Reise unseres Lebens

Mittwoch, 06.01.2016, Heidelberg :: Heide Wilts, für die „Yacht“ Nr. 25/26 vom 2. Dez. 2015


Wir hatten schon kurz berichtet, dass zu diesem Thema 20 Autoren in der YACHT 25/26 geschrieben haben.
Wir fanden die Beiträge so interessant und mit so großer Offenheit geschrieben, dass wir sie Euch hier am liebsten alle als PDF zum Lesen geben würden – aber die Redaktion der „Yacht“ hat rechtliche Bedenken. Sie darf diese Beiträge selber verwenden, aber nicht ohne Zustimmung der Autoren weitergeben.
Deshalb lest Ihr hier nur Heides Beitrag. Wenn Euch die anderen interessieren und Ihr sie nicht sowieso schon im Heft gelesen habt, müsst Ihr Euch an den Leserdienst der „Yacht“ wenden.

Herzliche Grüsse
Heide + Erich


Titel: © YACHT

Die „Reise unseres Lebens“?

Das war ganz klar unsere Antarktisumsegelung! Aber sieben Jahre kann man nun einmal nicht in ein paar Zeilen zusammenfassen. Daher versuche ich nur den Gründen auf die Spur zu kommen, warum sie das ist und was sie uns letztlich für unser weiteres Leben an wertvollen Erfahrungen gegeben hat.

(Kurz zur Reise: Sie begann im Oktober 1990 am Kap Hoorn und endete gut 7 Jahre später – im März 1998 – am selben Kap. Während unserer Überwinterung im Kratersee der Vulkaninsel Deception strandeten wir und überlebten sieben Monate in einer Nothütte. Ende Dezember 1991 segelten wir mit der provisorisch reparierten Freydis nach Feuerland zurück, wo wir das Schiff in sechs Monaten mit Unterstützung von Feuerlandindianern überholten und die geplante Antarktisumsegelung von West nach Ost in Angriff nahmen – wobei wir fast alle an ihrem Rande liegenden antarktischen und subantarktischen Archipele anlaufen und auch betreten konnten. Naturgemäß war die Segelsaison dort sehr begrenzt; sobald der Südwinter nahte, mussten wir in wärmere Gefilde ausweichen. Das war für uns eine willkommene Abwechslung, oft verbunden mit dem Besuch tropischer Inseln abseits aller Touristenströme.) Weiterlesen…

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Nachschlag

Donnerstag, 31.12.2015, 18:07 UTC+1, Heidelberg

Bleiben wir beim Eis und den Gletschern

Zünftiges Skatspiel mit Karin und Karl-Ludwig und Bordhund im Gletschersee des Balmaceda am Ende des Ultima Esperanza Fjordes

Um dahin zu kommen, mussten wir allerdings unser Dingi verholen…

Seht Ihr auf diesem Bild die Freydis am Fuss des Gletschers?


Da waren wir noch sportlich…

…auf und in dem Gletscher (Heide + Manfred)

Am Morgen danach…

Wir hoffen, das bleibt Euch morgen, am 1. Januar 2016 erspart. Habt Ihr schon gute Vorsätze?

Dann man Prost auf deren Gelingen!

Herzlich
Heide & Erich

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Episode 11: 1990, Silvester am Kap Hoorn

Montag, 28.12.2015, Heidelberg

Mit diesem Beitrag…

…nehmen wir ein letztes Mal Bezug auf 1990, dem Jahr unseres Aufbruchs. In der Silvesternacht feierten wir in einer kleinen Bucht an der Kap Hoorn Insel zusammen mit der Crew der „Santa Maria“, mit der wir uns hier Monate zuvor verabredet hatten.

Die Tage zwischen Weihnachten und Neujahr verbrachten wir im „Seno Freydis“ vor den Gletschern der Darwinkordillere am Beagle-Kanal.

Guten Rutsch und Auf Wiedersehen im neuen Jahr – vielleicht schon zur „boot“, wo wir am 1. Wochenende am Sa/So 23./24. Januar ab 12:00 auf dem Stand der YACHT sind.

Thema: TOPS UND FLOPS DER NEUEN FREYDIS

Nach vier Jahren haben wir unser Sehnsuchtsziel Alaska erreicht. Wie hat sich die neue Freydis bewährt? Erfahrungsbericht nach 27.000 Meilen.

Kommt gut ins neue Jahr!

Vielleicht mit einem Kopfsprung ins kalte Wasser wie unser Schwager Eckart 1990?

Die Freydis schüttelt sich. Ein kalter Südost fegt plötzlich übers Deck, bombardiert sie mit groben Hagelkörnern.

Sie trägt nun Sturmbesegelung. Mit sieben Knoten düst sie durch immer steilere Seen in eine atemberaubende Welt rasch wechselnder Lichtverhältnisse. Düstere, graue Felsen mit schneebedeckten Spitzen ziehen schemenhaft vorbei: die Hermiteninseln. Geisterhaft verschwinden sie von einem Augenblick auf den anderen hinter Vorhängen aus Schnee und Hagel und tauchen gleich danach wieder auf, wie neu geboren und meist gekrönt mit leuchtenden Regenbögen, wie man sie sonst kaum noch zu sehen bekommt.

Kap Hoorn betritt die Bühne: hell beleuchtet durch ein Bündel Sonnenstrahlen wie durch ein Spotlight, würdig einer Theaterkönigin. Da steht es, dieses steinerne Symbol so vieler, meist grausiger Seefahrermythen, Ehrfurcht heischend, wie es sich gehört. An Deck beginnt eine wahre Fotografieorgie. Klar, daß sich jeder vor diesem berühmten Felsen ablichten lassen will.
Auf der Westseite der Kapinsel legen wir uns in einer Bucht vor Anker. Mit der FREYDIS am Fuß des berühmten Kaps zu liegen, ist für mich ein besonderer Höhepunkt dieser Reise, und ich glaube, die übrigen an Bord empfinden genauso. Zu gerne wären wir alle an Land gegangen, aufs Kap gestiegen. Aber nur Skipper Erich und Crewkamerad Karl wagen sich mit dem kleinen Gummiboot durch die schäumende Brandung und klettern auf die Spitze der Kap Hoorn Insel.

Wir besteigen das berühmte Kap (** Ausschnitt: Klick auf’s Bild! **)

Die beiden Jochens und ich halten die Stellung auf der FREYDIS und sind heilfroh, als die beiden „Kapbezwinger“ nach drei Stunden, naß aber glücklich, endlich wieder an Bord klettern, denn von Südwesten her wird der Himmel bedrohlich dunkel. Das heißt, sofort Anker lichten und nichts wie weg. Das schwarze Ungeheuer läßt seine Wut dann am Kap Hoorn aus, auf die FREYDIS prasseln nur noch ein paar Hagelkörner. Sie braust nach Norden in Richtung Puerto Williams, dieser südlichsten Siedlung der Erde entgegen.

Am Morgen hocken unschuldige Schönwetterwölkchen auf den schneebedeckten Gipfeln, während die FREYDIS das spiegelglatte Wasser des Paso Picton durchpflügt. Auf den nackten Felsen wärmen Seelöwen ihren Pelz in der Sonne, und Kormorane halten ihr die aufgespannten Flügel zum Trocknen entgegen. Für gutes Wetter muß man dankbar sein, schlechtes Wetter ist hier die Regel.
In Puerto Williams holt es uns dann doch wieder ein.

Eisiger, steifer Westwind zaubert brodelnde weiße Schaumkronen auf den tiefblauen Beaglekanal. Die FREYDIS aber liegt fest vertäut im sichersten Hafen Feuerlands. Das Schicksal scheint es gut mit uns zu meinen.

Ushuaia auf der argentinischen Seite des Beaglekanals liegt vierzig lange Seemeilen gegenan. Wir sind enttäuscht: Aus dem kleinen, verträumten, knapp fünftausend Menschen zählenden Dorf am Ende der Welt, das wir vor zehn Jahren kennenlernten, ist eine unansehnliche, laute, verkehrsreiche Stadt mit dreißigtausend Einwohnern geworden. Politisch motivierte Subventionen haben einen Bauboom ausgelöst, der die gleichen häßlichen Folgen hat wie solche kurzsichtigen
Projekte in allen Regionen und Ländern unserer Erde. Industriehallen an den Stadträndern verschandeln das herrliche Gebirgspanorama. Von der unverbauten Lage ist nicht mehr viel übrig. Noch ist das Wasser im Hafen sauber, trotz der immer öfter anlegenden Containerschiffe und der Luxusliner. Wie wird’s hier wohl nach weiteren zehn Jahren ausschauen?

Laut Logge sind es nun genau 9996 Seemeilen, die wir bisher von Leer in Ostfriesland nach Ushuaia gesegelt sind. Eine Ruhepause hat sich die FREYDIS verdient. Und wir auch.

Nach achttägigem Sturmgeheul beruhigt sich das Wetter endlich ein wenig, und wir laufen mit neuer Crew aus, Ziel Ventisqueros. Das sind Gletscher, die in die Bergwelt der Darwin-Kordilleren eingebettet und durch tiefe Fjorde erreichbar sind. Wir segeln gegen den Wind, mal im schönsten Sonnenschein, mal durch eisigen Regen. „Entweder man schwitzt – oder man friert“, beschwert sich Crewkamerad Herbert und zieht die Thermohose an. Zur Abwechslung rasen Windwalzen auf uns zu. Schwarze Wolkenfetzen hängen bis zum aufgepeitschten Wasser herab.

Berge und Ufer lösen sich in dunkelgrauem Furioso auf. Die FREYDIS macht keine Meile mehr gegenan. Als das Wüten nachläßt, kämpfen wir uns in den Schutz einer vorspringenden Landzunge.
In der Yendegaia-Bucht ankern wir vor dem größten Gletscher der Darwin-Kordilleren. Zwischen den Bergspitzen leuchtet er blendenweiß zu uns herüber. Mit dem Dingi überqueren wir reißende grüne Gletscherflüsse, waten durch eisige Bäche im Geröllbett, wandern über Wiesen und Flußinseln, erklimmen Berge. Immer scheint der Gletscher verlockend nahe und ist doch viel zu weit weg, als daß wir ihn in einem Tagesmarsch erreichen könnten. Ringsum sind die Hänge übersät mit halbverkohlten Baumleichen. Brandrodung für neue Weiden für Rinder und Schafe der Estancias? „Oder war es Blitzschlag?” meint Albert, segelbegeisterter Altruist. Er glaubt noch an einen vernünftigen Umgang des Menschen mit der Natur. Aber in Feuerland gibt es keine Gewitter, keine Blitze und deshalb auch keine Entschuldigung für die verbrannte Erde.

Es sind Schandflecken.

Die Sonne gleißt erbarmungslos durchs Ozonloch: Sonnenbrand in Feuerland. Eckart und Herbert cremen sich ihre Glatzen ein. „Wenn wir Sonnensegel aufspannen“, befürchten sie, „dann glaubt uns auf den Fotos keiner, daß wir im kalten Süden und in der sturmreichsten Gegend der Erde sind.“

Die Fjordarme enden ohne Ausnahme vor imposanten Gletscherabbrüchen. Darin knackt, rumpelt, poltert und knallt es, ständig brechen Eisbrocken herunter. Eckart, durchtrainierter Fünfziger, der zur allgemeinen Be- und Verwunderung seine Morgentoilette auf der FREYDIS täglich mit einer Seewasserdusche beginnt, flippt fast aus.

Übermütig besteigt er kleine Eisberge, springt hinunter ins Eiswasser oder schwimmt im Eisbrei, in den sich nicht einmal die Seelöwen wagen.

Heiligabend: Eine immergrüne Buche mit winzigen, harten Blättern wird von unserem „alten” Segelkumpan Holger und seiner frischangetrauten Frau Anne mit Weihnachtskugeln, Christsternen und einem Rauschgoldengel geschmückt – ein wunderschöner Weihnachtsbaum! So etwas hat unsere FREYDIS noch nie erlebt. Aufgedonnert wie ein Pfingstochse motort sie durch Fjorde, paradiert vor gigantischen Gletscherteppichen und posiert für die emsigen Bordfotografen. Eckart spielt Weihnachtslieder auf der Mundharmonika, und wir singen dazu die vertrauten Texte. Ein richtig sentimentales Weihnachtsfest: Am Ufer gurgelt ein Wasserfall, vom Gletscher her knallt es laut wie Salut:

Man muss sich nur zu helfen wissen: Schlagsahne mit der Hand-Bohrmaschine und eingespannter Gabel!
Feliz Navidad! Die Schiffsglocke übernimmt die Aufgabe des Weihnachtsglöckleins. Zur Bescherung dürfen wir endlich unsere Päckchen und Briefe von daheim auspacken oder lesen. Die lustigen Kleinigkeiten, mit denen sich die Crew untereinander beschenkt – kleine, aus Holz gefertigte Feuerland-Andenken, Fotos von früheren gemeinsamen Segeltörns, Bücher, Süßigkeiten -, finden natürlich auch die ihnen gebührende Anerkennung. Sogar die Natur hält Geschenke für uns bereit, schönes Wetter und das an den Felsen hängende Weihnachtsmenü: Prachtexemplare von Muscheln, die wir nur zu pflücken brauchen. Mit Knoblauchsoße, frischgebackenem Brot und Weißwein angerichtet, sind sie ein kaum zu überbietender, echt feuerländischer Gaumenschmaus.

Silvester am Kap Hoorn

Ein paar Tage später haben wir genug von Bergspitzen, Gletschern, Fjorden und dem Beaglekanal. Es zieht uns hinaus auf See und wieder zum Kap Hoorn, wo wir das neue Jahr begrüßen wollen. Bei strömenden Regen und kaltem, böigem Westwind segeln wir durch die Bahia Cook und von dort in den Seno Christmas, wo einst Darwin auf der BEAGLE Weihnachten feierte. Da sich das Wetter beruhigt und das Barometer vielversprechend steigt, beschließen wir, bis zu unserem Ziel durchzusegeln. Dann spricht Rasmus aber doch ein Machtwort. Er scheint etwas gegen unsere Pläne zu haben. Kaum sind wir auf offener See, läßt er es wie wild aus Südwest blasen. Zwei Reffs haben wir schon vorsorglich ins Groß gebunden, aber nun ist sogar das dritte noch zuviel Tuch. So rasch wie möglich drehen wir die Rollgenua ein.

