von ihnen waren „alte Bekannte“, immerhin waren wir in den letzten Jahren achtmal auf Kodiak und im Katmai. Einen neuen Bären haben wir sogar „hautnah“ erlebt. Dazu beigetragen hat ein Braunbärenkostüm, in das Franz und Thilo geschlüpft sind und das – zur Belustigung der Eingeweihten – so manchem einen gehörigen Schrecken eingejagt hat, wenn der „Bär“ unvermutet hinter einem Felsbrocken oder Eisklotz auftauchte.
Es ist bereits Mitte August. Die Segelsaison in Alaska nähert sich langsam ihrem Ende, als wir von dem kleinen Hafenstädtchen Seward auf der Kenai Halbinsel zu neuen Ufern aufbrechen. Unser Ziel ist die gebirgige, unwirtliche Küste im Südosten des Golfes von Alaska, wo zwischen dem Prince William Sound im Westen und dem Cross Sound im Süden die Hochgebirgsketten und Gletscher der Wrangell-und St. Elias Mountains bis ans Meer stoßen. Der gesamte Küstenabschnitt wird auf einer Länge von ca 500 Meilen lediglich an drei Stellen durch tief ins Land reichende Fjorde, die Icy-, Yakutat- und Lituya Bay unterbrochen. Und in diese Fjorde wollen wir hinein. Unser Vorhaben ist nicht ganz ungefährlich: Die aus dem Beringmeer heranziehenden Tiefs bringen südöstliche Stürme und bauen auf den vorgelagerten Bänken dieser Legerwallküste eine enorme Brandung auf. Gerade dann, wenn man dringend einen geschützten Ankerplatz braucht, wird einem der Zutritt verwehrt. Andererseits erwartet uns in den Fjorden spektakuläre, unberührte Urlandschaft. Lediglich in der von Gletschern abgeriegelten Yakutat Bay existiert eine kleine Fischersiedlung, deren Bewohner über das Flugzeug Verbindung zur Außenwelt haben.
Auf dem Wege zur Icy Bay finden wir bei stürmischen Winden Schutz in Lee der kleinen Insel Kayak und warten auf Wetterbesserung. Diese Insel wurde 1741 von Vitus Bering entdeckt. Hier betraten die Russen das erste Mal den Boden von Alaska. Wir brennen darauf, an Land zugehen. Aber als wir bei nachlassendem Sturm zu dritt mit dem Dingi übersetzen, wird uns der Landgang durch einen riesigen Grizzly verleidet, in dessen Revier wir geraten sind. Eilig treten wir den Rückzug an.
Der Besuch der drei Fjorde erweist sich als einer der Höhepunkte unserer nun sich schon über drei Jahre erstreckenden Alaskareise. Spannende Slalomfahrten durch Eisschollen und um Growler und Eisberge herum bringen uns an den Fuß von über 100 Meter hohen Abbruchkanten von Gletschern, die von den Fünf- bis Sechstausendern in die Fjorde herabfließen. Am spektakulärsten war die Fahrt an der 11 km langen Abbruchkante des Hubbard Gletschers im Inneren der Yakutat Bay.
Auf die Einfahrt in die Lituya Bay, den letzten der drei Fjorde, hatten wir uns besonders gründlich vorbereitet und nicht nur den amerikanischen Coast Pilot No 9 mit seinen genauen Anweisungen studiert, sondern auch den Rat eines erfahrenen Kapitäns der Coast Guard eingeholt. Die Einfahrt ist schmal, nur ein paar hundert Meter, und Ebb- und Flutstrom können in ihr bis zu 6 kn betragen. Nicht nur der Entdecker der Lituya Bay, der französische Kapitän La Perouse, verlor hier vor 200 Jahren 21 Männer seiner Besatzung, sondern auch in jüngster Zeit scheiterten immer wieder Fischer- und andere Boote an den Felsen und Stromschnellen beim Versuch der Durchfahrt. Drei Meilen vor der Einfahrt drehen wir bei und warten auf Stauwasser. Dann muß alles sehr schnell gehen: Heide navigiert mit C-Map und GPS durch La Chaussee Spit, den engen Pass. Zwei Peilbaken an Land unterstützen das genaue Kursgehen. Erleichterung auch bei unseren Mitseglern, als wir im ruhigen Wasser des Fjordes angekommen sind. Der Lituya Fjord ist nicht nur geschichtsträchtiges Gelände, sondern weist auch einzigartige geologische Besonderheiten auf:
Durch Erdbeben ausgelöste Tsunamis haben in den Jahren 1853, 1874 und 1936 riesige Flutwellen erzeugt, die höchste Welle im Jahre 1958 entwurzelte die Ufer der Bucht bis zu einer Höhe von 1.720 Fuß, das sind umgerechnet 524 Meter. Die Folgen dieser Tsunamis können wir jetzt bestaunen.
