Montag, 09.06.2014, Heidelberg
Als wir Ende April in Okinawa einliefen, sprach uns ein japanischer Segler an: In der neuesten Ausgabe von ‚KAZI“ (der führenden japanischen Segelzeitschrift), sei ein Bericht über die alte Freydis mit Bildern von ihr aus Fukushima. Und wie es auch da wieder hieß: Sie würde dort zu einem Denkmal werden.
Iwaki und das Wrack – ein Denkmal?
Das war der Anlass für uns, vor dem Rückflug nach Deutschland noch einen Abstecher nach Iwaki zu machen, nach dem Wrack zu schauen und unsere Freunde zu besuchen: Jürgen Oberbäumer, der ‚Deutschen vom Dienst“ (er lebt mit seiner japanischen Frau Mariko seit 30 Jahren in Iwaki), John Becker, Schriftsteller und Maler und Imai-San, Segler und Freydis-Fan.
Vor drei Jahren waren wir das letzte Mal in Fukushima gewesen: Unser Versuch, die havarierte Freydis von den Klippen in tiefes Wasser zu schleppen, war damals gescheitert. Ein paar Sachen hatten wir abgeborgen, aber wir mussten dem Seeschiffsregister in Cuxhaven melden, wie es im Juristendeutsch so schön heißt: ‚Das Schiff ist ausbesserungsunfähig verloren“. Damit wurde es Eigentum der Bezirksregierung Fukushima. Sechs Monate später ließ sie das Schiff bergen, das in der Brandung auch nach zwei Taifunen nicht auseinander brechen wollte und dessen Mast noch stand. Dafür musste es zerschnitten und es musste sogar ein Hügel oberhalb der Klippen abgetragen werden. Damit es nicht auf dem Schiffsfriedhof landete, spendeten wir – mit Unterstützung unserer Freunde und Mitsegler – € 11.000 auf Anfrage von Tetsuo Komata von der Japanisch-Deutschen Gesellschaft Iwaki.
Die eigentliche Bergung vor drei Jahren hatten wir nicht mehr miterlebt – der Bau der neuen Freydis (III) hatte uns viel zu sehr in Anspruch genommen.
Vor gut einem Jahr bekam die Freydis prominenten Besuch: Cai Guo Quiang, der berühmte chinesische Bildhauer, Maler und Aktionskünstler, prüfte, ob sie für ihn ein geeignetes Kunst-Objekt sei. Leider haben wir uns nicht mit ihm treffen können – wir waren mit der „Neuen“ Richtung Australien unterwegs.
John Becker (Künstlername Bekka Jion) und seine Frau Michiko erwarteten uns am Bahnhof. Das Schicksal der Freydis hatte ihn zu einer Novelle inspiriert, dem letzten Band seiner Trilogie. Auf dem Cover prangt unsere von der Brandung gebeutelte Freydis. John und Michiko führten uns den Hügel hinauf zur Schuh-ei Kohkoh Hochschule.
Nun, da lag das Wrack also – von Schneidbrennern zweigeteilt, samt Mast und Rigg – wie wir es von Bildern her kannten (Herr Oberbäumer und Herr Komata hatten sie uns nach dem Transport geschickt). Ein trauriger Anblick. Wehmütige Erinnerungen kamen in uns hoch, als wir durchs ausgeweidete Bootsinnere stapften: In der Bilge wuchs schon hier und da Gras und an einem Spant klebte noch eine Ein-Dollarnote, der Rest unserer damaligen, gut gefüllten Bordkasse – alles passé.
„Viel ist seitdem nicht geschehen“, so der neue Leiter der Hochschule, Herr Naohiro, den wir schon in Heidelberg kennen gelernt hatten. Die Präfektur von Fukushima sei immer noch mit der Beseitigung der Schäden beschäftigt, die Erdbeben, Tsunami und Verstrahlung angerichtet haben. Über Gedenkpark und Denkmal sei deshalb noch gar nicht endgültig entschieden worden.
