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Leseprobe aus Kapitel 16 „Aufbruch ins Uferlose“:
Bevor wir auslaufen, ziehen wir gemeinsam das Resümée der vergangenen drei Wochen und diskutieren den weiteren Verlauf der Reise. Die Meinung aller: bisher war’s ein Supertrip; natürlich hat das gute Wetter dazu beigetragen. In Macquarie stehen wir nun am Scheideweg. Je weiter wir nach Süden dringen, desto stärker lastet die Verantwortung für das Unternehmen auf Erich und mir. Wir stellen deshalb zur Diskussion, ob wir tatsächlich weiter nach Süden zum Rossmeer segeln – wie ursprünglich geplant – oder lieber im subantarktischen Bereich mehr Zeit auf den Inseln verbringen wollen.Von Macquarie bis zur Scott-Insel am Eingang des Rossmeeres haben wir eintausend Seemeilen antarktische Gewässer mit allen Gefahren – Stürme, Eisberge, Packeis und Schiffsvereisung – zu durchsteuern. 1200 bis 1500 Seemeilen kommen hinzu, falls uns die Einfahrt ins Rossmeer und dann die Rückkehr zur Scott-Insel gelingen sollte, und noch weitere tausend Seemeilen antarktische Gewässer bis zu den südlichsten subantarktischen Inseln Neuseelands, den Campbells – gewaltige, unüberschaubare Entfernungen! Gerade weil die Reise bisher so unproblematisch verlaufen ist, haben wir Bedenken, dass unsere Mitsegler den nächsten Abschnitt unterschätzen. Wir wollen alle erst einmal eine Nacht darüber schlafen, bevor wir eine so schwerwiegende Entscheidung treffen.
Mit dem Schlafen ist das allerdings so eine Sache, denn der Starkwind aus West lässt die Freydis nervtötend in der Dünung rollen. Am Morgen ist die Bucht ein Rummelplatz: Scharen von Pinguinen nehmen ihr Reinigungsbad um die Freydis herum. Einige klopfen mit ihren Stummelflügeln so lautstark an den Rumpf, dass wir „Herein!“ rufen, und am Strand prallen die Oberkörper von Elefantenrobbenbullen dröhnend aufeinander. Es grölt, trompetet, schreit und rülpst: eine Kakophonie sondergleichen!
Mit dem Frühstück kommt auch die Entscheidung auf die Back: Von unseren fünf Mitstreitern wollen vier in die Antarktis. Arnd zum Skipper: „Ein Stückchen Eis musst du uns schon zeigen, das bist du uns schuldig!“ Nur Heinz würde die Inseltour durch die Subantarktis vorziehen, ist aber auch bereit, einen anderen Beschluss mitzutragen. Meine Gefühle sind zwiespältig, denn ich habe auf diesem Schiff schon zu viele bedrohliche Situationen erlebt, als dass ich freudig-überzeugt „ja“ sagen könnte. Doch auch ich will mich der Mehrheit anschließen. Für Erich bedeutet der Vorstoß ins Rossmeer eine gewaltige Herausforderung. Vor allem für ihn wird dieser Törn verbunden sein mit enormen Anstrengungen und wenig Schlaf, denn er muss immer mit einem Ohr bei der Crew und beim Schiff sein. Wie auch immer – der Entschluss ist eindeutig! Nicht einmal mein schwarzseherisches Schokoladenei-Bootchen, das ich als „kleine Bombe“ in die Wagschale werfe, vermag ihn noch zum „Kentern“ zu bringen. Also auf ins Eis!
Ich backe ein paar Brote auf Vorrat, und nachdem wir unsere Tanks mit Frischwasser aus Reserve-Kanistern aufgefüllt, Proviant umgestaut und alles sturmsicher festgezurrt und verschlossen haben, lichten wir den Anker und sagen Bucht und Macquarie Ade.
