Freunde,
lang ist’s her, dass wir uns gemeldet haben, und es mehren sich die Anfragen, wo wir sind und wie es uns geht.
Nun, die Freydis hat ihr Ziel erreicht. Wir liegen im kleinen Hafen von Isafjördur im Nordwesten Islands, keine 30 Meilen vom Polarkreis entfernt. Unsere letzte Crew hat vor wenigen Tagen die Heimreise angetreten, nachdem sie uns noch kräftig beim Vorbereiten des Bootes geholfen hat, das hier überwintern wird.
Der letzte Törn von Julianehåb nach Island hatte es in sich: Vor einem Jahr hatten wir in den Erläuterungen zum Törnplan geschrieben:
„Törn IV ist sehr anspruchsvoll: Im ersten Teil bleiben wir in den Fjorden und Sunden Südgrönlands, baden in der einzigen heißen Quelle Grönlands auf der Insel Unartoq und durchqueren den Prins Christian Sund, damals wie heute ein Highlight mit seinen Gletschern, Fjorden, Gebirgszügen und kleinen Siedlungen. Der zweite Teil dieses Törns führt vom Ausgang des Prins Christian Sundes 600 Meilen über die Irminger See nach Reykjavik auf Island – ein echter Hochseetörn. Wenn möglich, d.h. wenn günstige Wind- und Eisverhältnisse dies zulassen, machen wir einen Umweg über Ammasalik (Tasiilaq) an der Ostküste Grönlands.“
Das Baden in den heißen Quellen auf der Insel Unartoq war ein seltener Genuss in Grönland, entsprechend lange haben wir es ausgekostet, bevor wir weitergesegelt sind zur kleinen Eskimo-Siedlung Augpilatoq im Prins Christian Sund. Unsere unternehmungslustige Crew war Feuer und Flamme, als wir dort einen Abstecher zum Kap Farvel an der Südspitze Grönlands vorschlugen. Dieses Kap liegt auf 60° Nord und hat wegen der vielen Stürme, dem Packeisgürtel und der vielen Eisberge einen noch schlechteren Ruf als das berühmt-berüchtigte Kap Hoorn, das auf der Südhalbkugel auf 56° liegt und damit südliches Pendant vom Kap Farvel ist. Bei den Rahseglern hiess es deshalb jahrhundertelang: Wer ums Kap Hoorn segelt, darf ein Bein auf den Tisch legen, wer auch ums Kap Farvel gesegelt ist, darf beide darauf legen.
Dass Kap Farvel weit weniger bekannt ist als Kap Hoorn rührt daher, dass vor dem Bau des Panamakanals alle Schiffe, die vom Atlantischen in den Pazifischen Ozean (oder umgekehrt) wollten, wohl oder übel ums Kap Hoorn mussten, denn die Nordwestpassage war wegen des vielen Eises kein Schifffahrtsweg (und ist es bis heute nicht). Kap Farvel dagegen wurde nur von wenigen Walfängern passiert, die in der Davisstraße und Baffinbay Wale jagten.
Zwar sind wir beide schon ein gutes Dutzend Mal ums Kap Hoorn gesegelt, aber bisher noch nie um dieses gefürchtete Kap Farvel. Und nun dürfen wir seit ein paar Wochen beide Beine auf den Tisch legen. Ein günstiges Wetterfenster erleichterte uns die Umrundung.
Statt nun von Kap Farvel den schnellen und direkten Weg nach Island zu nehmen, entschieden wir uns für die Route entlang der grönländischen Ostküste nach Tasiilaq (Ammasalik) – ein Umweg, dazu vom Wetter und von der Navigation her deutlich anspruchsvoller, zumal der kalte Ostgrönlandstrom gegenan steht und ständig mit Eisbergen, Growlern und Gletscher-Abbrüchen zu rechnen ist. Gute Ankerplätze sind rar, Nebel ist häufig. Belohnt wurden wir durch das Segeln an einer rauen, gebirgigen, vergletscherten Küste entlang. Eine einzigartige Szenerie und für uns alle ungeheuer eindrucksvoll.
In Tasiilaq lebt seit Jahrzehnten der Südtiroler Robert Peroni, ein bekannter Extremsportler und Bergsteiger, der zahllose Expeditionen in Wüsten und in eisigen Gefilden durchgeführt hat – international bekannt wurde er durch die Erstüberquerung des grönländischen Inlandeises an seiner breitesten Stelle. In Tasiilaq betreibt er das Hotel „The Red House“, in dem er ausschließlich Inuit beschäftigt. Wir hatten das Glück, ihn dort anzutreffen und mit ihm beim typisch grönländischen Abendessen zu plaudern.
