Auf Biegen und Brechen (Teil 2)

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Teil 2: Sturmfahrt durch die Aleuten

„I want to be in Amerika“, das Lied aus dem Film „Westsidestory“ drängt sich mir auf, als sich Attu endlich, am 14. Tag unserer Reise, 500 Meter vor Theodore Point, aus dem Nebel schält. Die Insel ist die westlichste Insel der Aleuten – nur 208 Seemeilen weiter beginnt schon die Kette der russischen Kommandeur-Inseln. Vom Festland Alaska ist Attu dagegen am weitesten entfernt – liegt sozusagen an seinem westlichen Schwanzende.

Was uns auf Attu erwartet, wissen wir nicht, weil wir keine Informationen bekommen konnten. Die Insel ist etwa 900 km2 groß. Wir haben uns eine Bucht im Süden ausgesucht und hoffen, dass wir dort trockenen Fußes an Land können, denn in unserer neuesten Karte sind mehrere Landungsstege eingezeichnet.

Ein verlassenes Eiland

Zwei Stunden, nachdem die Insel in Sicht gekommen ist, laufen wir in die Massaker Bay ein und werden von grünen Hügeln umarmt. Wir s i n d  in Amerika! Wir haben die lang ersehnte, schwer erarbeitete Grenzmarke zum Beringmeer erreicht. Still und geheimnisvoll liegt der Landflecken vor uns. Weder Schiffe, noch Menschen oder Tiere sind zu sehen, nur ein großes weißes Gebäude, das wie eine Festung auf einem der Hügel thront: die ehemalige Loran-Station der U.S. Coast Guard, 2010 geschlossen und damit aller Bewohner beraubt. Von den ehemaligen Landungsstegen ragen nur noch die Holzpfeiler heraus. An ihnen können wir die Freydis nicht festmachen, also ankern wir davor.

Während die Vorhut die Insel erkundet, nehmen der Skipper und sin Fru erst einmal eine Mütze Schlaf. Danach setzen wir mit dem zweiten Landungsteam zum Strand über. Aus dem Wasser ragt jede Menge verrostetes Kriegsmaterial und auch das Inselgelände ist gespickt mit Kriegsmüll. Wir besuchen die Station, die sich als recht gut erhalten erweist, aber rundum verrammelt und verriegelt ist: für uns eine uneinnehmbare Festung. Weitere Entdeckungen sparen wir uns für den folgenden Tag auf.

Ein weiterer Mittwoch – geschenkt

Es wird ein besonderer Tag, denn er hat dasselbe Datum wie der vorangegangene: Mittwoch, der 8. Juli. Wir sind zwar schon längst über die Internationale Datumsgrenze gesegelt, haben das aber nicht wahrgenommen. Nun lässt sich diese unsichtbare Linie aber nicht mehr übersehen. Zu unserer Freude gewährt sie uns ein Zeitgeschenk: einen Tag, den wir bei der Planung unserer Insel-Aufenthalte nicht mit eingerechnet hatten – noch dazu einen wunderschönen Sonnentag. Und das wissen wir um so mehr zu schätzen, als auf Attu, laut Seehandbuch an über 300 Tagen im Jahr das typische Aleutenwetter herrscht: dichte Bewölkung, Nebel, Regen und oft starke Winde. Nur an acht bis zehn Tagen soll es sonnig und klar sein.

Bergauf, bergab wandern wir – wobei ich wegen meines an Bord lädierten Rückens meist nur hinterher hinken kann – über saftige Wiesen und Hügel, übersät mit den schönsten Blumen – Lupinen, Wilder Iris, Angelika, Fritillaria camschatcensis etc. etc.. Ab und zu gesellen sich neugierige kleine Landvögel zu uns oder eine überraschte Wildgans fliegt dicht vor uns aus dem hohen Gras. Abgesehen von dem rostigen Schrott darin, hat das einstige Schlachtfeld an der Massaker Bay ein unschuldig-freundliches Gesicht bekommen. Denn hier war es, wo die japanische Armee in einem der größten Schlachten des Pazifik einen plötzlichen Angriff startete und weit genug in die amerikanischen Verteidigungslinien eindrang. Es kam zu einem erbitterten und brutalen Nahkampf, wobei die Japaner fast bis zum letzten Mann getötet wurden. Darunter der japanische Befehlshaber der Insel, Oberst Yasuyo Yamasaki und 2635 Soldaten – nur 27 Soldaten kamen in Kriegsgefangenschaft. Die Amerikaner zählten 600 Tote und 1200 Verletzte. Das Schlachtfeld wird seit 2008 als Teil des „World War II Valor in the Pacific National Monument“ als Gedenkstätte ausgewiesen.