Nach drei Wochen gemeinsamen Segelns sind alle mit dem Schiff vertraut, deshalb gehen wir von zwei Wachen à drei Mann auf drei Wachen à zwei Mann über. Das bedeutet längere Erholungspausen für alle, wahrscheinlich aber auch, dass die Freiwache bei Manövern öfter zur Unterstützung gerufen wird. Bei unsichtigem Wetter in eisverdächtigen Gewässern wird die Wache vorübergehend um einen Mann verstärkt werden, der zusätzlich Ausguck hält. Ich selbst bin wachfrei, aber zuständig für Navigation. Außerdem koche ich für die hungrige Meute und stehe als „Springer“ zur Verfügung, wenn zum Beispiel bei Manövern jemand am Ruder gebraucht wird. Erich und ich schärfen insbesondere den Eis-Unerfahrenen ein: Kollision mit einem Eisberg oder Growler bedeutet nicht nur das Ende der Reise, sondern höchstwahrscheinlich auch das Ende des Schiffes und der Crew. Ein „lächerliches“ Stückchen Eis mit einer Kantenlänge von zehn Metern, das im Seegang oder nachts kaum auszumachen ist – neun Zehntel schwimmen unter Wasser –, hat bei einem Volumen von 10 x 10 x 10 = 1000 Kubikmetern ein Gewicht von annähernd eintausend Tonnen, also das Vierzigfache der Freydis! Der Zusammenprall mit hartgepresstem Gletschereis ist vergleichbar mit der Fahrt gegen eine Betonwand.
Fremd und unheimlich scheint uns das nächste Ziel, das keine Insel oder Küste an Land ist, sondern nur ein Wegpunkt auf dem GPS, lange 675 Seemeilen entfernt. Ein Punkt in der Wasserwüste des Ozeans, 61° Süd, 175° Ost. Unter dreifach gerefftem Großsegel und ausgebaumter Genua gewinnen wir bei südsüdöstlichem Kurs langsam Abstand von der Insel. Achterlicher Wind treibt Nieselregen ins Cockpit. Wer keine Wache hat, verzieht sich in die Koje; der anstrengende Inselaufenthalt steckt allen noch in den Knochen. Erich und Heinz wechseln sich halbstündlich beim Rudergehen ab. Die See ist ungewöhnlich steil und wild bewegt. Weiß schäumende Wassergebirge wälzen sich aus unterschiedlichen Richtungen auf uns zu und lassen die Freydis torkeln und straucheln. Es sind die höchsten Roller, die ich je erlebt habe. Sie erinnern mich an die Monsterwellen nahe Tristan da Cunha oder der südafrikanischen Küste. Vermutlich sind sie durch den Macquarierücken verursacht, der hier aus fünftausend Metern Tiefe steil aufsteigt. Wenn sie allerdings von Tiefdruckgebieten herrühren, müssen wir mit Sturm rechnen. Arnd steckt den Kopf aus der Achterluke heraus: „Ihr wisst doch, wenn ich mitsegle, kommt kein Sturm, das hab ich euch doch schon in Australien bewiesen!“
In der Nacht legt der Wind zu und Regenschauer fegen übers Deck. Wir packen drei Reffs ins Großsegel und nehmen die Fock weg. Danach ist erst einmal der „Dampf raus“ und die Freydis bewegt sich wieder manierlicher. Gegen Morgen lässt der Wind nach und die Reffs werden wieder ausgepackt. Die Sonne blinzelt ins Cockpit und zum Frühstück gibt es Rosinenstuten mit heißen Kakao. Die Stimmung an Bord ist optimistisch. Wolfgang studiert die Überseglerkarte: „Schon ein beruhigendes Gefühl, Kap Hoorn viertausend Seemeilen querab zu haben!“ Heiner mit Blick aufs GPS: „Und nur noch 550 Seemeilen zum Waypoint >NirgendwoFreydis sturmklar machen, uns seelisch und körperlich darauf einstellen.
Noch ist die Welt an Bord in Ordnung: Bei Nordwestwind segeln wir mit ausgebaumter Genua durch sternklare Nacht. Das Baro macht einen Sturz nach unten und der Wind, der plötzlich aus Westsüdwest bläst, wächst sich schnell zum Sturm aus. Unter ausgebaumter, verkleinerter Genua und dreifach gerefftem Großsegel fliegt die Freydis förmlich über die aufgewühlte See. Man könnte meinen, sie wolle in einem Rutsch in McMurdo landen. Die Hälfte der Strecke zum Waypoint haben wir hinter uns. Aber was bedeutet das? Die unübersehbaren Entfernungen bergen so viele Unwägbarkeiten, dass man gar nicht ans Ziel zu denken wagt, geschweige denn an Landgänge. Rußalbatrosse und Sturmtaucher folgen uns mit dem Wind und kleine, langbeinige Sturmschwalben trippeln, hopsen, flattern und picken unermüdlich auf unserer Heckwelle herum, einem für sie offenbar reich gedeckten Tisch.