Hohe Brecher schlagen über die FREYDIS hinweg, die sich einmal ungewöhnlich weit überlegt. Schleunigst machen wir kehrt und laufen zurück. Wo sind wir überhaupt? Der GPS gibt zwar einen exakten Ort, aber die Karten sind ungenau. Wir finden trotzdem ein Mauseloch im schützenden Labyrinth der Inseln, in das wir uns dankbar verkriechen.

Erst am übernächsten Tag wagen wir uns wieder hinaus. Eine hohe Altdünung macht uns zu schaffen. Der Wind hat stark nachgelassen. „Und so segeln wir ganz langsam um Kap Hoorn, und die See, die kommt von achtern und von vorn“, singt Erich vergnügt. Da wir diesmal von Westen kommen, geht es allerdings zunächst ums „falsche“ Kap Hoorn, ein Kap auf einer großen Halbinsel, dreißig Seemeilen vom richtigen Kap Hoorn entfernt. Seinen etwas abwertenden Namen hat es bekommen, als sich herausstellte, daß das richtige Kap Hoorn gar kein Kap ist. Es liegt als südlichster Punkt Südamerikas auf einer der Hermiten-Inseln.

Am nächsten Tag soll’s dann aber ums richtige Kap geben. Die Barographenfeder schiebt sich, Unheil orakelnd, an den unteren Rand der Trommel. „Das heißt hier noch gar nichts. Schließlich ging sie vor drei Tagen, als wir Sturm hatten, steil in die Höhe, wiegle ich ab und hoffe, daß der Barograph auch diesmal falsch anzeigt. Unterstützung bekomme ich von Herbert, der darauf hinweist, daß auf der Südhalbkugel sowieso alles andersrum läuft: das Wasser im Siphon, die Hochs und Tiefs und sogar der Mond, der beim Abnehmen kein A wie zu Hause, sondern ein Z formiert; im Winter ist Sommer und umgekehrt, etcetera: verkehrte Welt!

Hunderte dunkelbrauner Riesensturmvögel hocken vor uns auf dem Wasser. Als sich die FREYDIS nähert, fliegen sie in großen Schwärmen auf und dicht um uns herum. Das kann kein gutes Omen sein”, fürchtet Eckart und kramt die Kette mit dem Kreuzchen aus seinem Seesack, das ihm seine besorgte Mutter zum Schutz gegen böse Meeresgeister mitgegeben hat. Eilig legt er sie sich um den Hals – und sie scheint zu wirken. Die Meeresgeister verhalten sich ruhig und lassen die FREYDIS ein zweites Mal in diesem Jahr ungeschoren Kap Hoorn umrunden, wenn auch mit gerefften Segeln.

Über UKW rufe ich die kleine Militärstation auf dem Kap an. Die beiden dort vorübergehend stationierten Soldaten freuen sich auf unseren Besuch zum Jahreswechsel. Wir ankern mitten im Kelpstreifen, der den Seegang ähnlich gut bremst wie ein Eisfeld. Sicherheitshalber bringen wir zwei Anker aus, denn morgen wollen wir die FREYDIS einige Stunden allein lassen, wenn wir zur Station auf der Südseite der Insel stiefeln, die etwa zehn Kilometer entfernt ist.
Bei strahlender Sonne setzen wir am nächsten Morgen mit dem Dingi zum Ufer über.

In einer Ausbuchtung an der Nordseite der Kap-Hoorn-Insel setzen wir über und marschieren von hier aus zur Station oder zur Kap Hoorn Spitze, die man am Horizont sieht. Anstrengende Fußmärsche durchs dichte Gestrüpp und Unterholz.

In Erdhöhlen und unter dichten Büschen nisten Magellan-Pinguine. Es ist lustig, ihnen zuzusehen, wie sie über die großen Steine am Strand hopsen und purzeln, wenn sie‘ zum Wasser fischen gehen. Die sanft zum Kap hin ansteigenden Hänge auf der Südseite der Insel sind von einem fast undurchdringlichen Minidschungel überwuchert. Aus der Ferne hat es so ausgesehen, als seien sie mit Gras bewachsen und leicht begehbar. Aber nichts da! Fast überall stoßen wir auf stachliges Gebüsch, auf dichten, zähen Krüppelwald, auf Schilffelder und Moosteppiche mit kleinen weißen, gelben, rosa Blümchen. Doch trotz oder gerade wegen des mühevollen Weges wird dieser Aufstieg zu einem faszinierenden Naturerlebnis. Die Reize der kargen und doch bewundernswert vielfältigen Vegetation genießen wir in diesem Frühsommer auf Kap Hoorn in vollen Zügen.

Nach dreistündigem anstrengendem Fußmarsch stehen wir plötzlich vor einem doppelten Stacheldrahtzaun und Schildern mit der Aufschrift Peligro campo minado (Vorsicht, Minenfeld): erstes Zeichen unserer großartigen Zivilisation. Das tragbare UKW-Gerät wird eingesetzt. Drei freundliche Hunde und zwei nicht weniger freundliche Soldaten kommen uns entgegen und geleiten uns sicher durch den Todesstreifen, der während des Beinahe-Krieges mit Argentinien 1989 angelegt wurde. Damals ging es vordergründig um die kleinen drei Feuerlandinseln, die jetzt zu Chile gehören, in Wahrheit allerdings um Ansprüche auf die Bodenschätze im Festlandsockel und damit in der Antarktis.

Die schier unglaublich klare Sicht von den hohen Klippen auf die Drakestraße reicht bis hinüber zu den rund sechzig Meilen entfernten Diego-Ramirez-Inseln. Ganz in der Nähe der Station hat die „Amical“, der internationale Verein der Kap Horniers, ein Denkmal aufgestellt, eine Art Obelisk, der erinnern soll an die vielen Rahsegler, die über vier Jahrhunderte lang diese südlichste Spitze Südamerikas als Prüfstein und Schicksalsmarke umrunden mußten. Die Magellanstraße war für diese schwerfälligen Großsegler viel zu eng und gefährlich. Es handelte sich vor allem um die Woll- und Weizenklipper, die zwischen Australien und Europa unterwegs waren, um die Salpeter- und Guanoschiffe, die zwischen Chile und Europa verkehrten, sowie um Handelsschiffe, die zwischen der West- und Ostküste Südamerikas pendelten. Manchmal kreuzten sie wochenlang im Sturm auf der Stelle oder mußten einen Holeschlag bis weit nach Süden in die Antarktis wagen, um schließlich doch am Kap Hoorn zu scheitern.

Sogar die Soldaten sorgen sich, daß ihre Hütte eines Tages im Sturm wegfliegen könnte. Wir erfahren, daß sie zur chilenischen Marine gehören und jeweils nur für zwei bis vier Monate hier stationiert sind; in erster Linie, um das Hoheitsrecht über die Insel zu wahren, aber auch zur Kontrolle der Seefahrt in diesem Bereich und um die hier gesammelten meteorologischen Daten nach Punta Arenas durchzugeben. Sie werden reihum auf verschiedene Stationen und Schiffe versetzt, ihren ständigen Wohnsitz jedoch haben sie in Puerto Williams, wo auch ihre Familien auf sie warten.

Es tut uns leid, daß wir die Einladung der Soldaten, Silvester mit ihnen zu verbringen, ausschlagen müssen. Der Weg zurück zur Bucht ist weit, außerdem erwarten wir dort die deutsche Yacht SANTA MARIA mit Wolf und Melanie. Wir haben die beiden in Rio kennengelernt, wo ihre Yacht – ein slupgetakelter Knickspanter wie die FREYDIS und ebenso groß – neben uns lag. Sie sind wie wir Mitglieder im Trans-Ozean-Verein, dem fast alle Segler im deutschsprachigen Raum angehören, die über die Weltmeere schippern. Ganz in der Nähe des Kaps haben wir sie überraschend wiedergetroffen und mit ihnen abgemacht, gemeinsam in unserer Kap-Hoorn-Bucht Silvester zu feiern – wenn das Wetter es zuläßt.

Nach dem Kaffeeplausch mit den Soldaten müssen wir uns deshalb gleich wieder auf den Rückweg machen, und das Treffen klappt tatsächlich. Kurz nach unserer Rückkehr läuft die SANTA MARIA in die Bucht ein: großes Begrüßungshallo und Spaghetti-Essen im Cockpit der FREYDIS.

Um 24 Uhr knallen die Sektkorken auch an diesem Ende der Welt, und sei sie noch so verkehrt – Prost Neujahr! Die Fallen, die der Wind gegen den Mast knallt, läuten das neue Jahr ein. Über UKW wünschen wir auch den zwei einsamen Soldaten auf der Station: Feliz Ano Nuevo! Eine Flut guter Wünsche brandet zurück und ein dickes Gracias für die Flasche Whisky, die wir ihnen als Silvestertrunk gestiftet haben.

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Der Sundowner für Rasmus

Hallo Freunde,

Gran Canaria, den 26. Juni 1990

Wir verlassen den kleinen Hafen Pasito Blanco auf Gran Canaria Richtung La Palma, wo wir Elga und Ernst Jürgen Koch besuchen wollen, die ersten deutschen Weltumsegler.

Zeit für Erichs Lieblings-Sundowner, seinen Gin-Tonic.

Zwar ist die Gin-Flasche leer, aber das nimmt er gelassen hin, keinerlei Grund zur Panik – der kluge Mann baut vor. Er hat (zollfrei!) 22 Liter feinsten englischen Gins – man gönnt sich ja sonst nichts – in irgendeiner der Backskisten verbuddelt. Und weil’s ja auf den Inhalt und nicht auf die Verpackung ankommt, wurde der Stoff beim Verlassen der Heimat querab von Borkum praktisch und platzsparend aus den Flaschen in einen Plastik-Wasserkanister umgeschüttet (es geht doch nichts über sinnreiche Ideen!). Der Kanister wird nun nach emsiger Sucherei wieder genussbereit an die Oberfläche gezerrt. Genussbereit? Irgendwas stimmt mit dem Inhalt nicht. „Hat sich dein Gin etwa in Whisky verwandelt?“ wage ich leicht verdutzt zu fragen, als sich beim Wiederumfüllen die leere Ginflasche langsam mit einer bernsteinfarbenen Brühe füllt. Erich hält seine Nase über die Flasche und – ziemlich fassungslos: „Schiet, riecht nach Diesel! Irgend so ein Armleuchter hat den Wasserkanister vorher mal zum Dieselholen benutzt und ich Depp hab nicht’s bemerkt.“

An diesem Abend geht unsere „happy hour“ buchstäblich die See runter. Rasmus kommt voll auf seine Kosten. 22 Liter edelster Schnaps verschwinden in seinem gurgelnden Rachen. Er verträgt’s mit Wonne und ist ein Momentchen lang ein bißchen besoffen, wundert sich wahrscheinlich heute noch über dieses überraschende Feuerwasser-Geschenk. Erich niedergeschlagen „Wenigstens sollten wir das ins ‚Gin’ness-buch der Rekorde` eintragen lassen.

Dies ist Heides Version. Meine (Erichs) sieht so aus, dass Rasmus den Betrug mit dem vergällten Schnaps natürlich entdeckt hat und uns prompt mit Feuer an Bord und Strandung in der Antarktis strafte.

Wie auch immer:

Beim Klarschiff machen bin ich in unserer Wohnung auf einen DinA4-Ordner mit alten Manuskripten gestossen, die Heide noch mit Reiseschreibmaschine an Bord geschrieben hat (damals gab´s ja weder PC noch Laptop). Sie stammen aus dem Jahr unseres Aufbruchs (1990) und sind in Vergessenheit geraten, nachdem Heide das Buch „Gestrandet…“ fertig gestellt hatte. Das Buch beginnt nämlich mit „Feuer an Bord“ in Mar del Plata. All die spannenden vorangegangenen Erlebnisse auf dem Atlantik und in Südamerika blieben unberücksichtigt.

Nun kann man ja heute solche Texte ohne Probleme scannen und wiederbeleben. Da auch die Fotos aus dieser Zeit noch in den Alukisten unter meinem Bett schlummern, habe ich mit Reinards Hilfe zehn bebilderte Episoden aus diesen Monaten des Aufbruchs und der Euphorie auf unseren Blog gestellt.

Viel Spass beim Lesen!

Heide + Erich

PS Heide und ich sind gestern zum „Weissen Stein“ gewandert – es geht aufwärts.

Der Link zu Heides E-Books:

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Episode 10: 1990 – Segeln zwischen Alptraum und Traum

Mittwoch, 23.12.2015, La Palma

Brand in Mar del Plata, Tierparadies Valdes

Es ist Nachmittag und sommerlich warm im argentinischen Mar del Plata. Der Generator läuft, um die frisch gefüllte Kühltruhe zu versorgen. An Bord ist alles gewissenhaft verstaut, die Ausrüstung für ein ganzes Jahr untergebracht. Wir haben gerade ausklariert und wollen bald auslaufen. Zum Abschied sitzen wir noch ein Weilchen im Cockpit, trinken Tee und schauen über den friedlichen Yachthafen.

Plötzlich dringen Rauchschwaden aus der Achterluke und dem Niedergang. Geistesgegenwärtig greift sich Erich sofort den nächsten Feuerlöscher, reißt den Motorraum auf und versucht zu löschen. Was er schafft, erweist sich aber im wahrsten Sinne des Wortes als Tropfen auf dem heißen Stein. Flammen hüllen ihn ein, seine Haare sind nur noch versengte Stummel und Fransen. Kameramann Arno rennt nach der Feuerwehr und ich haste nach anderen greifbaren Feuerlöschern. Alle Segler und die Angestellten des Club Nautico Argentino, wo wir zum Glück an der Pier liegen und nicht vor Anker, sind sofort hilfsbereit zur Stelle, und das bestimmt nicht nur darum, weil das Feuer leicht auf die benachbarten Kunststoffschiffe übergreifen könnte.