Von Attu aus segeln wir nach Osten und laufen dabei eine Reihe weiterer Aleuteninsel an, wobei wir uns vor jedem Start durch ein Telefonat mit Herrn Taxwedel von Wetterwelt Kiel vergewissern, ob die Luft sauber ist und keine bösen Überraschungen drohen.

Kriegsschrott, Minen, Granaten…

Zunächst aber ziehen wir dicht an der kleinen Insel Shemya vorbei, die – wie uns Kalle Bunte, ein befreundeter Physikprofessor und ehemaliger Mitsegler, schrieb: in Weltraumschrott-Forscherkreisen eine gewisse Berühmtheit erlangt hat, weil dort ein Radar steht, das anfliegende Interkontinentalraketen frühzeitig erkennen soll. Es hat aber auch den sehr empfindlichen Sensor eines Weltraumschrott-Detektors (für sehr kleine staubkorngroße Partikel) ausgelöst, wenn er über Kamtschatka flog. Das sah dann so aus, als ob es dort immer an der gleichen Stelle Einschläge gab (was sehr unwahrscheinlich ist). Es hat einige Mühe gekostet, den Zusammenhang mit dem Radar auf Shemya herzustellen, weil die Amerikaner über diese militärische Einrichtung natürlich keine Auskunft geben wollten…

Anschließend passieren wir die Vogelinsel Buldir, unter Vogelkundlern weltberühmt wegen ihrer großen Seevogel-Kolonien, die in ihren Steilwänden brüten, und dann kommt die Nordspitze von Kiska in Sicht. Aber die Insel verbirgt sich schon bald unter einer dichten Nebelkappe. Orientierung nur durch Radar und Kartenplotter. Georg Wilhelm Steller, der deutsche Naturwissenschaftler auf der Großen Nordischen Expedition (1733–1743) von Vitus Bering, notierte über die von ihnen neu entdeckte Insel in sein Tagebuch:

„Den 25sten October hatten wir sehr klares Wetter mit Sonnenschein. Dennoch hagelte es Nachmittags zu verschiednen Malen. Am Morgen erblickten wir mit Verwunderung eine grosse hohe Insel auf 51 Graden vor uns im Norden, welche wir auf der Hinreise vierzig Meilen von uns in Osten hatten. Man befand sich am Mittag auf 50 Grad 35 Minuten Norderbreite.“

Im Gegensatz zu Steller dürfen wir uns auf einen Landgang in Kiska Harbor freuen. Wie auf Attu sind auch hier, am pechschwarzen Vukan-Aschenstrand, die hölzernen Landungsstege durch Seegang und Eis zerstört. Als wir mit dem Dingi zum Ufer übersetzen, empfängt uns dort ein riesiges Schild: Danger! Unexploded Bombs, Shells, Grenades, Mortars, and Similar Items Are Hazardous. Items May Explode If Moved or Handled.