Eine hohe, überbrechende Dünung rollt von achtern an. Heiner stöhnt über die Knochenarbeit am Ruder. Wachkamerad Arnd ungerührt: „Daran bist du ja gewöhnt als Orthopäde!“ Manchmal kommt die Freydis aus dem Rhythmus und ins Schlingern. Gefährlich wird es nur, wenn sie aus dem Ruder läuft und die Genua plötzlich back steht. Dann hagelt es Kameras, Taschenlampen und Marlspieker aus dem Cockpit in die Messe herab, und Baum und Schot sind extrem belastet. Wenn das Schiff unter Segeln partout nicht mehr durch den Wind auf Kurs will, muss sogar der Motor helfen. Neidisch beobachten wir die Albatrosse und Sturmvögel, die heute ihre Schleifen ganz besonders schneidig „segeln“.
In der Nacht passieren wir den 60. Breitengrad und laufen etwas südlicher als ursprünglich geplant, weil wir nach Osten abgetrieben werden; dabei halten wir eifrig Ausschau nach Eis. Auch das Radar nehmen wir zu Hilfe, weil die Sicht miserabel ist: hoher Seegang, alles grau in grau mit weißen Gischtkronen. Das Baro ist weiterhin auf dem Trip nach unten. Wir segeln in den „Kreischenden Sechzigern“, was kann man da anderes erwarten? Zum Glück ist es nachts nur noch zwei Stunden, von 24 bis 2 Uhr, dunkel.
Es schneit, die Luft hat bereits antarktischen Biss. Kälte kriecht durch Schlafsack und Kleidung, kalte Finger und Füße schmerzen während des Rudergehens, und das Leben an Bord spielt sich außerhalb der Wache weitgehend unter Deck ab, wo die Heizung bläst. Die Wachhabenden müssen sich zwischendurch immer wieder mit heißen Getränken auch von innen aufwärmen. Noch zehn bis vierzehn Tage eiskalte Segelei stehen uns bevor, bis wir unseren Fuß – vielleicht – auf Land oder Schelfeis setzen können. Von Scott Island (67°24′ Süd, 179°55′ West) am Eingang zum Rossmeer erwarten wir keinerlei Schutz: „Diese Insel ist etwa eine Viertelmeile lang, eineinviertel Kabel breit, 39 Meter hoch und von steil herabstürzenden Klippen umgeben; es gibt kleine, ansteigende Strände voller Felsbrocken.“ (The Antarctic Pilot)
Einzige Alternative zu McMurdo wäre Kap Adare 310 Meilen südwestlich der Scott-Insel, in dessen Nähe einige tiefere Buchten liegen, so sie denn zugänglich sind. Doch wenn wir Kap Adare ansteuern, ist uns der Weg weiter ins Rossmeer und nach McMurdo versperrt, denn den starken gegenlaufenden Strom (bis zu drei Knoten) an der Küste können wir nie und nimmer mit der Freydis aussegeln.
Was nutzen alle Spekulationen im Reich der Stürme und des Eises, alles ist mit großem Fragezeichen versehen. Mit Argusaugen beobachte ich das Baro, das immer steiler fällt.