Aber selbst sechsundzwanzig Feuerlöscher bringen keinen Erfolg. Ungerührt von all dem weißen Kunstschaum, schlagen die Flammen weiter aus dem Motorraum, werden gespeist vom 60-Liter-Dieseltagestank und fressen sich bis in die Achterkammer und die Messe durch. Unglücklicherweise sind in den Backskisten über dem Motorraum unsere großen Gasflaschen für den Herd gestaut und die Kisten mit Notraketen. Hoffentlich geht nicht alles in die Luft!

„Heide, es ist aus, die Reise ist zu Ende! – Unser schönes Schiff…“ ruft mir Erich zu. Sein Ton, so voller Schmerz, trifft mich mehr als alles andere.

Die Flammen im Maschinenraum schlugen in Achterkammer und Messe – alles ist verkohlt

Ich bin kurz vor einer Rauchvergiftung, weil unter anderem unsere PVC-Decke und die Kabel abbrennen – ein scheußlicher Geruch, den ich noch lange in der Nase habe. Erich und unser Mitsegler Erhard, die Kameraleute Arno und Klaus stehen in beißendem Qualm und bekämpfen die Flammen, verteidigen die Freydis mit dem Mut der Verzweiflung. Aber trotz aller Anstrengung scheint es aussichtslos, unser Schiff zu retten. Immer wieder findet das Feuer in Diesellachen, Seekarten, Plastikteilen und ähnlichem neue Nahrung, droht zu vernichten, was für Jahre unser Heim, unsere Zuflucht werden sollte.

Eine Menschenmenge ist zusammengelaufen, das brennende Schiff wird die große Attraktion. Hobbyfilmer und -fotografen sind dabei. Am liebsten würde ich sie wegscheuchen. Ich will nicht, daß das Unglück bestaunt und festgehalten wird. Ich kann nicht fassen, daß es trotz allen Einsatzes seinen fatalen Lauf nimmt. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis die gefräßigen Flammen auch Ventile und Dichtungen erreicht haben, bis unsere hochgesteckten Ziele in Feuer und Rauch aufgehen und die Freydis sinkt.

Aber Neptun und alle Meeresgöttinnen, die ich in meiner Not anrufe, halten sie über Wasser. Nicht nur sämtliche Elektrogeräte, die gesamte Bordelektrik, die Achterkammer, der Gang und die Messe sind ausgebrannt – auch die teure Kamera- und Tonausrüstung der ZDF-Leute ist hin. Kameramann Arno und Assistent Klaus waren zwei Tage zuvor angereist, um unsere nächste Etappe mitzusegeln und zu filmen. Erst am Vortag hatten sie ihr Arbeitsgerät installiert. Nun ist allein schon dem ZDF ein Schaden von zweihundertfünfzigtausend Mark entstanden, wie sich später herausstellt. Fast das gesamte Filmmaterial ist verbrannt oder von der Feuerwehr, die uns letztlich rettet, unter Wasser gesetzt. Sie pumpt Tonnen von Wasser durch die Luken in den heißen Rumpf, bis die Flammen keinen Mucks mehr machen, bis nur noch schwarze Rauchschwaden als Zeichen der Verwüstung die Luft verpesten und in den strahlend blauen Himmel steigen. Erhard wagt sich als erster in den qualmenden Maschinenraum, ein nasses Handtuch um den Kopf gewickelt. Er entfernt die dicken funkensprühenden Batteriekabel von den Polen, denn die Kabel liegen blank – ihre Ummantelung ist geschmolzen und verbrannt.

Das Drama ist zu Ende, aber wir haben noch immer nicht begriffen, wie und warum es dazu kommen konnte. Wie betäubt schauen wir uns im Schiffsinneren um. Dort sieht es schlimm aus: schwarze, stinkende Brandhöhlen, die vor ein paar Stunden noch Messe, Achterkammer und Maschinenraum waren.

In der Navigation sind alle elektronischen Geräte geschmolzen

Es dauert lange, bis wir einen klaren Gedanken fassen können: weitermachen, so rasch wie möglich reparieren, damit wir die Reise vielleicht doch noch fortsetzen können. Noch am späten Abend beginnen wir mit den Aufräumungsarbeiten, das Zerstörungswerk des Brandes, der wahrscheinlich durch einen Kurzschluss im Kabelbaum ausgelöst worden ist, bietet einen deprimierenden Anblick.

Blick in den Maschinenraum

Was nun? Ist das nun das Ende eines Seglertraums?

Drei Tage schuften wir fast rund um die Uhr: Wir kratzen, reißen, waschen, schrubben, spachteln, sortieren und schaffen die vielen verkohlten Teile hinaus. Dann erst geht’s ans Reparieren. „Trabajan como locos” (sie arbeiten wie die Irren), wundern sich unsere argentinischen Freunde und Helfer. Besonders gefordert sind die Elektriker, sie entpuppen sich als wahre Künstler der Improvisation. Uns kommen fast die Tränen, als das angeschmorte Radio plötzlich wieder Töne von sich gibt und der große Placido Domingo seine Arie auf der Kassette zu Ende schmettert, die er drei Tage zuvor begonnen hat. Dann gehen die Lichter wieder an, Wasser fließt wieder aus dem Hahn. Leitung für Leitung wird neu verlegt, bis alle neuinstallierten oder von den Flammen verschonten Verbraucher angeschlossen sind.

Alle fassen mit an, auch die beiden Kameraleute vom ZDF

Mitsegler der nächsten Etappe, zwei Fluglotsen aus Düsseldorf, bringen uns als Handgepäck und in ihren Seesäcken neue elektronische Geräte mit. Wir haben sie noch am Tag des Brandes in Deutschland bestellt.

Dank des schnellen Einsatzes des Lieferanten und unseres Freundes Thilo in Ostfriesland klappt alles wie am Schnürchen. Apropos Schnürchen: Auch die Schoten sind angekohlt und müssen ersetzt werden. Sogar die Polster werden frisch überzogen. Was nach der Säuberung noch schwarz bleibt, überpinseln wir einfach mit weißer Farbe. Achterkammer und Messe werden behelfsmäßig renoviert. Die Argentinier aus dem Klub, die uns immer wieder besuchen, um den Stand der Dinge zu begutachten, sind vom Fortschritt der Arbeiten fasziniert. Unsere beiden Fluglotsen bauen die Navigationselektronik fachmännisch ein. Langsam funktioniert alles für das Segeln Notwendige an Bord.

Während dieser ganzen Zeit harter Arbeit fällt kein böses Wort. Alle Mitsegler, Stegnachbarn und angeheuerte Spezialisten arbeiten toll und haben sogar Spaß dabei (ein wenig Galgenhumor ist es natürlich auch, wenigstens bei uns). Jeden Abend vertilgen wir alle zusammen riesige argentinische Steaks, die uns bei Kräften und Laune halten. Nachts jedoch können Erich und ich kaum schlafen, denn der Schock, die Verantwortung für die Reise, für unsere Mitsegler und uns selbst, wirken sich aus. Wir richten einander auf, machen uns Mut, trösten uns damit, daß niemand verletzt wurde, daß noch nicht alles verloren ist. Es wird vor allem davon abhängen, daß wir beide nicht aufgeben.

Und das Unmögliche wird wahr: Bereits nach nur fünf Tagen prüfen drei argentinische Inspektoren, zuständig für Maschine und Elektrik, für Elektronik und für Schiffssicherheit, die Freydis gründlich vor dem Auslaufen und befinden sie für voll hochseetüchtig.

Weil nur ich Spanisch spreche, bin ich ständig am Übersetzen und kann schließlich vor Erschöpfung gar nicht mehr reden, weder in Spanisch noch in Deutsch. Außerdem werde ich vom argentinischen Fernsehen vor unserem angekohlten Schiffchen interviewt. In Mar del Plata bin ich bekannt wie ein bunter Hund, mitleidende Geschäftsleute geben mir sogar Prozente beim Einkaufen!

Wir können in See stechen!

Das ZDF-Projekt ist fürs erste gestorben. Die Kameraleute Arno und Klaus reisen ab, ohne eine einzige Meile auf der Freydis gesegelt zu sein. Zeitlich noch immer im Plan, laufen wir aus, Richtung Halbinsel Valdes in Patagonien. Außer uns sind noch vier Mitsegler an Bord: Erhard, der schon die vorige Etappe von Rio de Janeiro nach Mar del Plata mitgesegelt ist und uns nach dem Brand die ganze Zeit zur Seite stand; Karl, der die Freydis schon lange kennt, unter anderem von einer Tour nach Spitzbergen; und dann sind da noch die beiden Jochens, die Fluglotsen, die bereits an kleineren Touren auf der Freydis teilnahmen.

Die ersten vierundzwanzig Stunden haben wir freundliches Wetter, Sonnenschein, Sternenhimmel, günstigen Wind und gute Bordstimmung. Die Freydis segelt wieder, das ist das Schönste. Ich kann’s kaum fassen, wenn ich daran denke, daß wir vor einer Woche noch vor den qualmenden Trümmern unserer Träume standen. Wir sind glücklich, Erich und ich, genießen die einsame Nachtwache stumm und dankbar. Albatrosse und Sturmvögel, die Bewohner südlicher Meere, umkreisen unser Schiff und das Kreuz des Südens weist uns den Weg. Der Bilderbuchtag endet damit, daß die Sonne als blutroter Ball ins silbrig glänzende Meer taucht, ein geheimnisvolles Schauspiel, das nie alltäglich wird. Zumal jetzt nicht, da wir laut GPS gerade den vierzigsten Breitengrad überschreiten. Darauf stoßen wir an. Ich wünsche mir, daß uns die Brüllenden Vierziger noch ein Weilchen gnädig sind, uns eine Schonfrist gönnen, bis wir alles wieder fest im Griff und auch sonst ein wenig Kraft getankt haben. Unter Deck riecht es immer noch nach kaltem Rauch und verbranntem Kunststoff, aber unser Leben hat sich fast wieder normalisiert. Die Sonne ist heiß, die Luft kalt, die Wassertemperatur beträgt dreizehn Grad Celsius. Die Tage werden immer kürzer. In der Nacht frischt der Wind stark auf und dreht, bis er fast von vorn kommt. Rasch baut sich eine hohe See auf, schwarze Gewitterwolken rollen über uns hinweg. Mit dreifach gerefftem Groß und Sturmfock hackt das Schiff auf sein Ziel zu. Mehrmals steigen Brecher aufs Deck, versuchen die beim Brand gesprungene Scheibe im Cockpit einzudrücken. Durch die Luken, die sich durch die Hitze verzogen haben und undicht geworden sind, dringt Wasser ein. Erichs passender Kommentar: „Scheibenkleister!“

Am nächsten Tag wieder Sonne, blauer Himmel, der Wind bläst weiter mit sieben bis acht Beaufort.
was kann man auch anderes erwarten in den brüllenden Vierzigern? Nicht von ungefähr erhielten diese Breitengrade ihren ausdrucksvollen Namen von den Matrosen auf den alten Rahseglern, für die das schöne Passatsegeln spätestens hier in diesem rauen Westwindgürtel endete. Zum Glück flaut der Wind in der Nacht ab, als wir auf die Küste zuhalten. Bei Starkwind würde sich auf den flachen Sänden eine so gefährliche Brandung aufbauen, daß wir unser Ziel, die Caleta Valdes, vergessen könnten. So aber finden wir auf Anhieb die Einfahrt, die sich laut Seehandbuch mal nach Norden, mal nach Süden verlagern soll, ähnlich einer Wanderdüne. Bis zum Morgen ankern wir davor. Um sechs Uhr früh und bei Stillwasser (zu Springzeiten sollen hier bis zu zehn Knoten Strom stehen) tasten wir uns durch die schmale Einfahrt, bei einer Wassertiefe von nur 1,3 bis 3 Metern.

Ausgerechnet jetzt können wir die Winschkurbel nicht finden, um unseren Kiel hochzukurbeln. Seit dem Brand ist vieles noch nicht wieder an seinem alten Platz. Ab und zu schleifen wir deshalb über den sandigen Grund, schaffen es aber trotzdem, in die dreißig Seemeilen lange, schmale Caleta einzudringen, die aussieht wie ein blind endendes Flußbett. Dort empfängt uns ein überwältigendes Tierparadies, das uns für alles Erlittene entschädigt.

In der Caleta Valdes, einem Tierparadies: Der Aufenthalt ist Balsam für unsere verbrannte Seele

Die Caleta ist der „Kindergarten“ der Elefantenrobben. Erst wenn die Robbenkinder größer und stärker geworden sind, trauen sie sich hinaus ins feindliche Leben. Noch aber droht ihnen draußen der Tod, vor der Küste patrouillieren ihre Erzfeinde, ganze Schulen von Mörderwalen. Immer wieder sehen wir ihre charakteristischen hohen schwarzen Rückenflossen wie Messer durchs Wasser schneiden. Selbst am Uferstreifen sind die jungen Robben nicht sicher. Wenn die Mörderwale großen Hunger haben, hechten sie mit einem Brecher sogar bis auf den Strand, schnappen sich dort eines der Robbenbabies und schnellen samt fetter Beute mit der nächsten Welle wieder in tiefes Wasser zurück. Diese schier unglaubliche, sensationelle Jagdtechnik dieser intelligentesten aller Wale haben Walbeobachter hier um Valdes mehrmals mit Bildern und Berichten belegt. In der Caleta dagegen sind die kleinen, oft gerade erst Mutter-entwöhnten Elefantenrobben sicher. Hier machen sie allenfalls die Bekanntschaft mit ein paar freundlichen Magellanpinguinen, die sich im niedrigen Dornengebüsch oberhalb der Uferböschung Bruthöhlen gebaut haben und sich nun überwiegend ihren Eiern widmen, oder mit ein paar scheuen Guanakos (einer Lamaart), die hin und wieder am Ufer entlang promenieren.

Hier liege ich also mit ”meinen” süßen Elefantenrobben-Kindern Wange an Wange am Strand.