Trotzdem riskieren wir einen Marsch über die Schotterwege, die mittlerweile von der Natur zurück erobert sind und durchs Gelände, das im Bewuchs wie auch im überall herumliegenden Kriegsschrott der Insel Attu sehr ähnelt. Wie diese, hat auch Kiska seit 2008 den Status einer Nationalen Gedenkstätte, darauf weisen auch einige Gedenktafeln hin. Noch nachträglich stehen mir die Haare zu Berg, als uns später auf Adak der Chef des Munitionsräumungskommandos versichert: »Auf Kiska liegen noch sehr viele japanische Sprengfallen und andere nicht entschärfte Munition. Demnächst werde ich dort alles absperren; in Zukunft darf keiner mehr auf die Insel.«

…Atombombenversuche…

Als nächstes würden wir gerne Konstantin Habor auf der Insel Amchitka anlaufen, der einen geschützten Ankerplatz versprach. Aber daraus wird nichts, denn laut American Pilot wurde die Insel und die umgebenden Gewässer 1986 gesperrt: Die Amerikaner hatten hier Atombomben-Versuche durchgeführt.

Auf der Weiterfahrt nach Adak werden wir von einer großen Delphin-Schule begleitet, Wale blasen aus der Ferne und Orcas schauen dicht vorbei. Bei 6 Windstärken aus West läuft unser Bootchen wie geschmiert – ständig zwischen 7-9 Knoten. Um 20 Uhr Bordzeit biegen wir um Kap Adakdak und zwei Stunden später, mit Hilfe von Radar und elektronischer Seekarte, in tiefer Dunkelheit und gegen Wind und Regen, in die Kuluk Bay ein. Dort legen wir uns nach einigen Anläufen an einen alten Versorger, der hier als Schwimmponton noch gute Dienste tut. Auch über Adak, die dritte Insel, die wir aufsuchen, haben wir vorher wenig in Erfahrung gebracht. Ja, wir wissen nicht einmal, ob hier Menschen leben oder ob sie genauso verwaist ist wie Attu und Kiska. Auch das Internet gab nur wenig Information über den aktuellen Stand.

…eine Geisterstadt…

Und so trifft uns das, was wir hier vorfinden, völlig überraschend: Mein erster Landgang am frühen Morgen führt mich zur unerwartet großen Inselklinik wegen meines Rückens. Doch das weitläufige Gebäude ist gähnend leer. Schließlich finde ich tatsächlich eine Kollegin in einem der Zimmer. Sie kann hier nichts für mich tun, sagt sie, rät mir nach Dutch Harbor zu fliegen und von dort nach Anchorage, wo es eine orthopädische Abteilung und ein MRT gibt. Ich entscheide mich erst einmal für aktives Training. Wir erkunden die großzügig angelegte, moderne Stadt mit breiten Straßen, einer großen und relativ gut erhaltenen Bungalow-Siedlung, zahlreichen mehrstöckigen Hochhäusern, öffentlichen Gebäuden wie Elementary School, High School, Rathaus, Sportplätzen und besagter Klinik, etc., etc., nicht zu vergessen McDonald, Pizza-Hut und anderen Restaurants, einem Flugplatz – und – k a u m  Bewohnern (gerade mal 120, wie wir vom Bürgermeister erfahren). Eine Geisterstadt, eine Mega-Geisterstadt! Gebaut und bewohnt wurde sie tatsächlich einmal von 90.000 Menschen, so Justin Peach, Chef des Munitions-Räumungskommandos, den wir im Mini-Supermarkt (mangels Käufer täglich nur eine Stunde von 7-8 p.m. geöffnet) kennen lernen, und der uns samt Einkäufen – die ersten und ziemlich teuren seit drei Wochen – mit dem Pickup zum Boot bringt.

Bei Justin zuhause – in einem der wenigen bewohnten Bungalows – laden wir den aktuellen Wetterbericht herunter: ein Taifun über Japan in der Kategorie 4-5 ist auf dem Weg zu den Aleuten, wo er uns mit letzter Puste – immerhin noch in Sturmstärke – die kommende Woche zusetzen wird. Außerdem nehme ich meine erste heiße Dusche seit drei Wochen.

Restaurants werden nicht mehr betrieben, aber in einem der Bungalows haben eine Filippinin und ein Amerikaner ein Café namens „Blue Bird“ eröffnet, wo wir in der „guten Stube“, die auch gut besucht ist, ein gut gewürztes Abendessen einnehmen. Endlich wieder amerikanische Portionen, schreibt unser Skipper später ins Logbuch. Auch ich fühle mich wohl in den wieder gewonnenen Annehmlichkeiten der Zivilisation.