Am Abend erreicht uns eine schlimme Nachricht über den Äther: Günther gibt mit Grabesstimme den Bericht vom Deutschen Wetterdienst Hamburg durch, den er eigens für unser Seegebiet eingeholt hat: Wir liegen genau in der Zugbahn eines Orkantiefs mit elf bis zwölf Beaufort und zehn bis zwölf Meter hohen Wellen. Heute Nacht soll die Hölle für uns losgehen! Anschließend sechs Tage Sturm zwischen acht und zehn Beaufort. Bei uns herrscht höchste Alarmstufe! Meine Knie werden weich – ich denke an die furchtbaren Stürme, die wir im südindischen Ozean erlebt haben, und dabei fällt mir auch wieder ein, was uns der SEAWATCH-Schatzsucher in Bluff berichtet hatte: von unvorstellbar heftigen katabatischen Stürmen und vierzig Meter hohen Wellen. An Land hört sich so etwas übertrieben an – aber nun? Auch die „Achillesfersen“ unserer Freydis sind mir plötzlich wieder deutlich bewusst. Die Schwertsicherung kann durch die Gewalt der Seen gelockert werden oder durchscheuern. Bei einer Kenterung würde unser voll beladenes Schiff mit dem offenen Deckshaus voll laufen und sinken wie ein Stein! Auch kein Notruf und kein Epirb hilft dann mehr. Wenn sie uns finden, sind wir längst erfroren oder ertrunken. Das ominöse Spielzeugbootchen aus dem Überraschungsei steht anklagend in der Navigationsecke!
Ich versuche Angst und Unsicherheit zu verdrängen, um keine Fehler zu machen. Die Anspannung ist auch bei den anderen zu spüren, doch alle sind gefasst. Erich spricht die erforderlichen Maßnahmen durch. Abgesehen von den beiden großen Tauwerktrommeln, die am Reitbalken festgelascht sind, müssen wir alles unter Deck schaffen, was nicht niet- und nagelfest ist, auch die 25 Kanister Dieselreserve, dazu Trysegel und Sturmfock unterschlagen und unseren Kurs um neunzig Grad – Richtung Nord – ändern. Wir hoffen, dadurch den Abstand zum Kern des Orkantiefs möglichst schnell zu vergrößern. Wir nehmen uns vor, bei Einsetzen des Sturmes nicht beizudrehen, sondern so lange irgend möglich mit Kleinstbesegelung vor dem Sturm abzulaufen, aus unserer Erfahrung die sicherste Vorbeugung gegen Querschlagen und Überkopfgehen.
Doch der Orkan bleibt aus, „nur“ Starkwind bis Sturm und eine enorm hohe Dünung aus Süden beuteln uns. Schon am folgenden Tag steigt das Baro wieder. Von Günther erfahren wir, dass das Tief weiter südlich von uns durchgezogen ist. Großes Aufatmen, fast Euphorie! Grüße von zu Hause; man sei sehr besorgt gewesen, hören wir. Wie gut es tut, dass jemand an uns denkt, unseren einsamen Kurs mit Anteilnahme begleitet! Noch nie haben wir mit der Freydis so große Entfernungen durch extreme Zonen in einem Stück gesegelt – wochenlang nichts als trostlose graue, nasse, kalte Wasserwüste um uns herum.
Wir gehen wieder auf den alten Kurs zurück, verlegen den Wegpunkt nun aber direkt auf die noch 250 Seemeilen, also zweieinhalb Tage, entfernte Scott-Insel. Die Kälte ist jetzt die größte Gefahr. Luft plus 2°C, Wasser minus 1°C.
„Eis, Eiiis!“, brüllt Uwe und fällt vor Aufregung beinahe den Niedergang hinunter, als er eilig seine Kamera holt, „ein fußballgroßes Stück!“ – „Eis? Nicht Styropor? Oder eine weiße Plastiktüte? Was ihr da draußen wieder gesehen haben wollt!“, tönt’s unterkühlt aus den Kojen. „So wird einem der anstrengende und erfolgreiche Ausguck während der Wache gedankt!“, brummt Uwe enttäuscht. „Und wenn ich hier einen Dinosaurier vorbeitreiben sehe – ich sag‘ nichts mehr!“ Natürlich hasten alle in ihre Klamotten, um den weißen „Fußball“ gebührend zu bewundern.