Sie lassen sich streicheln, kommen neugierig angerobbt, um mich ganz aus der Nähe zu begucken. Eines von ihnen tätschelt mich sogar mit seinen langen schwarzen Brustflossen, hält mich wahrscheinlich für eine Kameradin. Das ist erfreulich, lustig, unkompliziert. Die Tiere machen sich keine Sorgen um den nächsten Tag, sie sind einfach da und leben. Hoffentlich noch lange…

Hoffentlich geht es ihnen nicht so wie den Robben und Kormoranen an der Westküste Südamerikas, die in den letzten Jahren zu Zigtausenden an Hunger starben, weil die immer effizienter arbeitende Fischerei ihnen keine Nahrung mehr übrig ließ. Und was für traurige Bilder auch in Mar del Plata, wo ganze Seelöwenkolonien um und im völlig verschmutzten, diesel-verpesteten Fischereihafen leben müssen. Viele haben Augenleiden, Hautkrankheiten und verdreckte Wunden. Zu unserem Entsetzen sahen wir auch mehrere Tiere mit tief ins Fleisch einschneidenden Drahtschlingen um den Hals. Rachsüchtige Fischer, denen sie dann und wann die Netze beschädigen, um etwas vom Fang abzubekommen, hatten sie ihnen umgelegt, während sie arglos schliefen. Wie wohltuend und herzerfrischend dagegen dieses Tieridyll in der Caleta!

Der Aufenthalt in Valdes ist Balsam für meine „verbrannte“ Seele. Ich kann wieder gut schlafen, obwohl mir der Brand-Schock von Mar del Plata eigentlich erst hier richtig bewußt wird. Ich fühle mich versöhnt, geborgen, eins mit der Natur, die es gut meint mit mir. Auch Erich genießt diese Zeit, ist tagsüber ständig mit der Kamera unterwegs, um die pelzigen „Strandschönheiten“ in den verschiedenen Posen zu fotografieren.

Aber selbst in diesem Paradies bleiben uns Arbeiten am Schiff nicht erspart, als Erstes müssen die Luken mit Sikaflex abgedichtet, die Bilgen gelenzt werden und die Freydis braucht einen neuen Unterwasseranstrich.

Es wird noch Monate dauern, bis wir die restlichen Schäden nach und nach behoben haben. Als sich nach zwei Tagen zu unserer großen Erleichterung auch die Winschkurbel in den Tiefen des Navigations-Schapps wiederfindet, ist die Erholungszeit an diesem schönen Ort schon wieder zu Ende und wir laufen weiter nach Puerto Pyramides im Golfo Nuevo, ebenfalls an der Halbinsel Valdes. In diesem Meeresbusen verbringen Südliche Glattwale die Hälfte des Jahres, dort paaren sie sich und ziehen ihre Jungen auf.

Die Bucht, in der wir ankern wollen, ist tatsächlich eine Art Wal-Entbindungsstation: überall Walkühe mit Kälbern. Langsam schwimmen sie an uns vorbei, während wir mit Maschine im Leerlauf abwarten.

Zutiefst beeindruckend ist es, diese größten Tiere, die jemals auf unserem Planeten gelebt haben, ganz aus der Nähe zu beobachten: Super-Walmütter, die bis zu 18 Meter lang und 54 Tonnen schwer werden, mit ihren Säuglingen auf ”Tuchfühlung“ mit der Freydis, ein wahrhaft elementares Erlebnis! Wenn sie ihre vier bis fünf Meter hohen, V-förmigen Fontänen blasen, zischt es, als ließe eine Lokomotive ihren Dampf ab. Manchmal fällt dabei ein wahrer „Sprühregen“ auf uns herab, Kondensationströpfchen, die entstehen, wenn ihr warmer Atem mit der kühleren Luft in Kontakt kommt. Und was für ein faszinierendes, atemberaubendes Spektakel, wenn die „Kleinen“ (sie sind bei der Geburt schon fünf bis sechs Meter lang), hoch aus dem Wasser springen, mit der Mutter spielen und sich an sie schmiegen.

Die Wale zeigen uns gegenüber ein freundliches Verhalten, trotzdem klopft mein Herz bis zum Hals; ein kleiner Schlag mit der Fluke, und wir könnten unsere Weiterreise wahrscheinlich wieder mal vergessen. Ich kann mich jedenfalls noch gut an den Wal erinnern, der vor ein paar Jahren bei den Färöern eine zeitlang direkt unter der Freydis lag. Als er abtauchte, rumpste es nur ein bißchen, aber anschließend war unsere automatische Windsteuerung defekt. Und erst kürzlich erzählte uns ein südafrikanischer Segler, wie ein Wal sich den Buckel an seinem Boot gescheuert und dabei die gesamte Ruderanlage demoliert hatte. Als eisernes Gebot beim Beobachten der Wale gilt hier: niemals mit dem Schiff zwischen Walkuh und Kalb geraten, mit dem freundlichen Verhalten könnte es dann nämlich schnell vorbei sein. Und ich weiß nicht wie, trotz aller Vorsicht sind wir plötzlich doch zwischen Walmutter und Kind. Ich halte den Atem an – aber nichts passiert, die Walkuh bleibt ruhig, schwimmt um den Bug herum und nimmt ihren Ausreißer wieder an ihre Seite. Die Tiere bewegen sich dicht an der Oberfläche und so bekommen wir auch ihre weißlichen Schwielen am Kopf zu sehen, die charakteristisch für Glattwale sind. Sie bestehen aus groben Hautverdickungen, auf denen Seepocken, Walläuse und ein paar Haare wachsen und sind von unterschiedlicher Größe, Form und Zahl bei den einzelnen Tieren. Deshalb werden sie von den Walbeobachtern auch als „Erkennungsmarken“ zur individuellen Identifikation benutzt. Denn seit 1970 ist man dabei, diese Walart um die Halbinsel Valdes herum gründlich zu untersuchen. Das wird auch Zeit, da für den gesamten südlichen Ozean der Bestand auf nur noch 3000 Tiere geschätzt wird!

Was sind das für wunderbare Tage im Märchenland der freundlichen Riesen! Im nächsten halben Jahr, wenn uns draußen auf See die Roaring Forties, Furious Fifties und Screaming Sixties die Zähne zeigen, werden wir uns zurücksehnen nach Valdes, uns wünschen wieder mal eine Woche hier verbringen und entspannen zu dürfen, da bin ich ganz sicher!

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Episode 9: Unter Seelöwen (Punta del Este, Uruguay)

Mittwoch, 23.12.2015, La Palma

Von Porto Belo geht’s nonstop nach Punta del Este. Ursprünglich hatten wir einen Aufenthalt in Rio Grande do Sul eingeplant, aber dann jagte ein Gewitter das andere und schließlich zwang uns Sturm aus Süd, Ausläufer argentinischer Suestados und Pamperos, zum Beidrehen. Nach Durchzug der Kaltfront nutzten wir die Chance, auf geradem Kurs durchzusegeln. Die nächste Kaltfront war bereits im Anmarsch.

Um acht Uhr morgens laufen wir an der Isla de Ton vorbei: Gischt, Wracks und lange, lange Sandstrände. Nach sechs Tagen auf See erwarten wir euphorisch den Landfall. Schon am Morgen gibts „Beijo de Caju“, Aperitiv aus Sitio Taigun, auf dem Herd brutzeln Eier auf Schinken und aus dem Radio tönt’s „Good bye Argentina“ von der Kasette. Eigentlich müßte es ja „Good bye Brasil“ heißen, heute holen wir nämlich die brasilianische Flagge ein und setzen die Uruguays. Klatschkränzchen über Funk halten uns auf dem Laufenden: Die Wilde Mathilde liegt in Rio de Janeiro, Wolfgang berichtet von neuen Überfällen auf Segler und schwärmt vom Ipanema-Strand – besonders die Schönen dort haben ihn mächtig beeindruckt. Wir erfahren, daß die Northern Light bereits auf dem Wege nach Argentinien ist, die Nele auf der Ilha Grande Station macht und daß es in Blumenau eine Überschwemmung gegeben hat, wobei sechzehn Menschen den Tod fanden. Einen kleinen Umweg zu den „Islas dos Lobos“, zehn Seemeilen vor Punta del Este, erlauben wir uns aber doch. Erich entdeckt einen Hinweis im Seehandbuch und meint, dass es sich lohnt, dort vorbeizuschauen, denn dort gäbe es eine Seelöwenkolonie mit angeblich tausenden von Seelöwen…
Unter 250 Quadratmeter Spinnaker jagen wir was das Zeug hält – die Freydis ist kaum am Ruder zu steuern – um noch am späten Nachmittag die Inseln zu erreichen.

Wir schaffen es, sogar die Sonne scheint durch die Wolken, als wir uns den weiß umbrandeten Felsen nähern. Und tatsächlich, die Felsen sind dicht belagert und das Wasser kocht förmlich vor dunklen, glatten, quirligen Leibern, die kreuz und quer durcheinander wirbeln und der Freydis neugierig ihre schnauzbärtigen Köpfe entgegenstrecken. Es sind zwei Robbenarten, Seebären und die etwas größeren Seelöwen, die hier einträchtig beisammen leben. Ihr Grölen, Jaulen, Heulen und Piepsen ist weithin zu hören und übertönt jedes Brandungsgeräusch. Dicht an den Felsinseln steht starker Schwell und weißer Gischtsaum wölbt sich über den blinden Klippen.

Trotz aller Vorsicht rumpelt das Schwert ganz gehörig über die Felsen, als Erich beherzt durch die Robben-Buchten manövriert. Ich werfe ihm ein paar ängstliche Blicke zu, doch voll Vertrauen auf die Stärke unserer Freydis, brummt er nur cool „das muß sie schon aushalten können“. Ich bin froh, als wir uns entschließen, die Robbenfelsen zu verlassen und sie später, bei besserem Wetter, noch einmal zu besuchen.

Ein paar Tage später, bei schönstem Wetter, gelingt es uns sogar auf den Felsinseln zu landen. Die Brandung läßt uns zwar ungeschoren, aber die Seebären zeigen sich an Land wenig gastfreundlich. Mit furchterregend geblecktem Raubtiergebiß starten sie Angriffe und verjagen uns immer wieder erfolgreich aus ihren Revieren – ihr gutes Recht!

Nachdem wir uns allerdings eine halbe Stunde auf einem Felsen niedergelassen und ganz ruhig verhalten haben, werden wir akzeptiert und dürfen sogar nach Herzenslust fotografieren.


Im Wasser gebärden sich die Robbenmachos zwar deutlich weniger aggressiv, aber eifersüchtig schauen sie schon, wenn wir mit ihren anmutigen sanftäugigen Damen schwimmen und im Wasser herumplanschen. Besonders die Seelöwinnen zeigen großes Interesse an den fremden Badegästen mit den abnehmbaren Flossen und Schnorchelrohren. Offensichtlich eine tolle Abwechslung in ihrem Robbenalltag! Für uns aber war das Baden mit diesen Tieren eines der ganz großen Höhepunkte dieser Reise.

Mastinspektion im Hafen von Punta del Este: Das viele Spinakersegeln fordert Tribut, ein Niro-Wanthänger ist gerissen und muss ersetzt werden.

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Episode 8: Im Papageienland – Von Rio nach Mar del Plata

Mittwoch, 23.12.2015, La Palma

Euphorie des Segelns

Rio

Wir haben uns im Yachtclub „Marina Gloria“ angemeldet (wegen des schmutzigen Hafenwassers unter Seglern auch als „Latrina Gloria“ bekannt). Dort liegen wir – wie das Schicksal so spielt – im Päckchen neben der amerikanischen Yacht „Northern Light“ mit Deborrah und Ralf und der deutschen Yacht „Santa Maria“ mit Wolf und Melanie auf der einen und der kleinen Yacht „Red Sun“ mit dem stets freundlich lächelnden japanischen Einhandsegler auf der anderen Seite. Alle Yachten sind rot gestrichen wie die Freydis. Und wie wir haben alle drei Yachten vor, in die Antarktis zu segeln. Gesprächsstoff gibt’s deshalb genug.

Für Hans Ulrich und Brigitte ist die „Kreuzfahrt“ hier zu Ende, sie fliegen nach Deutschland zurück. Aber Hans Ulrich wird ja bereits in vier Monaten, beim Start in die Antarktis, wieder auf der Freydis sein.

Unser Aufenthalt in dieser Stadt der berühmtesten Strände und des reichhaltigen Kulturlebens, wo für jeden Geschmack das richtige Erlebnis, der richtige Zeitvertreib und die richtige Freundschaft warten soll, ist leider fast ausgefüllt mit zeitraubenden, nicht immer erhebenden Vorbereitungsarbeiten für den nächsten Törn. Verstopfte Toiletten müssen auseinandergenommen und gereinigt, Waschbecken-Abflüsse mit langen Drähten frei gestochert, korrodierte elektrische Verbindungen und Stecker repariert, Bilgen und Kombüse gesäubert und Gasflaschen quer durch die Stadt zum Füllen und wieder zurück geschleppt werden und natürlich muß der Generator-Auspuff zum x-ten Male ausgebaut, geschweißt und wieder eingebaut und dann noch Proviant und Diesel gebunkert werden.

Aber es bleibt auch noch ein bißchen Zeit, um die Weltstadt Rio zu genießen – wenn man beim „genießen“ einmal von den vielen unschönen Dingen absieht, die einem hier auf Schritt und Tritt das Leben schwer machen: daß der Weg vom Yachtclub zur Straße, wo man ein Taxi zur Stadt anhalten kann, lebensgefährlich ist, weil dort Räuber und Mörder lauern (die Horrorgeschichten, die man sich im Club erzählt, sind nicht erfunden, auch unser japanischer Nachbar von der „Red Sun“ wurde am helllichten Tage mit Messern bedroht und ausgeraubt), daß man von Taxifahrern meist trickreich über´s Ohr gehauen wird, oder daß es für eine Frau alleine nicht möglich ist, abends gefahrlos durch die Stadt zu gehen. Obendrein finden in Rio bald Wahlen statt. Überall lautstarke Kundgebungen und Tonnen von Propagandazetteln, die von allen Wolkenkratzern über Straßen und Plätze flattern – viel schönes Papier aus dem Holz des bedrohten brasilianischen Urwaldes!