Für die Passage von Tassiilaq/Grönland nach Isafjördur/Island über die Dänemarkstraße hatten wir vorsorglich eine ganze Woche veranschlagt. Also reichlich Zeit für die 360 Meilen – so jedenfalls dachten wir. Dann aber kam der 7-Tages-Wetterbericht von Wetterwelt in Kiel. Herr Taxwedel, der uns auch schon in den letzten Jahren in kniffligen Situationen (von Japan zu den Aleuten und durch die Nordwestpassage) beraten hat, analysierte die heraufziehenden Sturmtiefs und kam am 24. August zu folgender Einschätzung:
„Kommentar/Empfehlung: Die heute für Sonntag bis Dienstag prognostizierte Starkwind/Sturmlage ist ein echtes Hindernis für eine gesunde Törnplanung. Alle Optionen sind durchgetestet worden, aber es deutet sich KEINE Möglichkeit an, ohne E-/NE-Sturm nach Island in den kommenden Tagen überzusetzen. Insbesondere ein Törn zum Zielhafen Isafjördur erscheint aus heutiger Sicht fast nicht machbar, denn abschließend steht sehr lange noch starker Nordwind.“
Der Flieger unserer Mitsegler von Rejkjavik nach Deutschland ging jedoch schon eine Woche später. Was also tun? Wir schlugen das Trysegel und die Hahnepot für unseren Jordan Drogue (Sturm-Reihentreibanker) an und entschlossen uns, sofort auszulaufen in der Hoffnung, mit diesem ungewöhnlichen Schlag an der Küste entlang weiter nach Nordosten dem anrückenden Sturmtief auszuweichen und an Höhe zu gewinnen, um später nicht gegen stürmische Winde aufkreuzen zu müssen.
Gestern sind wir nun glücklich in Isafjördur/Island angekommen nach einer abenteuerlichen Fahrt über die Dänemarkstrasse. Unsere Taktik war aufgegangen – auch wenn ausgerechnet im spannendsten Moment – weiß der Himmel, warum – keine Wetterdaten von „WetterWelt“ mehr durchkamen. Um das anrückende Sturmtief zu umgehen sind wir dann in großem Bogen an der grönländischen Küste durch massenhaft Gletschereis und Eisberge bis an die Packeisgrenze gelaufen. Dabei haben wir den Polarkreis (66°34’N) zum zweiten Mal in diesem Jahr überschritten (das erste Mal auf der Westseite Grönlands südlich der Disko Bay). Wir sind sogar bis über den 68. Breitengrad gesegelt.
Bei aufkommendem Schwerwetter konnten wir damit zuletzt den Kurs auf Isafjördur gerade anliegen – mit drei Reffs im Groß und stark verkleinerter Sturmfock. Die Selbststeuer-Anlage hat mit lautem Knacken ihren Geist aufgegeben, wie der Zufall es wollte, als wir das dritte Mal über den Polarkreis gingen – der Motor war aus dem Fundament gebrochen! Per Hand wurde weitergesteuert – wir hatten prima Mitsegler. Bauchschmerzen haben uns schließlich noch die in den Karten eingezeichneten Tiderips (Stromschnellen) vor dem Eingang des angesteuerten Fjords bereitet, zumal wir Springtide hatten. Aber es ging ganz gut – nur ein einziger Brecher lief übers Deckshaus. Als wir bei Einbruch der Dunkelheit endlich das Kap Straumnes umsegelt hatten und in der ersten Bucht vor Anker lagen, herrschte große Euphorie.
Die direkte Entfernung über die Dänemarkstrasse von Tasiilaq nach Isafjördur betrug 358 Meilen. Für uns wurden es durch den Umweg 492 – also fast 150 sm mehr!
Die diesjährige Saison begann für uns Ende des Winters in der Disko Bay und endet nun mit dem Einsetzen der Herbststürme in Island. Sie war spannend und interessant für uns bis zum Schluss. Nun brauchen wir noch zehn Tage, um die Freydis winterfest zu machen. Zu unserer Beruhigung haben wir einen guten Liegeplatz im kleinen Hafenbecken zugewiesen bekommen.
Wir bedanken uns bei allen, die in diesem Jahr mit uns Freud und Leid geteilt haben.
Auf Wiedersehen!
Heide & Erich
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