Es schneit. Die Crew tritt gesalbt und mit Skibrillen ihre Wachen an. Nur Erich hat entzündete Augen, weil er sich nicht ans Eincremen und Brilletragen gewöhnen will. Seine nassen Handschuhe sind hart gefroren, und er gleicht mehr einem Schneemann als einem Seemann am Ruder. Heinz streckt seine gestiefelten Füße wärmeheischend vom Cockpit in den Salon hinunter, aber dort ist’s jetzt auch nicht wärmer – wir heizen nicht mehr beim Segeln, das verbraucht zu viel Energie. Nur das Geschirr wird neuerdings mit warmem Wasser gespült, sonst fallen uns womöglich noch die Finger ab: Seewassertemperatur minus 2°C. Kondenswasser tropft von den Luken und Fenstern. Ich bin froh, dass ich ein paar große Folienstücke mitgenommen habe. Diese ziehen wir nun unter die Matratzen und heften sie an die oberen Fensterlaibungen; so bleiben wenigstens die Kojen trocken.
Am Abend der erste große Eisberg voraus. Funkgespräch mit Günther, Relais durch Christian (ein Deutscher, der sich seit 1980 in der Bay of Islands niedergelassen hat). Er kündigt ein neues Sturmtief – 970 Hektopascal – an, das nördlich von uns durchziehen soll. „Wir hoffen, es in Lee der Scott-Insel abwettern zu können“, ruft Erich zuversichtlich ins Mikrofon. Als Arnd aus dem Hintergrund tönt: „Das nächste Tief wollte ich eigentlich in der Badewanne in McMurdo erleben!“, lachen alle.
Die ganze Nacht Bolzerei gegen See und Wind. Der Barograf zeichnet eine Sinuskurve nach unten. Inbrünstig hoffen wir, ungeschoren die Scott-Insel zu erreichen, vielleicht gibt’s dort ja doch ein Ruheplätzchen. „Wenn es dort nur Eis gibt und keine Möglichkeit zu landen, beschwer ich mich bei der Reiseleitung!“, knurrt Uwe, dem der Humor noch nicht vergegangen ist.
Slalomfahrt durch Eisberge und Growler. Einige sieht man wegen der hohen See kaum oder gar nicht auf dem Radar. Ein Glück, dass es nachts nicht mehr ganz dunkel wird.
Wir befinden uns auf etwa derselben Position, auf der Ross 1839 berichtete: „Zwischen zahlreichen Eisbergen und vielem Treibeis setzten wir unsere Reise nach Süden fort. Wir erblickten sehr viele Wale … Sie waren so wenig scheu, dass unsere dicht vorbeisegelnden Schiffe sie nicht zu stören schienen.“ Die Walfänger haben seine Nachricht damals freudig vernommen und sich nicht lange bitten lassen. Wir schauen uns die Augen nach den Meeresriesen aus, haben auf dieser Antarktisreise aber noch keinen einzigen zu Gesicht bekommen!
Bald darauf kreuzte Ross den Kurs des russischen Seefahrers Bellingshausen, der zwanzig Jahre vor ihm durch dieses unbekannte Gewässer segelte. Von der Scott-Insel, die wir ansteuern, haben beide Forscher nichts geahnt; sie soll laut „The Antarctic Pilot“ erst im Dezember 1902 entdeckt worden sein.
In der Nacht passieren wir die südlichste Breite – 64°46′ Süd –, die wir fünfzehn Jahre zuvor, am 13. Januar 1982, an der Antarktischen Halbinsel erreicht haben. Um uns herum haben sich jede Menge Tafeleisberge aufgebaut, zum Teil kilometerlange, über fünfzig Meter hohe Blöcke. Wir segeln wie durch eine stille, geheimnisvolle Stadt mit Gebäuden wie von Christo verpackt. Eines davon, mit Torbögen, Brücken, Erkern, Türmen und einem türkisblauen See, erinnert er an ein herrliches Schloss, vielleicht der Palast der Schneekönigin aus Andersens Märchen?
Zurück in die nüchterne Wirklichkeit: Arnd sammelt eifrig kleine Eisbröckchen vom Wasser für einen Kollegen, der im Forschungszentrum Jülich „die Korrelation zwischen Sauerstoff-Isotopen und Klimaparametern“ untersucht. Bald darauf hören wir Haralds und sehr leise auch Günthers Stimme aus dem Funkgerät: „Kap Adare von Packeis umgeben, Scott-Insel eisfrei!“ Wenigstens dieser Krümel heißt uns also willkommen!