Nach etlichen Taxitrick-Irrfahrten schaffen wir es, am Abend mit der Zahnradbahn auf den 700 Meter hohen Corcovado hinaufzufahren, und der zauberhafte Blick, den wir von dort oben auf das nächtliche Rio haben, versöhnt uns ein wenig mit dieser Stadt der Superlative ( auch der negativen!). Wir bummeln sogar über ein paar Märkte und an den sagenhaften Stränden entlang, die leider – verdreckt, überlaufen, von Drogensüchtigen frequentiert und Kriminellen heimgesucht – nicht mehr erfüllen können, was die Welt noch immer von ihnen träumt.

Ab Rio beginnt im Hinblick auf Mannschaft und Art des Segelns ein ganz neuer Reiseabschnitt. Den Atlantik haben wir zu zweit überquert und an der Nordbrasilianischen Küste sind wir in zwei Etappen mit jeweils einem befreundeten Paar entlang gesegelt. Von Gran Canaria bis Rio war es mehr oder weniger Passatsegeln und Küstenschipperei. Von nun an sind Sport und Geselligkeit großgeschrieben. Der folgende Törn von Rio nach Mar del Plata – vier Wochen und 1400 Seemeilen – wird uns als einer der schönsten und sportlichsten, die wir in all den Jahren gesegelt sind, in Erinnerung bleiben.

Ilha Grande

Unsere neuen Mitsegler Heiner, Erhard, Gerhard, Roland und Toni sind auch nicht traurig, als wir diese Stadt zwischen Traum und Alptraum recht bald wieder verlassen. Als Einstimmung erwartet sie allerdings eine unangenehme Kreuz bis zur Ilha Grande, der Großen Insel, in der weiten, grünen „Bucht der Könige = Angra dos Reis“. Dort gibt’s für uns ein herzliches Wiedersehen mit dem österreichischen Funkamateur Peter Thürridl. Vor zehn Jahren hatten wir ihn auf dieser stillen schönen Insel am Wendekreis des Steinbocks kennen gelernt, wo er allein mit seiner Woll-Äffin Claudia auf seiner Facenda lebte und sich viele Stunden am Tag über Funk mit der ganzen Welt unterhielt. Peter, jetzt siebzig Jahre, ist noch ganz der „alte“: ein breitschultriger Hüne, empfindsamer Haudegen und gastfreundlicher Einsiedler, der unermüdlich Yachten über Funk begleitet und häufig hier in seiner Idylle Besuch von ihnen bekommt.

Seine Äffin Claudia, mit der wir damals so viel Spaß hatten, ist leider inzwischen gestorben. Der Tod dieses intelligenten und treuen Tieres ist Peter derart zu Herzen gegangen, daß er keinen Affen mehr haben will. Eine Perserkatze und ein Schäferhund geben sich derzeit alle Mühe, ihm den Affen zu ersetzen. Seine Facenda hat Peter gerade an ein betuchtes Ehepaar aus Rio verkauft, sich aber weiterhin das Wohnrecht darauf vorbehalten. Der einsame Palmenstrand, an dem wir damals so paradiesisch ungestört baden und ruhen konnten, ist auch veräußert worden: für viele Millionen Dollar an einen Hotelkonzem. Adieu Geheimtip, adieu Beschaulichkeit!

Parati

Unter Motor laufen wir durch die liebliche ruhige Bucht weiter nach Parati. Beim Anblick dieses einzigartig malerischen Städtchens, seiner hübschen Kirchen, Kolonialstilhäuser und des obligatorischen Forts, glauben wir uns plötzlich ins achtzehnte Jahrhundert versetzt. Und tatsächlich steht die ganze Stadt unter Denkmalschutz. Seit ihrer Gründung vor mehr als 250 Jahren, hat sich kaum etwas verändert.

Hier treffen wir unverhofft die „Santa Maria“ wieder, aber Rolf und Melanie haben es eilig und lichten bereits die Anker. Sie wollen nach Floreanapolis auf der Insel Santa Caterina und von dort einen Abstecher mit dem Auto nach „Blumenau“ machen, einer deutschen Einwanderer-Enklave, wo gerade das traditionelle „Oktoberfest“ stattfindet. „Oh ja“, lacht Toni, unser Bayer, „da wollen wir auch hin, ich hab für alle Fälle meine Krachledernen dabei.“

Auch die „Nele“ mit Wolfgang und Mia liegt hier. Vor drei Jahren hatte Wolfgang auf der Freydis einen Schwerwettertörn von Tromsö nach Leer mit gesegelt, um Erfahrungen für seine jetzige Reise mit dem eigenen Schiff zu sammeln. Die Nele ist ein solides Stahlschiff mit einer gut durchdachten, praktischen Inneneinrichtung. Am originellsten aber ist die Hundekoje für Stoops, den kleinen schwarzen Bordhund der Nele: eine kleine Hängematte, die Mia aus Relingnetz gebastelt hat.

Wolfgang und Mia halten sich schon seit vielen Monate in Brasilien auf, wo sie von Bucht zu Bucht gondeln. Parati und Umgebung hat es ihnen besonders angetan und im Städtchen, in dem wir gemeinsam Provianteinkäufe erledigen, kennen sie schon eine Menge Leute. Auch den katholischen Pater, der wie Mia aus der belgischen Stadt Mastrich stammt, und ihnen zuliebe am Sonntag von der Kanzel gepredigt hat, die Eingeborenen dürften um Gottes Willen keine Dingis von Yachten klauen. In dieser Hinsicht können also auch wir beruhigt sein, denn das Wort des Priesters gilt noch etwas in Parati. Beziehungen muß man halt haben in Brasilien!

Wir entscheiden nach Porto Belo zu segeln und nicht nach Floreanapolis, das kostet weniger Zeit, weil wir uns eine lange Hafeneinfahrt sparen. Draußen empfängt uns eine hohe Dünung, die uns jedoch, mit dem Wind im Rücken, kaum ärgern kann. Während die Freydis unter Spinnaker über die Wellen schießt, daß es eine wahre Freude ist, steht das Barometer unbeirrt auf „Hoch“ und vom wolkenlos blauen Himmel scheint eine warme, freundliche Sonne.

Porto Belo und Blumenau

Vor lauter Segelbegeisterung fällt Roland erst am Mittag ein, daß er heute Geburtstag hat. Aber es wird noch eine wunderschöne Feier, auch wenn der Wind hartnäckig die Kerzen ausbläst, der frischgebackene Schokoladenkuchen im Seegang von den Tellern hüpft und der Tee sich frei heraus über Tisch und Klamotten ergießt. Wen kann das schon stören an einem so herrlichen Segeltag? Von den Delphinen erhält Roland gratis eine Geburtstags-Vorstellung mit Saltos und Pirouetten. Und darauf folgt eine laue Vollmondnacht wie „Tausend und eine Nacht“ mit tausend Geschichten aus dem Seglerleben: Erhard erzählt von den Marquesas, Gerhard von Venezuela, Heiner von der kleinen Insel Ushant… und Romildo singt seine stimmungsvollen Lieder von der Kasette, die er uns zum Abschied in Camamu geschenkt hat. Die Seefahrer-Romantik ist perfekt. Heiner, das Kreuz des Südens am Himmel bewundernd: „Das sind die Sternstunden des Segelns!“

Am Morgen fällt der Blister ein, den wir in der Nacht gesetzt haben und die Delphine, denen wir zu langsam geworden sind, haben uns verlassen. Erst gegen Mitternacht schaffen wir es, mit Hilfe von Radar und GPS in Porto Belo einzulaufen, wo wir wenig später an der Pier des gut gepflegten Yachtclubs festmachen.

Das Städtchen Porto Belo liegt auf einer ins Meer hinausragenden grünen Halbinsel mit zahllosen geschützten Buchten und weißen Sandstränden. Etwa 70 Kilometer müssen wir mit dem Auto durch den Staat Santa Catalina bis nach Blumenau fahren. Hier im Süden Brasiliens, wo im Winter Temperaturen um Null Grad Celsius keine Seltenheit sind, suchen wir vergeblich nach tropischem Urwald. Und nicht nur die Vegetation hat sich grundlegend geändert, auch die Bauweise und der Menschenschlag, der uns in Aussehen, Lebensstil und Sprache – einem Mix aus vielen deutschen Sprachregionen – äußerst vertraut ist. Kein Wunder, denn die Leute hier sind überwiegend deutschstämmig: Zwischen 1824 und 1859 waren Hunderttausende verarmter Bauern aus Harz, Hunsrück, Schwarzwald und Böhmerwald dem Ruf von Dona Leopoldina von Habsburg, Gemahlin Pedros I. und Tochter von Kaiser Franz II. gefolgt und herübergekommen. Jeder von ihnen bekam ein Stück Land zugewiesen, machte sich ans Roden und bald entstanden im Küstengebirge weit verstreut liegende Höfe, Weiden und Felder.

„Oh du mein Zillertal, ich grüß dich tausendmal“, singt Erhard, als wir durch das liebliche Tal des Rio Itajai fahren. So ähnlich muß es auch dem Braunschweiger Arzt Dr. Herrmann Blumenau ergangen sein, als er 1850 mit einer Gruppe Auswanderer hierherkam und beschloß, in dieser Gegend die ersten Hütten zu bauen. In Blumenau, einer Stadt von ca. 150.000 Einwohnern kommen wir uns tatsächlich vor wie im Schwarzwald: überall Fachwerkhäuser, Restaurants und Hotels mit deutschen Namen – Himmelblau – Bauernhof – Bavaria – Hermann – viele blonde blauäugige Burschen in Lederhosen und Mädchen in Dirndelkleidern mit blonden Zöpfen! Es geht deutscher zu als in Deutschland und wir fühlen uns manchmal, als seien wir hier in unsere Heimat vor hundert Jahren zurückversetzt. Aber das ist ja nichts Ungewöhnliches, daß Menschen im Ausland die Sitten und Gebräuche ihrer Heimat besonders pflegen, um dadurch Bindung und Erinnerung an sie aufrechtzuerhalten.

Natürlich besuchen wir auch das traditionelle Oktoberfest auf dem alle Besucher ganz gleich, ob Weiß, Schwarz, Indianer oder Mestize „Rosamunde“ oder „Im Himmel gibt’s kein Bier, drum trinken wir es hier!” singen und mit Tirolerhüten auf dem Kopf und Maßkrügen in der Hand eine Mords-Gaudi haben.

Iguazu

Und noch ein Abstecher von Porto Belo aus. Diesmal mit dem Bus, 24 Stunden quer durch Brasilien zu den größten Wasserfällen der Erde, von den Quarani-Indianern Iguacú, großes Wasser genannt, die wir sowohl von brasilianischer als auch argentinischer Seite besuchen. Diese Touristenattraktion, die über eine Million Besucher pro Jahr anlockt, wollen wir uns nicht entgehen lassen. Trotz der anstrengenden Fahrt dorthin und der kurz bemessenen Zeit – nur zwei Tagen gönnen wir uns dafür – erhalten wir unvergessliche Eindrücke von diesem tatsächlich einmaligen und grandiosen Naturschauspiel.

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Episode 7: Brasilien – Im Papageienland

Mittwoch, 23.12.2015, La Palma

Brasilianische Küste – Segeln im verlorenen Paradies

Vor 10 Jahren, auf unserer ersten Reise mit der Freydis rund Südamerika, war Brasilien für uns das Segelparadies in reinster Ausprägung: wegen der Menschen, denen wir dort begegnet sind und die uns glücklicher schienen als anderswo, wegen des freundlichen Klimas, der üppigen Vegetation, der wundervollen Strände und Küsten. Was haben wir damals unseren Segeltörn und Aufenthalt in diesem begnadeten Land genossen! Jahrelang haben wir davon geschwärmt und uns vorgenommen, dort die alten Plätze noch einmal aufzusuchen und neue kennenzulernen.

Brasilien erschien uns auch diesmal wieder als traumhaftes Segelrevier. Zwar hat die Zahl der bebauten Buchten und Strände, an denen sich wohlhabende Städter aus Sao Paulo und anderen Industriezentren ein zweites Zuhause geschaffen haben, auffällig zugenommen, aber immer noch findet man jede Menge schöne und lauschige Ecken und Winkel, in denen man mit seinem Boot völlig alleine liegt.

Gates Areas und Drogen

Aber wir fanden die Menschen auffällig verändert, und das lag sicher nicht daran, daß wir selbst kritischer geworden waren und mehr hinter die Fassaden blickten. Es stimmte uns sehr betroffen, daß unsere alte Bekannte Marie Louise und andere Europäer es nicht mehr wagen, in Salvador am helllichten Tag mit dem Wagen in der Stadt einfach anzuhalten, weil sie fürchten, ausgeraubt zu werden, daß die Wohlhabenden immer höhere Mauern um ihre Häuser und Gärten ziehen und ihren Besitz Tag und Nacht von bewaffneten Wächtern beschützen lassen, daß unser Traumfleckchen „Morro de Sao Paolo“, wo wir vor zehn Jahren am liebsten ein Grundstück gekauft hätten, um eine Scheibe vom Paradies abzubekommen, inzwischen Umschlagplatz für harte Drogen geworden ist, an denen Touristen ihres Lebens nicht mehr sicher sind. Der absolute Gipfel dieses Alptraumes ist für uns Rio de Janeiro, wo man nicht mal mehr zu Fuß von der Marina zur nächsten Bushaltestelle gehen konnte. Unser japanischer Nachbar von der Yacht „Red Sun“, der die Warnung nicht ernst nahm, wurde prompt überfallen und ausgeraubt.

