Ilulissat in der Disko Bucht/Grönland, den 1. September 2017
An unsere Freunde und Mitsegler,
Ihr Lieben,
der letzte Blogeintrag stammt vom 17. August aus Fort Ross. Es ist also tatsächlich schon wieder einige Wochen her, dass wir uns gemeldet haben. Nach zwei gescheiterten Versuchen war es uns erst im dritten Anlauf gelungen, uns durch’s Packeis des Peel Sundes und durch die Bellotstraße – sie sind berüchtigt wegen ihrer Eisblockaden und ihrer starken Strömungen – ohne Gefahr fürs Boot frei zu arbeiten.
Wir waren alle ganz euphorisch! Wir hatten den „Gipfel“ der Nordwestpassage erreicht! Schiff und Crew waren einem Stresstest ausgesetzt und hatten ihn bestanden! Wenn man aus der sicheren Deckung ins Packeis geht, kann man sich leicht verschätzen, weiß nicht wie es ausgeht. Das Unternehmen kann scheitern. Aber ohne ein begrenztes Risiko einzugehen (auch mit den neuesten Eiskarten an Bord konnten wir das Risiko nicht ausschließen), ist die Passage nicht zu meistern.
Unsere „Early-Bird-Strategie“ war aufgegangen. Sie bedeutete: So früh wie möglich zur Stelle sein, um keine einzige Chance zu verpassen, denn es könnte die letzte sein! Aus all den Berichten von Seglern der NWP geht hervor, dass auch Experten keine Prognosen für die Bewegungen des Packeises stellen können. Es ist möglich, dass sich zu Beginn des Sommers oder auch erst gegen Ende der Saison eine Passage öffnet. Ebenso ist es möglich, dass überhaupt kein Durchkommen gelingt. Deshalb passierten wir sehr früh das Eis bei Point Barrow und brachen als erste von Cambridge auf, um in einer Bucht vor dem geschlossenen Packeisfeld des Peelsundes in Warteposition zu gehen, dicht gefolgt von der Plum, die eine ähnliche Strategie verfolgte.
Nach uns sind einige Yachten ebenfalls durchgekommen. Aber nun – es ist schon der 1. September – warten immer noch fünf weitere Yachten, die wir ebenfalls in Nome kennen gelernt haben, auf ihre Chance. Sie liegen in Buchten vor den Eisblockaden der Tasmania-Inseln in Wartestellung vor Anker und es ist fraglich, ob sie es in diesem Jahr noch schaffen.
Auch der „Abstieg vom Gipfel“ war nicht ganz ohne Risiko, immer wieder versperrten ausgedehnte Packeisfelder den Weg. Es wurde kälter und in den Nächten bildeten sich bereits neue dünne Eisschichten auf dem Meer.
Bei einer geringen Packeis-Bedeckung von 1 bis 3 Zehntel konnten wir uns durchlavieren. Wenn das Eis aber dichter wurde, mussten wir oft große Umwege in Kauf nehmen. Bei der Wahl der Route sehr geholfen hat uns zweifellos Sven Taxwedel, erfahrener Diplom Meteorologe bei „Wetterwelt“ in Kiel. Zuweilen bekamen wir dreimal am Tag neue Wetter- uns Eisinformationen; vor allem haben uns die brandaktuellen Sat-Fotos der Eisfelder sehr geholfen, die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Einen zweiten Grund zum Feiern gab es mit dem Erreichen von Pond Inlet, als wir das Packeis endgültig hinter uns gelassen hatten. So konnten wir dort zwei unserer Freunde, Folkmar und Norbert, pünktlich für ihren Heimflug absetzen und unseren neuen Mitstreiter Guido aufnehmen.
Nach einer schnellen Überquerung der Baffin Bay (600 Seemeilen in 4 Tagen) wurden wir bei unserer Ankunft in der Disko Bucht belohnt mit einem grandiosen Eisspektakel! Nur ein paar Hundert Meter entfernt von unserem Zielhafen, dem Eskimo-Städtchen Ilulissat, mündet der 55 km lange und sieben Kilometer breite Eisfjord. Wir kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus: Gigantische Eisberge trieben darauf! Sie stammen vom produktivsten Gletscher der nördlichen Hemisphäre. Klar, dass der Eisfjord zum Weltkulturerbe der UNESCO gehört und von vielen Besuchern als das 8. Weltwunder bezeichnet wird. Am Tag unserer Ankunft versperrte ein Teil dieser Eismassen die direkte Zufahrt in den kleinen Hafen. Statt den Riegel weiträumig zu umfahren, suchten wir eine Passage und fanden sie – auch das ein kleines, aber unvergessliches Abenteuer.
Schon vor 30 Jahren wollten wir mit der Freydis II zur Disko Bay. Damals zwang uns ein Maschinenschaden, die Reise nach Norden bereits in der grönländischen Hauptstadt Nuuk zu beenden. Wie haben wir da getrauert, doch was wir wirklich versäumt hatten, erkennen wir erst jetzt.
Dass wir in diesem Jahr so schnell durch die NWP kamen (die ersten auf dem „Gipfel“ in Fort Ross und die ersten am Ziel in Grönland), verdanken wir nicht zuletzt der geballten Mannschaftspower an Bord. Wir waren ständig sieben bis acht erfahrene Segler an Bord, konnten Wachen bilden und uns ablösen. Allerdings mit dem Nachteil, dass ein Konsens in prekären Situationen mit der Zahl der Teilnehmer schwieriger wird.
In Ilulissat legen wir eine Verschnaufpause von ein paar Tagen ein. Doch unsere Reise ist noch nicht zu Ende. Zwar hat ein Teil der Crew hier die Heimreise angetreten, aber dafür sind drei neue Mitsegler im Anmarsch. Mit ihnen werden wir weitere 2 1/2 Wochen in diesem einzigartigen Revier unterwegs sein, bevor wir – hoffentlich – einen sicheren Liegeplatz für unsere Freydis finden, an dem sie überwintern kann. Wir müssen auch auf dieser letzten Reise im Jahr äußerst vorsichtig sein: Die Herbststürme haben eingesetzt und es vergeht seit einer Woche kein Tag, an dem es nicht irgendwo in der Baffin Bay und Davis Strasse mit mehr als 40 Knoten stürmt.
Viele von Euch haben unser „Abenteuer Nordwestpassage“ begleitet. Dass unser SPOTGen3, den wir regelmäßig zweimal am Tag ausgelöst haben, unsere Position nur sporadisch weitergab, lag nicht an uns. Die alten Iridium-Satelliten sind überholt und überlastet und die neuen Satelliten funktionieren noch nicht. Wir werden den Vertrag kündigen und ein besseres System wählen, versprochen!
Über die vielen Zuschriften und Mails freuen wir uns sehr und bedanken uns herzlich dafür. Momentan sind wir nicht in der Lage, sie zu beantworten. Es gibt einfach zu viel zu tun, damit wir in diesem Jahr einen guten Abschluss finden.
Herzliche Grüße
Heide & Erich
Ihr Lieben,
herzlichen Glückwunsch an Euch und die Crew !
Wünsche noch eine gute Zeit und gute Heimreise.
Liebe Grüße
Dietmar und Fumiko