Nach Überquerung des Cross Sounds tauchen wir ein in das Gewirr dicht bewaldeter Inseln und Wasserstraßen Südost-Alaskas mit bunten Fischerstädtchen und kleinen Ortschaften der Tinglit-Indianer. Im Vergleich zu der wilden, unberührten Hochgebirgslandschaft, aus der wir gerade kommen, erscheint uns die Inside Passage direkt zivilisiert und lieblich. Für Alaskas Südosten und die Inside Passage, die weit nach Britisch-Kolumbien hineinreicht, hatten wir uns sechs Wochen Zeit genommen. Über Sitka und Wrangell erreichen wir unsere Endstation in Alaska, Ketchikan, wo uns Rupi, Hans und Rudi, unsere letzte Crew (zufällig rein österreichisch) verläßt.
Danach sind Heide und ich noch einen Monat allein unterwegs im Insellabyrinth der Inside Passage. Es geht Richtung Süden und Vancouver Island. Inzwischen ist es Herbst geworden. Nebel und viele treibende Baumstämme verlangen ständigen Ausguck und Einsatz des Radars. Als wir die Seymour Narrows passiert haben, beschließen wir, die Reise für dieses Jahr in dem kleinen Städtchen Campbell River auf Vancouver Island enden zu lassen. Wenige Tage später liegt die Freydis hoch und trocken in der Ocean Pacific Marina.
Krönender Abschluß der diesjährigen Saison: Drei Tage Vancouver bei Linda und Gerd Müller, den TO-Stützpunktleitern in Vancouver – liebenswürdigere Gastgeber hätten wir uns nicht denken können.
Fazit:
Es war eine Saison der Superlative, für Heide und mich und für die vielen Mitsegler und Freunde, die uns auf einzelnen Abschnitten begleitet haben. Auch in diesem Jahr gehörten wieder zwei Drittel zum „Stamm“ der Freydis. Rudi aus Graz schoss den Vogel ab: Er war fast zwei Monate an Bord. Leid tut es uns um die beiden, die krankheitsbedingt die Reise nicht antreten konnten. Aber : Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Fast alles war optimal. „Fast“ – denn auf günstigen Wind haben wir oft vergeblich gewartet. Leider eine Eigenart des Reviers.
Aber Rasmus hat Besserung gelobt: 2009 segeln wir anfangs noch in der Georgia Strait zwischen Vancouver Island und dem Festland. Dann geht es über San Francisco und San Diego über die Grenze nach Ensenada/Mexiko auf der Kalifornischen Halbinsel. „Auf dieser Route ist der Wind das ganze Jahr über günstig und der nach Süden setzende Kalifornienstrom tut das seine dazu“, schreibt Jimmy Cornell. Wir sind bereit!!
Ach ja – eines hätten wir beinahe vergessen, zu erwähnen. Nicht nur schöne Eindrücke und tolle Bilder von Alaska sind uns geblieben. Erinnert Ihr Euch an unsere Wünsche, die wir im Rundbrief vom 1.April 2007 geäußert haben? Sie sind in Erfüllung gegangen: Heide hat ihren Mammut-Stoßzahn und ich meinen versteinerten Oosik, den Penisknochen eines Walrosses, bekommen. Wer uns in Heidelberg besucht, darf beide bewundern.
Der Törnplan für 2009 gibt’s auch schon.