Wichtiges Thema: Sicherheit

Man darf nicht mehr blind irgendwo ankern und sich niederlassen, sondern muß vorher bei Einheimischen und anderen Yachten Auskunft einholen. Die meisten Segler dort halten ständig Funkkontakt untereinander. Ein wichtiges Thema ist die Sicherheit. Und dabei geht es eben nicht vorwiegend um die persönliche Sicherheit auf See, sondern an Land – das war früher nicht notwendig. Wir können keinem Segler den Besuch dieses einzigartigen Reviers empfehlen, wenn er nicht alle Möglichkeiten, Informationen auszuschöpfen, nutzt, zum Beispiel mit Hilfe eines Kurzwellengerätes und auch durch Kontakte zu Trans-Ozean-Stützpunktleitern und anderen Yachten.
Sicher und geborgen fühlten wir uns nur an kleineren Ortschaften, wo die Welt noch in Ordnung schien, zum Beispiel in Cairu, in Galeau, in Camamu, in Santa Cruz de Cabralia, auf den Abrolhos Inseln, auf Ilha Grande, in Parati und natürlich auch innerhalb der gutbewachten, manchmal nahezu festungsartig ausgebauten Marinas zwischen Salvador und Rio Grande do Sul.

Aber ich will der Reihe nach berichten:

Salvador de Bahia

Heute werden wir Salvador de Bahia erreichen – gracias deu – ich bin in Hochstimmung! Es ist Mitternacht, als wir uns mit der Freydis Salvador nähern. Mit dem Landwind weht auch der penetrante Mief der Großstadt zu uns herüber. Selbst blind und taub würde man sie entdecken. In der Bucht liegen mehrere Schiffsriesen auf Reede, Schlepper bugsieren Kolosse in den Hafen wie Ameisen tote Käfer in den Bau. Eine Bohrinsel steht – verschwenderisch illuminiert – wie ein Siegestor im Wasser. Dazwischen tanzen kleine Lämpchen unsichtbarer Fischerboote wie Geisterlichter über der schwarzen See. Immer deutlicher zeichnet sich die Silhouette Salvadors gegen den Himmel ab, in seiner Ober- und Unterstadt sind noch viele Fenster erleuchtet.

Über den Hafen dröhnen Fetzen von Rockmusik und die Masten der vielen Segler, die hier ankern, tanzen im Licht des Mondes einen gespenstischen Tanz. Als der Wind am Morgen dreht, müssen wir fluchtartig unseren erstgewählten Ankerplatz verlassen, weil uns einer der Vergnügungsschoner mit seinem langen spitzen Klüverbaum aufzuspießen droht.

Wir nehmen Zuflucht beim kreisrunden, mitten im Wasser stehenden Fort Sao Marcelo, wo wir vor zehn Jahren schon geankert haben. Aber jetzt liegen viel mehr Yachten hier und man kann froh sein, wenn man genug Raum zum Schwojen findet.

Starkwindböen und langdauernde Regenfälle, die uns draußen auf See schon tagelang gebeutelt haben, verschonen uns auch hier nicht. Wenn ich früh die Spülschüssel an Deck stelle, ist sie abends voll Regenwasser. Manchmal stehen tolle Regenbögen über uns.

Gar nicht so toll, aber ebenso farbenprächtig schillert auch die Ölschicht, die bei einem bestimmten Wind den ganzen Hafen überzieht. Zunächst habe ich die Bohrinsel als Übeltäterin in Verdacht, aber es ist „nur“ die Zapfsäule an der Pier, die während des Tankens leckt.
Das Pärchen auf der kleinen Nachbaryacht hat Streit, es geht hoch her. Am anderen Morgen sieht man den Mann mit einem Pflaster am Kopf und einem Verband um den Arm, die Frau mit einem blauen Auge. Etwas später wird es dort wieder laut „Unter diesen Umständen kannst du nicht hierbleiben!“ brüllt der Mann. Wenig später steigt die Frau mit Gepäck ins Beiboot, bindet es los und treibt Richtung Meer, weil sie in der Aufregung die Paddel vergessen hat. Der Mann brüllt „schwimm!“. Sie läßt sich in voller Montur ins Wasser fallen, zieht das Dingi hinter sich her. Der Mann schaut zu. Ein Segler von einem anderen Boot sammelt Frau und Boot ein.

Nicht nur im Hafen, auch in der Stadt Salvador hat sich die Atmosphäre geändert: Viele neue Hochhäuser „zieren“ die Skyline, eine Menge neuer Hotels, Restaurants und Boutiquen werben um Touristen. Vergeblich suche ich nach dem Steinlädchen mit der kleinen Hinterhofschleiferei und dem halbblinden alten Schleifer, wo ich vor zehn Jahren so wunderschöne Steine erstand. Überall nur moderne Schmuck- und Edelstein-Geschäfte mit großen Schaufenstern, prächtigen Auslagen und davor hübsche schwarze Bahianerinnen in weißen Spitzenkleidern, die Touristen zum Eintreten und Kaufen einladen.

Nachdem wir die Atlantiküberquerung von Gran Canaria aus zu zweit hinter uns gebracht haben, erhalten wir nun Gesellschaft. Thilo und Christine, unsere Freunde aus Ostfriesland, die dort eine große Baumschule betreiben, wollen drei Wochen ausspannen und mit uns auf der Freydis den Norden Brasiliens erleben.

In Salvador besuchen wir gemeinsam Marie Louise Smith, eine gebürtige Leeranerin, die schon 35 Jahre in Salvador lebt. Wir hatten sie und ihren Mann, einen der größten Kakaomakler der Welt, der damals noch lebte, bei unserem ersten Besuch hier kennen gelernt und gemeinsam mit ihnen viele schöne und anregende Stunden in ihrem herrlichen Haus mit Garten und Swimmingpool verbracht. Marie Louise hat nach dem plötzlichen Tode ihres Mannes unter anderem auch die Leitung ihrer Kakaoplantage übernommen, für die sich früher kaum interessiert hatte. Von der Pike auf mußte sie alles über Kakao-Anbau und -Vermarktung lernen und ist mächtig stolz, wie gut sie alles in den Griff bekommen hat. Sie lädt uns ein, die 200 Kilometer südlich von Salvador entfernte Plantage zu besuchen. Wir verabreden, daß wir auf unserem Weg nach Süden einen Abstecher dorthin machen.

Durch Marie Louises Vermittlung sind wir Gäste des „Club de Bahia“. Unser Ankerplatz ist allerdings ungeschützt der Atlantikdünung ausgesetzt und entsprechend alles andere als gastlich. Aber der Club hat Duschen, ein großes Süßwasserschwimmbad, zwei Restaurants und mehrere Aufenthaltsräume, in denen sogar Gymnastik- und Lambadakurse abgehalten werden. Und natürlich ist er streng bewacht. Überall stehen Schwerbewaffnete und Kontrolleure. In Salvador muß es nach den Aussagen der Leute, die wir hier kennenlernen, von Einbrechern und Dieben nur so wimmeln. Die Armutskriminalität sei in den letzten Jahren enorm gestiegen. Abends soll man als Ausländer besser nicht das Gelände verlassen, in der Stadt keine Armbanduhr oder gar echten Schmuck tragen, etc., etc.…

Wir machen einen Ausflug mit unseren brasilianischen Bekannten Vera und David auf deren Katamaran nach Itaparika, der schönen Insel gegenüber von Salvador mit Traumstränden, Palmenhainen, Fischerdörfern, kleinen Hotels und jetzt sogar einem Club Mediterrané. Neben uns eine weitere brasilianische Yacht: auf ihrem Heckkorb sitzt ein großer grüner Papagei unter einem himmelblauen Sonnenschirm, schlägt Purzelbäume und grölt dazu den neuesten Lambada-Hit Unter ihm schwimmt „Hasardeur“, der kleine schwarz-weiße Hund unserer Gastgeber, der als echter Glücksjäger seine Chance, daß der Papagei ins Wasser fällt, keinesfalls verpassen will. Vom Strand her dröhnt ohrenbetäubende Trompetenmusik. Das Musikkorps einer Polizeigarde übt „Freude schöner Götterfunke”, Beethoven würde sich im Grabe herumdrehen, wenn er da zuhörte. Auf der Rückfahrt entpuppt sich „Hasardeur“ als hervorragender Wachgänger; bei Dunkelheit verbellt er die Tonnen schon lange bevor wir sie entdecken können. Auch dieses Revier hat es in sich: vor zwei Wochen ist eine italienische Yacht nachts auf das Riff vor Itaparica gelaufen und sofort gesunken.

Morro

Wir segeln nach Morro, der Insel mit dem kleinen Dorf, das uns damals so gut gefiel, und ankern in „unserer“ Bucht am Palmenstrand.

Isla Saudade mit Neroi

Als Erstes besuchen wir unseren brasilianischen Freund Neroi, den wir auf unserer ersten Reise dort kennen gelernt und mit dem wir unvergesslich schöne und lustige Tage verbracht haben. Damals wohnte er auf der anderen Seite des Berges, jetzt keine hundert Meter von der Bucht entfernt, in der wir ankern. Er hat sein Land getauscht und sich hier – ganz im Palmenwald versteckt – wieder ein ähnliches Haus aus Palmen, Schilf und Bambus gebaut wie dort: ein kleines Wunderwerk aus phantasievollen, praktischen Einfällen gepaart mit handwerklicher Geschicklichkeit. Eine stabile Leiter führt uns hinauf zu einem großen Wohnzimmer mit dazugehöriger Küche, in das auf halber Höhe zum Dach zwei Schlafabteile wie überdimensionale Schwalbennester ragen. Statt Türen zieren Muschelketten die Eingänge und das Dach ist mit Piacava-Büscheln so dicht gedeckt, daß es auch bei tropischen Regengüssen keinen Tropfen durchläßt. Zum Meer hin zieht sich über die ganze Breite des Hauses eine Veranda voller Körbe und Tontöpfe, in denen Neroi alle möglichen Heil- und Küchenkräuter zieht, die einen angenehm würzigen Duft im ganzen Haus verbreiten. Aus dem Hahn in der Küche fließt kristallklares Wasser, das ohne Pumpe von einer etwas höher gelegenen Quelle frei Haus geliefert wird. Diese Quelle war zu Beginn des Jahrhunderts von Walfängern unten am Strand in Steine gefaßt und zur Wasserversorgung ihre Schiffe genutzt worden, erfahren wir. Und tatsächlich können wir dort den Brunnen und sogar Mauerreste alter Trankochereien entdecken. Selbst heutzutage verirrt sich gelegentlich noch ein Wal in diese Gegend. Erst im letzten Jahr ein großer Finnwal, der leider hier strandete. Das ganze Dorf hat danach wochenlang nur noch Walfleisch gegessen, erzählt Neroi. Die Rippen und Wirbel des Riesen zieren heute als Rundbögen und Barhocker die neue Diskothek.

Seit unserem letzten Besuch hat sich Morro, das verträumte kleine Fischerdorf zu einem richtigen Ferienort gemausert. Mehrere kleine Hotels und Pensionen sind gebaut worden und viele Häuser, von denen fast jedes Quartiere für Gäste anbietet, daneben auch Restaurants, Cafés und Kneipen, und sogar eine Diskothek (die mit den Walknochen). Alles zwar in recht bescheidenem Stil und zu gepfefferten Preisen – aber man hat sich den Wünschen der Sommergäste aus Sao Paulo und Minas Gerais angepaßt. Die Schattenseiten des Ferienparadieses bleiben allerdings keinem lange verborgen: Immer wieder sehen wir Gestalten mit glasigen Augen durch den Ort wanken. Und in den kleinen Bambuskneipen am Palmenstrand wird nicht nur frischgefangener Fisch gegessen und Bier und Caipirinha getrunken, sondern auch Marihuana geraucht und Kokain geschnupft. Etwa 20% der Einheimischen sollen regelmäßig Marihuana rauchen, erfahren wir, Kokain dagegen könnten sich nur die Reichen und die Europäer leisten. „Drogen und Einsamkeit haben schon zu viel Streit und Frust in den hübschen Häuschen geführt und viele Ehen sind daran kaputt gegangen“, weiß unser Freund.

Neroi, 40 Jahre, spricht sehr gut Deutsch. Er war früher fünf Jahre in Nürnberg, um sich zum Krankenpfleger ausbilden zu lassen. Das kommt der Bevölkerung und auch ihm selbst sehr zugute, denn der nächste Arzt ist noch immer weit und teuer. Geld kann er mit diesem Job zwar hier nicht verdienen, aber das bekommt er von wohlhabenden Brasilianern, denen er ähnlich originelle Ferienhäuser entwirft und baut, wie sein eigenes. Allerdings nur, wenn er nichts Besseres vorhat. Er braucht nicht viel Geld zum Leben, wozu auch? Zeit für seine Freunde und für sich zu haben, ist ihm wichtiger. Trotz manch schlechter Erfahrung und Ernüchterung gerade im Rahmen der dortigen Rauschgiftszene, scheint Neroi ein glücklicher Mensch geblieben zu sein.

Wir begleiten ihn zu einer viele Quadratkilometer großen Kokosplantage, die an die Ortschaft Morro grenzt und wo sich alles um die Kokosnuss dreht. Selbst die Pferde, auf denen Neroi, leidenschaftlicher Reiter, über die Insel galoppiert, werden mit Kokosnüssen gefüttert.

Besonders gerne fressen sie keimende Nüsse, deren Inneres ausschaut wie Eierschaum und auch so schmeckt. Aber wer mag nicht gerne Kokos-Merengen? Die harten Nüsse knacken, ist Schwerarbeit. Mit der Machete müssen die Schalen gespalten und die reife Nuß dann aus dem Bast geschält werden. Der “Nußknacker-Champion“ der Farm bringt’s auf 3000 geschälte Nüsse pro Tag! Ein ganz schöner Nussberg.

Im großräumigen Sommerhaus des Besitzers – er soll ein direkter Nachfahre Napoleons sein – staunen wir auch nicht schlecht: die Wände sind geradezu tapeziert mit wunderschön gezeichneten Wasserschildkröten-Panzern. Eine herrliche, wertvolle Sammlung würde man sagen, ginge es nicht um eine bedrohte Tierart. Wir können uns nicht daran freuen und fragen uns wieder mal, wie’s hier wohl in zwanzig Jahren mit der Tierwelt ausschaut. Unser Freund Neroi glaubt nicht, daß die erwachsene Bevölkerung seines Landes noch zu einem vernünftigen Umgang mit der Natur gebracht werden kann. „Sie sehen nicht ein, daß sie plötzlich keine Schildkröten und keine Kaimane mehr töten, keine Wälder mehr abbrennen und die Pille nehmen sollen. Selbst durch Gesetze lassen sie sich von ihren Gewohnheiten nicht abbringen. Und die brasilianische Polizei ist langmütig.“ Aber sind wir etwa besser, wir Europäer mit unseren Autoabgasen, verseuchten Deponien und radioaktiven Abfällen?