Infrastruktur und Küstenschutz sind wichtiger
Verständlich: Am nächsten Tag zeigte uns Herr Imai – einer der Segler, die uns vor drei Jahren beim Abbergen von Winschen, Segeln und Tauwerk geholfen hatten – einen Teil des Küstenstreifens. Weil er weder englisch noch deutsch spricht, begleitete uns May, Tochter von Herrn Oberbäumer, den ganzen Tag und dolmetschte (sie ist in Japan aufgewachsen und hat Abitur in Deutschland gemacht).
Wir konnten kaum glauben, was wir dort alles sahen: Milliardenbeträge werden in Infrastruktur und Küstenschutz investiert, um in Zukunft für Tsunamis besser gerüstet zu sein. Ein 400 Kilometer langer Betonwall ist am Entstehen. Der große Hafen von Onahama wird wieder aufgebaut, im Bau ist auch eine riesige Brücke über den Hafen; viele Gebäude und Lagerschuppen sind bereits in Funktion.
Mit Imai-San fuhren wir auch zur ehemals angrenzenden ‚Iwaki Sun Marina“, aus der die Freydis am 11. März 2011 herausgespült worden war. Die schöne, gepflegte Marina war nicht mehr zu erkennen. Ihre Gebäude waren geschleift und auf den ehemaligen Stellflächen der Boote lagerten jetzt tausende von Tetrapoden aus Beton, die zur Verstärkung der Wellenbrecher dienen sollen.
Die ganze Küste ist durch das Erdbeben 70 cm abgesackt, entsprechend werden alle Wellenbrecher und Betondeiche erhöht, so Imai-San. Angeblich soll auch die Marina wieder aufgebaut werden. Aber alles ist vage, auch für die Menschen vor Ort. Japan ist eine Konsensgesellschaft – beschlossen wird in zahlreichen Ausschüssen und Gremien. Keiner weiss vorher, was am Ende wirklich geschehen wird.
Wir besichtigten das große Aquarium, eine der Hauptattraktionen von Iwaki und Onahama. 200.000 Meerestiere waren damals krepiert, als die Pumpen ausfielen. Nun war es restauriert und strahlte im alten Glanz.
Beeindruckende Aufbauleistung
Beeindruckend, geradezu ergreifend, was in den drei Jahren geschaffen wurde. Wäre da nur nicht die ständige Bedrohung durch das benachbarte havarierte AKW Daiichi, ehemals eines der leistungsstärksten Kernkraftwerke Japans: Nach Expertenmeinung besteht nur wenig Aussicht auf Erfolg, die absolute Katastrophe zu verhindern – und die Menschen wissen das. Sie trauen nicht den Aussagen des Betreibers Tepco und der Regierung, die immer wieder wichtige Informationen zurückhalten und die Probleme bagatellisieren und sie leben in ständiger Angst, dass sich die Katastrophe ausweiten könnte. Viele Familien, vor allem mit Kindern, sind deswegen fortgezogen.
Verdrängen oder aufarbeiten?
Aber sie verdrängen auch viel. Einer der nicht verdrängt, ist Jürgen Oberbäumer. Er ist dabei, ein Buch abzuschliessen, das den 11. März 2011 und seine Folgen beschreibt: Die Folgen für ihn und seine Familie, für die Nachbarn und Freunde, für die Menschen in der Region. Und er benennt Fehler und Versäumnisse der Betreiberfirma Tepco und der Japanischen Regierung, stellt beide schonungslos an den Pranger.
An der Stelle, an der wir vor drei Jahren mit vereinten Kräften durch die Brandung zur Freydis geschwommen waren, um noch zu retten, was möglich war, überreichte uns Herr Imai nun zwei Teller, die er später nach dem Ausschlachten der Freydis sicher gestellt hatte. Er freute sich sehr, als wir sie auf seinen Wunsch für Herrn Oberbäumer und ihn signierten zur Erinnerung an den heutigen Tag, der auch noch sein Geburtstag war.
Die Bedrohung bleibt
Nur zwei Tage waren wir in Fukushima und spürten intensiv die Bedrohung, die von Erdbeben, Tsunami und AKW ausging. Auf der Rückfahrt nach Tokio waren wir uns einig, dass wir uns und die neue Freydis dieser Küste im nächsten Jahr nicht noch einmal aussetzen würden. Die Reise nach Norden werden wir auf der anderen relativ sicheren Seite Japans, der Westseite von Honshu, über das Japanische Meer fortsetzen.