Was wir dann aber auf der Tour im Pickup erleben, zu der uns Justin einlädt, erscheint mir wie aus einem Science Fiction Film: Ein Haus am Rande der Stadt mit dem seltsamen, weißen Anntennewald, von dem Justin schmunzelnd behauptet: „Hier suchen Leute im Äther nach Aliens“, und uns später verrät, dass hier Wissenschaftler der Universität Fairbanks „Space-Listening“ betreiben. Dann diese weitläufigen Tunnel unter den „Barracks“ (so wird der gewaltige Hochhäuser-Komplex auf dem Hügel über der Stadt genannt), in denen unter anderem ein Schwimmbad und ein Theater für viele Besucher untergebracht ist. Seit dem Erdbeben im Juli 2014 von der Stärke 7,9 RS sind sie allerdings nicht mehr so ganz sicher – laut Justin gibt es im Durchschnitt etwa 30 Erdbeben pro Jahr auf der Insel; die Daten der Seismografen gehen direkt nach Fairbanks, wo sie ausgewertet werden. Zusätzlich ist der bewohnte Teil der Insel aber auch noch unterhöhlt mit Bunkern, „Shelter“ (Unterschlüpfe) für je 40 Personen bei Bomben- und Gas-Angriffen und sogar bei radioaktiver Verseuchung. Mit Jochens Taschenlampe wird eine schwere Eisentür sichtbar, eine Duschkabine, Küche, ein großer Schlafraum mit Haken für Hängematten etc., etc., alles, was die Bevölkerung für wochenlanges Überleben brauchte. Kalte Schauer über den Rücken jagt mir dann aber der Besuch der „Spy-City“, ein Hochsicherheitstrakt, weit abgelegen und umgeben von einem doppelten Stacheldraht-Verhau; im Innern mehrere gesichtslose Gebäudekomplexe mit winzigen, hochgelegenen Fenstern. Alles erinnert an ein Strafgefangenenlager. Doch es war ein Ghetto für Spione: Sie durften weder ihre Familien zu sich auf die Insel holen, noch telefonischen Kontakt zu ihnen oder zu sonst jemandem aufnehmen, ja, nicht einmal in die Stadt gehen und mit anderen Bewohnern reden.

… – die Reste des Kalten Krieges

„Ein Wahnsinn! Wer hat das alles zu verantworten“, frage ich Justin. „Die Regierung Reagan“, antwortet er. Erich nickt: „Mit diesem Wettrüsten hat er die Sowjetunion in den Bankrott getrieben.“ Apropos: Ein Gruß von den Russen des 18. Jahrhunderts ist noch die zerfallende Orthodoxe Holzkirche am Rande der Stadt; sie wurde von einer Militärkapelle ersetzt. Lachen können wir erst wieder, als Justin vor einem Waldfleckchen von wenigen Quadratmetern hält und wir auf dem Schild davor die Aufschrift lesen: You are now Entering and Leaving Adak National Forest.

Bei all dem Rüstungs-Irrsinn habe ich fast vergessen, die wunderschöne Landschaft der Insel zu erwähnen, die saftig-grünen Hügel, die große Lagune, an der wir entlang fuhren, die Buchten, die steilen Klippen am Ufer und die einsamen Strände. Justin schwärmt von seiner Besteigung des Mt. Adakdak, der sich vor uns leider im dichten Nebel verbirgt.