Zurück zu den schönen Schildkröten. Mit Marie Louise haben wir außerhalb Salvadors am Strand eine Aufzuchtstation für Meeresschildkröten besucht. Ein Hoffnungsschimmer, wenigstens für die Schildkröten.

Mit Neroi geht’s auf der Freydis zu dem kleinen Urwalddorf Cairu, wo wir zwei deutsche Franziskaner-Pater wiedersehen wollen, die wir dort vor zehn Jahren kennen gelernt haben. Die beiden sind schon seit 1932 im Ort und beide nun schon 75 Jahre alt. Sie leben in einem alten Kloster, das bereits 1624 fertiggestellt, später dem Verfall preisgegeben worden war und erst wieder vor fast 60 Jahren durch die beiden tatkräftigen Patres bewohnbar gemacht wurde. Wir sind sehr gespannt, wie es ihnen jetzt geht. Pater Rufinus ist gerade zu Besuch in Deutschland, und so können wir leider nur Pater Lambertus begrüßen. Er kann sich noch gut an uns erinnern. Pater Rufinus wäre ja damals am liebsten auf der Freydis mit nach Rio gesegelt, schmunzelt er. Der wolle ja immer weg. Neulich sei er tatsächlich mal ausgezogen, hatte seinen Cairu-„Koller“ gekriegt und sich versetzen lassen. „Aber wenn man 35 Jahre in Eigenregie hier gelebt hat, ist es gar nicht mehr so einfach, wo anders klarzukommen“, erklärt der Pater. Schon nach drei Tagen sei Rufinus reuig zurückgekehrt.

Pater Lambertus dagegen scheint recht zufrieden hier in Brasilien. Von den Politikern, die sich gerade profilieren wollten und auf Stimmenfang durchs Land reisten, bekäme das Kloster jetzt sogar ab und zu ein wenig Geld, das könnten sie gut gebrauchen. Er führt uns durch die kleine Klosterkirche in der die wundervoll geschnitzte alte Kanzel und das edle Gestühl völlig von Termiten zerfressen ist. Eine kleine Schreinerwerkstatt mit vorsintflutlichen Werkzeugen bemüht sich in Handarbeit um die Restaurierung und leistet Erstaunliches. Eine schwere Arbeit, denn nur sehr hartes, termitenresistentes Holz darf verwendet werden. Jüngst haben Lambertus und Rufinus ihre Ordensbrüder in Deutschland angeschrieben und um Geld für einen neuen Beichtstuhl gebeten. Die Antwort war negativ: man habe kein Geld für brasilianische Kunstdenkmäler. Aber die beiden Padres sind nicht so leicht abzuspeisen. Die Bitte wurde umformuliert, wobei sie natürlich weiterhin der Wahrheit entsprach: Man möge ihnen doch das Geld schicken, damit sie einem armen Mann in Not in der Kirche Arbeit als Restaurator geben können. Das Geld kam prompt. Nicht nur Rufinus, auch Lambertus hat den Schalk im Nacken: Don Camillo und Pepone im Urwald!

Die Zeiten, als sie bei ihrem Wunsch nach einem Auto vom Bischof daran erinnert wurden, daß das Fortbewegungsmittel eines armen Franziskaner-Mönches seine Sandalen sind, haben sich geändert. Lambertus und Rufinus besitzen jetzt nicht nur ein Moped, sondern auch ein kleines Auto und ein Boot, um ihre Gläubigen auch in den hintersten Urwaldwinkeln erreichen zu können. Auf den Bevölkerungszuwachs in Brasilien angesprochen, meint er, „hier sind doch alle glücklich, keiner muß hungern, Fisch, Langusten, Bananen gibt’s genug“. Von den Favelas, den riesigen Armutssiedlungen in den Großstädten, will er dagegen nichts wissen.

Natürlich machen sie sich Gedanken, wie es hier mit dem Kloster und der seelsorgerischen Betreuung der Leute weitergeht, wenn sie einmal nicht mehr da sind. Jüngst habe man ihnen zwei junge brasilianischen Padres zur Unterstützung ins Kloster geschickt, aber die seien mit dem Essen unzufrieden und auch sonst so anspruchsvoll gewesen, daß er sie gleich wieder fortgeschickt habe. „Sowas kann ich hier nicht gebrauchen“ sagt der alte Pater und schüttelt den Kopf, wohlwissend daß er sich damit den Unmut seiner brasilianischen Ordensbrüder zugezogen hat.

In unserer Bucht bei Morro treffen wir auch auf die Yacht „Tiamat“ mit Peter, einem Schweizer und seinem Schäferhund. Peter ist bereits seit mehreren Jahren unterwegs, in den letzten beiden allerdings kaum mehr vom Fleck gekommen. Langes grünes Seegras ziert deshalb die einst weiße Wasserlinie seiner Meeresgöttin. Auch Gaby und Wolfgang von der „Wilden Mathilde“ lernen wir kennen, die uns auf unserer weiteren Reise noch häufiger begegnen werden. Sie leben schon seit vier Jahre auf ihrer schönen, gepflegten Ketsch vom Typ Joshua, segelten lange Zeit in der Türkei und in Gambia und auch hier in Brasilien haben sie es nicht eilig. Wie schön ist es, unter Gleichgesinnten zu sein! Stundenlang und mit wachsender Begeisterung fachsimpeln wir über die Ausrüstung und erzählen uns von den Erlebnissen in den Ländern, die wir mit unseren Schiffen aufgesucht haben. Als es um die paradiesischen Plätze geht, wo man noch keinen Menschen trifft, sprechen wir alle etwas leiser, als gelte es die Schlupfwinkel, in die sich die bedrängte Natur zurückgezogen hat, vor der übrigen Welt geheim zu halten.

Um fünf Uhr früh laufen wir zusammen mit der Wilden Mathilde und der Tiamat ein paar Flussschleifen weiter nach Galeau, einem verträumten kleinen Fischerdorf mit vielen Reusen davor, an denen sich Fischer in Einbäumen zu schaffen machen. Dunkelhäutige Bewohner bleiben staunend am Strand stehen, als sie unseren Konvoi sehen. Kinder bestürmen Neroi, den sie kennen, ihnen Einzelheiten über uns zu erzählen. Unsere Yachten sind die ersten, die das Dorf besuchen. Sowas gibt’s eben noch in Brasilien! Am Abend läßt Neroi für uns in einer der Hütten von einer Frau ein Essen zubereiten. Wir dürfen wählen zwischen Fisch, Flusskrebs, Languste, Tatu (Gürteltier) und Kaiman.

In Galeau sind unsere Yachten sicher, es besteht nicht die geringste Gefahr, daß eingebrochen wird. Wir können sie beruhigt alleine lassen. Für den nächsten Tag nehmen wir uns deshalb einen Besuch auf Marie Louises Kakaoplantage vor. Mit der ersten Fähre, um sechs Uhr früh, setzen wir zusammen mit vielen vergnügten Schulkindern über mehrere flache Flussarme nach Valenca über, einer Kleinstadt mit 70.000 Einwohnern. Vor zehn Jahren, als wir die Stadt mit der Freydis besuchten, waren es doch erst 40.000, wundere ich mich. Dort mieten wir einen Wagen und fahren fünfzig Kilometer weiter ins Landesinnere. Auf dem Weg dorthin, sowie auf der Kakaoplantage selbst, schwanken unsere Gefühle zwischen der Bewunderung für diese Frau, die in die Fußstapfen ihres Mannes tritt, Urwald rodet und Pflanzungen anlegt, und der Trauer, daß auf diese Weise Stück für Stück des Urwaldes verschwindet. Dieser letzte Streifen Küsten-Urwald steht zwar nicht so im Brennpunkt des Weltinteresses wie der Urwald des Amazonasbeckens, er ist aber deshalb nicht weniger wertvoll. Unsere Gartenbau-Spezialisten Thilo und Christine schauen besonders betroffen auf die gestürzten Urwaldriesen und verbrannten Wurzelstümpfe.

Der Küstenurwald im Süden von Bahia muss weichen: Es wird Platz geschaffen für Kakaoplantagen

Es ist Zeit Abschied zu nehmen von Morro, der Wilden Mathilde, der Tiamat und auch von Neroi, unserem Pfadfinder zu Lande und zu Wasser. Aber wir wissen ja, die Welt ist klein, vor allem für Segler. Wir sind sicher, daß wir uns wiedersehen, wenn auch vielleicht erst in ein paar Jahren.

Camamu

Als wir aufbrechen, regnet es aus dicken, dunklen Wolken und auch der Wind ist uns nicht gewogen. Den ganzen Tag bläst er uns auf die Nase und die Wellen hacken uns seekrank und mürbe. Beim Essen beschränken wir uns auf Kokosnüsse, Äpfel und Bananen. Wir laufen an der Ponta da Castelhanos vorbei. „Dort könnt ihr noch einen Schatz heben“ hatte uns Neroi erzählt, dessen Freund beim Tauchen dort auf die Reste eines alten spanischen Schiffes gestoßen war. Aber leider wird nichts daraus. Wir können nicht ankern: bei dem südlichen Wind lägen wir auf Legerwall, außerdem ist die Stelle sehr flach, was ja schon dem Spanier zum Verhängnis geworden war.
Dafür spüren wir das kleine Urwalddorf Camamu auf und nehmen dafür sogar erhebliche Umwege in Kauf, weil uns die brasilianische Spezialkarte fehlt. Wieder mal bewährt sich der Schwenkkiel. Nach einer Slalomfahrt durch den Mangrovendschungel ankern wir vor dem malerischen kleinen Ort am Berghang.

Nach einer Slalomfahrt durch den Urwald landen wir in dem kleinen Dorf Camamu

Schwarze Kinder in schwarzen Einbäumen fahren um unsere Freydis herum, mustern sie von oben bis unten und stellen sich auf, um besser ins Deckshaus gucken zu können. Auch hier sind wir die erste ausländische Yacht im Hafen und damit Attraktion des Dorfes. Beim Provianteinkauf werden wir unentwegt gefragt, woher wir kommen und ob es uns in Brasilien gefällt. Auf diese Weise machen wir auch Bekanntschaft mit Romildo, pensionierter Polizist aus Rio, der sich nun vor allem seiner Gitarrenmusik widmet. Er ist sogar schon mehrfach im brasilianischen Fernsehen aufgetreten.

Wir erleben Romildo „life“ an Bord, als er am Nachmittag unser Gast ist, denn natürlich bringt er seine Gitarre mit und spielt und singt mit rauher, gefühlvoller Stimme a la Nat King Cool von Liebe, Hoffnung, Sehnsucht, Verrat, Einsamkeit und Tod. Romantische Stunden inmitten einer traumhaften Urwaldszenerie! Immer wieder bitten wir ihn um eine Zugabe, bis nach Sonnenuntergang die Salveiros, randvoll mit Menschen, von ihrem Sonntagsausflug zurückkehren: mit Pauken und Trompeten, versteht sich, denn Musik hat in Brasilien keinen Anfang und kein Ende, sie gehört einfach dazu, zu allem.

Romildo bringt Heide ein Ständchen

Santa Cruz de Cabralia

Unerfreuliche Starkwind-Fahrt gegen an nach Santa Cruz de Cabralia. Dazu noch rabenschwarze Nacht, erst drei Stunden vor dem Morgen, bequemt sich der fette Vollmond endlich aufzugehen. Das also ist „happy sailing“ an brasilianischen Gestaden! Aber das ist nicht alles. Als wir von der Kreuz gerädert, am Vormittag vor der langen Barre ankommen, die Santa Cruz vorgelagert ist, hat der auflandige Wind dort eine üble Brandung aufgebaut. Wir haben nur den deutschen Übersegler und wieder mal keine Spezialkarte. Außerdem hat uns Jürgen Lechte, TO Stützpunktleiter, den wir hier besuchen wollen, über Kurzwelle gewarnt: „da wird wohl keiner ohne Lotsen hereinkommen!“ Aber Jürgen ist nicht zu Hause, ein anderer Lotse nicht in Sicht. Also erst einmal dicht ans Riff und daran entlangsegeln. Von außen schaut es wie eine Kaimauer aus, die sich nach Norden zu unter Wasser fortsetzt. „Irgendwo muß sich der Fluß doch einen Auslass gegraben haben“ brummt Erich, der hinter der Barre einen Flusslauf entdeckt hat. Angestrengt halten wir Ausschau. Und tatsächlich, an einer schmalen Stelle läßt die Brandung nach. „Wer war denn Euer Führer?“ fragt Jürgen verblüfft, als er zu seinem Haus am Fluß zurückkehrt und uns davor ankern sieht. „Erichs Nase“ grinst Thilo.

Jürgen, der selbst Segler ist und wie kein zweiter die brasilianische Küste kennt, lebt bereits seit mehreren Jahre auf „Sitio Taigun“, seinem idyllisch gelegenen, Urwald-umwucherten Anwesen, das vom eigentlichen Ort Santa Cruz durch einen breiten Flusslauf getrennten ist. Mit 35 Jahren hatte er seinen Teilhaberschaft an einer Werbeagentur in Deutschland aufgegeben und längere Zeit im Mittelmeer als Skipper auf Booten verbracht, wobei er auch Yachten nach Afrika, Asien oder Amerika überführte. In Brasilien fand er das Land seiner Träume und – auf dem berühmten Karneval in Salvador – auch seine junge brasilianische Frau Anna Lucia. Zusammen haben sie hier ihren Garten Eden aufgebaut, und während er als Bauaufseher und Grundstücksmakler in der Umgebung unterwegs ist, betreibt seine Frau eine kleine Boutique am Strand. Zur Familie gehören auch ihre hübsche kleine Tochter Valerie und Otto, der Papagai.