Hallo ihr beiden,
sehr bewegend euer Bericht.
Muss schon eigenartig sein, vor seinem ehemaligen Boot zu stehen, mit dem ihr so viel erlebt habt.
Toll, dass ihr nicht aufgegeben habt!
Grüße
vom Käpt’n der La Pirogue
(Holger)
Liebe Heide,lieber Erich,
jedes Ende ist ein neuer Anfang.
Schön und bewegend,jetzt nochmal Abschied nehmen zu können und toll,dass Ihr so positiv nach Vorne schaut!
Auf zu neuen Taten mit Freydis III ! Freu mich,Euch hoffentlich in Alaska verwöhnen zu dürfen!
Hello from Iwaki,
Lovely page, Erich and Heide,
I will pass on to my Swiss brother as well.
Three items:
*My artist name is Bekka Jion, not Ion Mekka
*Although I paint and write, I always just say artist because I also spend much time on music, architecture etc. („Kunstler“???).
*You did not mention to me that Cai Guo Quiang was in on your project. If he does it, funding and PR will happen easily because he likes a more public face than I, and also I have enjoyed my past projects and getting older and tired. Most embarrassing was that just the day before this email from you came, at a gallery I was talking with Japanese about the project with Freydis, and Cai Guo Quiang’s good friend Mr. Fujita was there, probably already knowing everything, although he said nothing. I would have said nothing if I had known about Cai Guo Quiang’s involvement (English expression: Too many cooks spoil the broth.“) I will continue as I can, to support the Freydis project. Certainly keep me up to date on what is happening. Often I have embarrassing/ shame things here because no one tells me anything, except Juergen.
Continued best regards, from both of us.
John and Michiko
Liebe Heide, lieber Erich
was für ein trauriger Beitrag von Euch, auch wenn in Japan offenbar mehr getan wird als unsere Medien berichten. Aber das wissen wir ja inzwischen, berichtet wird immer nur über Katastrophen !
Abgesehen davon sind wir sehr erfreut, daß ihr wohlbehalten wieder in Deutschland angekommen seid. Schwierige Törns scheinen eine Art Lebenselexier für Euch zu sein und man wünscht sich jedes Mal, daß ihr gesund sichere Gestade erreicht !
Wir sind gespannt auf weitere Berichte und vorallem Fotos.
Im Übrigen wißt ihr ja sicher noch wo Dresden liegt und daß ihr jederzeit herzlich willkommen seid !!!
Ganz liebe Grüße aus Sachsen von Inge und Sigi
Hallo Heide und Erich,
seit einiger Zeit (kurz vor unserem 50. Abiturjubiläum) schickt Ihr mir nun Eure Berichte von Euren z.T. atemberaubenden Fahrten. Dafür möchte ich mich an dieser Stelle einmal herzlich bedanken. Welch ein Leben ist das! gemessen an unseren engen Ausflügen in die Welt. Bei Eurem Bericht aus Fukushima lief mir wieder die Gänsehaut über den Rücken bei der Erinnerung an jene Tage, die ja immer noch nicht vorbei sind, vielleicht nie vorbeigehen. Vielen Dank und Gott befohlen bei all Euren Unternehmungen. Mit lieben Grüßen von dem heißesten und stürmischsten Pfingstfest seit der Wetteraufzeichnung aus Lingen von Heere
Liebe Wilts.
Habe den Komentar wie immer ausgedruckt,damit ich immer nachlesen kann
was geschehen ist.
Es ist kaum zu glauben was man zum Schutz des Landes aufbaut. Wir ziehen
den Hut vor dem Land.
ABER! Auch alle Achtung vor Ihrem Mut zur Sache. Ich glaube,man kann das nur
verstehen,wenn man am Unglück dabei war und selbst betroffen ist.
Ich wünsche Ihnen und wie immer Allen an Bord eine weitere gute und gesunde Reise. Der Alte Spruch: Immer genug Wasser unterm Schiff.
Ihr treuer Leser, Peter Metzmacher.