Auf dem Weg nach Unalaska

Bei dem angekündigten schlechten Wetter hatten wir eigentlich vor, direkt nach Umnak in die 300 Seemeilen entfernte Nikolski Bay zu segeln, die Schutz gegen alle Winde bietet. Nach Orkanböen und heftigsten Strudeln in der Inside Passage der Adrianof Inseln entschließen wir uns dann aber zu einem Zwischenstopp in der Nazan Bay von Atka. Außerdem hatten wir gehört, dass es dort ein kleines Dorf von Aleutenbewohnern gibt – mit Aleuten (so genannt von den Russen im 18. Jahrhundert) oder Unangas, wie sie sich selbst nennen, hatten wir auf dieser Reise noch keinen Kontakt. Denn obgleich die Insel Adak bis auf wenige Militär-Areale heute zu den Aleuten gehört, sind wir dort nur weißen Amerikanern oder Filippinos begegnet. Und so ankern wir in der malerischen Bucht vor dem Dorf mit einer hübschen Orthodoxen Kirche. Von den ca. 50 Aleuten, die noch ihre eigene Sprache sprechen, sehen wir allerdings wenig. Sie wollen möglichst unter sich bleiben (das hat historische Gründe, auf die ich in meinem Buch „Alaska-Japan“ bereits ausführlich hingewiesen habe), wenn aber Kontakt mit Weißen, dann mit ihren Arbeitgebern: hier mit den Betreibern einer kleinen Fisch-Verarbeitungsanlage. Wir sind zwar ein bisschen enttäuscht, aber noch ist die Reise ja nicht zu Ende.

Vor Einbruch der Dunkelheit lichten wir den Anker. Wie so oft auf dieser Reise, ist der Skipper nach unserer Wache, die um Mitternacht endet, auch weiterhin gefordert: Diesmal wird er nachts um halb Vier durch das Anwerfen der Maschine und durch heftige Schiffsbewegungen geweckt; an Deck findet er ein wildes Tohuwabohu vor: Eine Patenthalse hat die Freydis aus dem Kurs geworfen, der Bulle, der den Großbaum sicherte, war los geworfen und der 6 Meter lange Baum knallte von einer Seite zur anderen. Da die Selbststeueranlage ausgeschaltet war, saß der Rudergänger geduckt, mit eingezogenem Kopf, hinter dem Kompass, den er aber nicht ablesen konnte, weil das Kompasslicht nicht eingeschaltet war. Die Freydis fuhr dadurch wilde Kreise in aufgebrachter See. 10 Minuten später war zwar wieder Ruhe im Schiff, aber um Skippers Schlaf wars geschehen.

Es folgt ein harter, aber sehr abwechslungsreicher Segeltag: Bei Starkwind und hoher See segeln wir dicht vorbei an der Vogelinsel Chagulak – einem Vulkan. 100.000sende Vögel im Wasser und in der Luft, dann über die Amukta Passage mit Stromschnellen und -wirbeln, die einen aufmerksamen Rudergänger verlangen, weil sie unser Boot oft 30-40 Grad aus der Bahn werfen. Der Nebel hat sich verzogen, und in der Dämmerung haben wir einen grandiosen Blick auf die Inselgruppe der Four Mountains mit ihren gletscherbedeckten Vulkanen in makelloser Kegelform – unwirklich schön, wie nicht von dieser Welt!

Ein Grund zum Feiern…

Am Tag darauf erreichen wir Nikolski. Erich ins Logbuch: Der Kreis um den Nordpazifik schließt sich. Vor neun Jahren waren wir schon einmal, vom Midway-Atoll (Hawaii-Kette) kommend, auf dieser Insel angelandet.

Und das feiern wir alle auf der Freydis mit frischem Heilbutt zum Abendessen. Wir bekommen ihn von dem weißen Amerikaner Scott und seiner Unanga-Frau Agrippina geschenkt. Die beiden erinnerten sich noch gut an uns und die alte Freydis. Durch die beiden kriegen wir auch rasch Kontakt zu den übrigen Mitgliedern der kleinen Dorf-Gemeinschaft. Wir werden sogar eingeladen an der Trauung am nächsten Morgen in der orthodoxen Kirche teilzunehmen, der Priester und seine Frau sind schon aus Dutch Harbor angereist. Das Brautpaar – Andrew und Maria – freuen sich über unsere Anwesenheit und bitten uns anschließend zum Fest im Gemeindesaal. Dass die Unangas den Weißen gegenüber sehr reserviert sind (und nicht fotografiert werden wollen!), habe ich erwähnt. Aber hier lernen wir sie von einer ganz anderen Seite kennen: nicht nur in der Kirche dürfen wir sie fotografieren, sondern auch beim Feiern und bei ihren Ritualen. Während ich noch die Speisen und die Hochzeitstorte genieße, muss Erich das Fest allerdings bald verlassen. Bei plötzlich einsetzendem Starkwind slippt der Anker, und die Freydis droht auf die Felsen zu driften.

Am Abend liegt die Freydis in der Bucht wieder näher am Ufer und hat zusätzlich zum Anker eine Leinenverbindung zur einzigen Muringtonne. In der Nacht Böen um 40 Knoten – der Taifun aus Japan lässt grüßen! Wir müssen Ankerwache halten.

…und ein Bad in den heissen Quellen

Die Hot Springs in der Inanudak Bay soll ein letzter Höhepunkt dieses Reiseabschnitts werden. Sie liegen 30 Seemeilen entfernt auf derselben Insel. Eine nasse Landung in der flachen Hot Springs Cove und das unebene und schwer begehbare Gelände, lässt die Suche nach den heißen Quellen zu einer kleinen Herausforderung werden. „Da sind sie, da sind sie!“ frohlockt Erich schließlich, auf eine etwa 3 Kilometer entfernte Stelle im Inneren der Insel zeigend, von der weißer Dampf aufsteigt. Während die Crew den Rückzug an Bord vorzieht, trabt der Skipper wie ein Elch durch die unwegsame Landschaft in Richtung Dampf-Fahne. Ich haste ihm hinterher wie ein flügellahmes Huhn, von einem Loch ins nächste plumpsend, im Sumpf fast versinkend und todesmutig auf glatten Steinen durch eiskalte Gebirgsbäche wankend. Aber die Fumarole winkt mir freundlich zu. Und dann liegen wir tatsächlich im heißen Wasser eines kleinen Pools – wohlig entspannt. Das Leben ist schön!

Ankunft

Unter ausgebaumter Genua und zwei Reffs im Groß brausen wir durch die Nacht unserem Ziel entgegen: Dutch Harbor auf Unalaska. Bereits am Mittag liegen wir aufgetankt an unserem alten Liegeplatz im Small Boat Harbour.

(Er bietet guten Schutz gegen stürmische Winde und wir sind schon nach wenigen Metern im Zentrum der „City“ – d.h. bei den beiden Supermärkten. Wasser und Strom sind angeschlossen und gleich um die Ecke können wir uns in einer Fischfabrik kostenlos einloggen. Aber das Insel-Netz ist überlastet und die Verbindung miserabel – abends bricht sie gar zusammen. Nach zwei Stunden haben wir unsere Mails heruntergeladen, aber auch ziemlich schlechte Laune wegen der Warterei.)

4 ½ Wochen waren wir unterwegs, knapp 2500 Seemeilen liegen seit Japan im Kielwasser der Freydis, 1500 nonstop über See und 1000 in der Aleutenkette. Für die neue Freydis war es die erste Reise in ein extremes Gebiet. Sie hat sie mit Bravour gemeistert und die Crew hat ihr Bestes gegeben.

Herzliche Grüsse

Heide

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3 Antworten zu Auf Biegen und Brechen (Teil 2)

  1. Klaus Grün sagt:

    ich verfolge mit großem Interesse Euren Blog und denke gerne an den Törn mit Euch zurück. Ich wünsche Euch immer fair winds und eine Handbreit Wasser unterm Kiel. Liebe Grüsse Klaus

  2. Herbert Fritz sagt:

    Meinen Glückwunsch zu dieser grandiosen Leistung, ich habe jede Zeile von Euch mit viel Interesse verschlungen.
    Macht weiter so, viel Spass und Gesundheit wünsche ich Euch allen.
    Gruß Herbert

  3. Hartmut Homburg sagt:

    Der Bericht war spannend wie immer. Ich freue mich schon auf weitere. Immer fair wind, Hartmut

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