Otto, eine Blaukopf-Amazone, ist ein richtiger Spaßvogel und als solcher im ganzen Ort bekannt. Wann immer Jürgen mit seinem Speedboot über den Fluß zum Dorf jagt, um Besorgungen zu machen, ist Otto dabei, haarscharf und mit den schneidigsten Flugmanövern über Jürgens Kopf dahin brausend. In den Läden feuert er Jürgen mit seinem Lieblingsspruch“Otto sta com fome = Otto hat Hunger“ zum Brot- und Obstkauf an. Gleich am ersten Tag hat Otto die Freydis inspiziert und sich als „Otto Papagaio“ vorgestellt. Müsli und dänische Butterkekse erwiesen sich als gute Basis für eine dauerhafte Freundschaft mit ihm. Sobald Erich in die Hände klatscht und Richtung Busch ruft „Otto, der Tee ist fertig!“ rauscht Otto an, läßt sich elegant auf dem Steuerrad nieder und verkündet lauthals „Otto sta com fome!“.

Als wir ihm eines Tages aus Spaß unser Maskottchen vorführen, einen kleinen Stoffhund, der laufen und bellen kann, wenn man ihn aufzieht, gerät Otto völlig aus dem Häuschen. Aus dem handzahmen, lustigen Papagei wird augenblicklich ein agressiver kleiner Kampfhahn. Und dann legt er los, weint, heult, schreit und brüllt wie ein kräftiger Säugling mit vollen Windeln: herzzerreißend, zum Gotterbarmen und vor allem so täuschend echt, daß er damit jede Mutter in Angst und Schrecken versetzt hätte. Zunächst sind auch wir bestürzt, schauen ihm fassungslos zu und können kaum glauben, was wir sehen und hören, aber dann lachen wir doch Tränen über diesen urkomischen Vogel. Nach einer halben Stunde hat sich Otto total verausgabt und ist völlig erschöpft. Aber es gelingt uns, wenigstens einen Teil seiner dramatischen Inszenierung aufzuzeichnen. Als wir Jürgen das Band Vorspielen, erkennt er das Säuglingsgebrüll als das seiner Tochter. „Otto war damals sehr eifersüchtig auf die Kleine, die zu der Zeit ähnliche Stofftiere besaß“, lacht er. Da soll doch bloß jemand behaupten, Tiere hätten keine Seele! Übrigens ist Otto wegen seiner begnadeten Stimme auf der Freydis in die Reihe der „Unsterblichen“ aufgenommen worden.

Apropos „Otto Papagaio“: Der florentinische Kartograph Amerigo Vespucci nannte dieses Land, an dessen Küste er 1499 auf seiner Erkundungsfahrt entlangsegelte „Papageienland“, weil er dort außer Urwald „nur“ kreischende bunte Vögel entdeckte. Und noch ein bißchen Geschichte: ein Jahr später landete die Flotte des Portugiesen Cabral, der als Entdecker Brasiliens gilt, just dort, wo heute das kleine Dorf Santa Cruz de Cabralia liegt. Wir befinden uns also auf geschichtsträchtigem Boden. Von hier aus nahm die Kolonisierung Brasiliens ihren Ausgang.
Christine und Thilo verlassen uns, sie haben noch eine Wonne-Woche „Club Mediterrane´“ in Itaparica vor sich.

Zwei Tage später treffen wir hier auch die „Wilde Mathilde“ mit Gaby und Wolfgang wieder. Die beiden waren, von Morro auslaufend, in dieselbe stürmische Kaltfront geraten wie wir und hatten sich gleich nach llheus abgesetzt, um günstigere Winde abzuwarten. Mit ihrem Tiefgang von fast zwei Metern wurde sie zunächst nach St Cruz gelotst und kamen erst am Nachmittag, bei Hochwasser, den Fluß herauf. Gleich am nächsten Morgen geht’s zu viert mit vollem Picknickkorb, Strohhüten, Sonnencremes, Vogel- und Pflanzenbestimmungsbuch und Machete auf Flusserkundung mit dem Schlauchboot. Wir können uns nicht sattsehen an der märchenhaften Vegetation, den farbenfrohen Blüten, wilden Orchideen und tropischen Früchten. Je weiter wir hinauf kommen, desto länger und üppiger werden Schlingpflanzen und Äste, die wie ausgestreckte Arme vom Ufer her ins Wasser ragen, uns immer wieder festhalten und den Weg versperren. Bald umgibt uns dichtester Dschungel, in dem wir nicht mehr wagen an Land zu gehen. Erst am Vorabend hatte uns Jürgen einige Giftschlangen gezeigt, die er auf seinem Gelände gefangen und getötet hat und zum Vorzeigen in Einweckgläsern aufbewahrt Auf Schlangen können wir gut verzichten, Moskitos quälen uns schon genug.

Auf der Rückfahrt entdecken wir das im Sumpf halbversunkene und im Mangrovengebüsch versteckte Wrack einer Stahlyacht, mitten auf einer kleinen Fluss-Insel, nicht weit von unserem Ankerplatz entfernt..

Eine schöne Bruce Roberts Yacht sei es einmal gewesen, ein roter Knickspannter wie die Freydis, erfahren wir später von Jürgen. Ein in Rio lebender Belgier hatte sie mit viel Elan dort ausbauen lassen, aber schon auf der ersten Reise nach Santa Cruz, auf der er in schlechtes Wetter geraten und seekrank geworden war, den Spaß daran verloren. Und nachdem das Schiff, das bei dem Sturm bereits erheblich gelitten hatte, hier im Hafen noch zweimal gesunken und wieder gehoben worden war, verkaufte er es „für’n Appel und’n Ei“. Der neue Besitzer aber wurde mit dem Kauf auch nicht glücklich. Zu Vieles war schon irreparabel zerstört. Nun fühlte sich keiner mehr zuständig für das Schiff, das langsam zum „Schandfleck“ des Hafens verrottete, bis man es schließlich in die Mangroven schleppte, wo es erneut voll Wasser lief.

Ein paar Tage später tasten wir uns zusammen mit Gaby und Wolfgang bei Hochwasser mit der Freydis ans Wrack heran. Es ist zwar schon weitgehend ausgeschlachtet, aber einige angeschweißte, gut verwertbare Teile und Beschläge aus Nirosta sind noch dran. Und wozu haben wir denn einen Flex und einen Generator an Bord? So kommen wir also doch noch zum Schatzheben (oder vielmehr -flexen) und haben Mordsspaß bei der Aktion.

Brigitte und Hans Ulrich, unsere Freunde aus Düsseldorf sind während dessen angekommen. Hans Ulrich, Fachmann für optische Gerate, Mitte Vierzig, ist erfahrener Hochseesegler, der früher schon etappenweise auf der Freydis mit gesegelt ist und auch auf dem Törn in die Antarktis dabei sein wird. Brigitte, seine Frau ist dagegen zum ersten mal auf einem Segelboot. Nach Santa Cruz de Cabralia zu kommen war kein Problem. Mit einer kleinen Propellermaschine waren sie von Rio nach Porto Seguro geflogen, wo Jürgen sie am Flugplatz abgeholt und hierher gebracht hat.
Von St Cruz fahren wir mit Jürgen auf der Küstenstraße zu der 25 Kilometer entfernten, 40.000 Einwohner zahlenden Stadt Porto Seguro, um Schiffsfarbe zu kaufen. Kilometerlange, wunderschöne Sandstrände ziehen an uns vorüber, lange Strecken davon sind aber bereits verbaut, mit Pousadas, kleinen Hotels und Ferienhäusern. Vieles ist im Entstehen, ein Ende des Baubooms nicht abzusehen.

Am Strand Coroa Vermelha buntes Badeleben, viel Touristenrummel. Um das Kreuz, das die Stelle kennzeichnet, auf dem die Portugiesen die erst Messe auf brasilianischem Boden lasen, haben Indios ihre Verkaufsstände aufgebaut, in denen sie Handarbeiten und Souvenirs anbieten. Die Cidade Alta, die Oberstadt, die 300 Meter höher auf einem Plateau liegt, ist weit interessanter als die moderne Unterstadt. Dort gibt es noch intakte Kolonialbauten und eine schöne Kirche aus der Zeit der ersten portugiesischen Kolonie, zu deren Bau eine Mischung aus Stein, Lehm, Kalk und Walöl verwendet wurde.

Abrolhos – Archipel

Nach einer Woche auf Sitio Taigun sind wir Brasilien wieder total verfallen. Aber wir müssen den Zeitplan einhalten und uns losreißen. Die Abrolhos warten! Hundert Meilen sind es bis dorthin.
Zunächst haben wir kräftigen Ostwind und kommen gut voran. In der Nacht schläft der Wind allerdings ein und Regengüsse prasseln aufs Deck. Brigitte ist seekrank, Hans Ulrich und ich haben uns vorsorglich Pflaster hinters Ohr geklebt. Am Morgen strahlt die Sonne von einem wolkenlosen Himmel und leichte achterliche Winde schieben uns vorwärts. Brigitte hat es sich auf dem umgedrehten Dingi gemütlich gemacht, das wir auf dem Vorschiff festgezurrt haben. „Das scheint hier die first dass zu sein“, lacht sie vergnügt, als ich ihr einen Drink reiche. Gleich darauf ruft sie aufgeregt „schaut mal dort, was ist denn das?“ Zwei dunkle Buckel heben sich aus dem Wasser und verschwinden wieder. Erich: „Zwei Wale, ganz gut für den Segelanfang, Brigitte, wir haben auf der ganzen bisherigen Reise noch keinen einzigen gesehen“.

Als wir die Abrolhos erreichen, hat sich der Himmel verfinstert. Starkwindböen stürzen auf uns herab. Die vorhergesagte Kaltfront aus Süden hat uns erreicht. Zum Glück kann sie uns, so nahe an der geschützten Bucht auf der Nordseite von Santa Barbara, nicht mehr viel anhaben. Über UKW werden wir von Adolfo, dem Naturschutz-Beauftragten der Abrolhos begrüßt. Er ist einer der insgesamt 27 – köpfigen Bevölkerung auf St Barbara, die sich aus Marine-Angehörigen und deren Familien zusammensetzt. In den darauffolgenden Tagen, holen uns Adolfo und Bernadette, seine Frau mehrmals mit ihrem offenen, gut motorisierten Aluminiumboot ab, und fahren mit uns zu den Mini-Inseln, die um die Hauptinsel herum gruppiert sind und unter Naturschutz stehen. Adolfo und Bernadette, beide Mitte zwanzig, kommen aus Belem und leben schon zwei Jahre auf St Barbara. Bernadette ist Grundschullehrerin und unterrichtet die acht Kinder auf der Insel. Adolfo hat seinen Beruf als Mathematiklehrer an den Nagel gehängt, und sich stattdessen mit Leib und Seele dem Naturschutz verschrieben. Begeistert erzählt er von den Walen, die sich hier, von der Antarktis kommend, an den Riffkanten ausruhen, und die er zählt und identifiziert, zuweilen auch mit dem Boot begleitet – im letzten Jahr von Juli bis Dezember seien es etwa hundert Wale gewesen. Auf diese Weise konnte Adolfo sogar eine Walgeburt miterleben.

Auch Bernadette fährt gerne mit hinaus, um die vielfältige Fauna und Flora der Inseln und Buchten zu beobachten, soweit ihr der Schulunterricht Zeit dazu läßt. Ihre Kenntnisse gibt sie an die Kinder weiter, die sie im Sinne des Naturschutzes erzieht. Insgesamt wollen die beiden fünf Jahre auf den Abrolhos bleiben, auch wenn sie sich manchmal doch recht einsam hier fühlen, wie uns Bernadette gesteht. Zwar können die Bewohner jetzt auf der Insel fernsehen und sogar mit Freunden und Verwandten auf dem Festland telefonieren, und natürlich bringen auch die einlaufenden Schiffe Abwechslung – im letzten Jahr sind nicht weniger als fünfzig ausländische Yachten hier vor Anker gegangen, und im Sommer kommen regelmäßig einheimische Touristen mit Schonern von Porto Seguro herüber – aber auf die Dauer ist das kein Ersatz für Familie und Freunde zu Hause. Schon gar nicht für so junge Leute wie die beiden. Aber demnächst hätten sie Urlaub, dann ginge es nach zwei Jahren erstmals wieder zum Festland, vier Wochen nach Belem. Adolfos und Bernadettes Augen leuchten.

Wir sind natürlich rundherum glücklich hier zu sein und viel zu kurz erscheinen uns die Tage, in denen wir uns an den Stätten unserer Erinnerung aufhalten können, die sich in all den Jahren kaum verändert haben und wo wir uns immer noch wie Robinson Crusoes fühlen.

Wenn an den Riffen vor den Inseln das Wasser klar und nicht allzu unruhig ist, dann schnorcheln und tauchen wir für mehrere Stunden und geben uns einer faszinierend schönen Unterwasserwelt hin, in der langgliedrige Geschöpfe aus Tang, Polypen und bunte Fische ihren wunderbar harmonischen Schleier- und Fächertanz aufführen im Rhythmus der Wellen und einer für unsere menschlichen Ohren nicht hörbaren Musik. Immer wieder paddeln Schildkröten an uns vorbei, sind aber blitzschnell wieder verschwunden, wenn sie uns entdecken. Denn natürlich lauern überall auch gefräßige Räuber. Das ist uns vom letzten Abrolhos-Aufenthalt noch gut in Erinnerung: Ein Farbiger, der von der Insel aus beobachtet hatte, wie wir nach unserer Ankunft von der Freydis aus ein erfrischendes Bad nahmen, meinte damals lachend, wir hätten aber Mut gehabt, hier zu baden. Sicher hätten wir gute Unterwasserwaffen, denn er habe schon häufiger große Haie in der Bucht gesehen, während er geangelt habe. Vorsicht ist geboten. Als ich die blutigen Innereien von einigen Bonitos über Bord werfe, die Fischer außerhalb des Naturparks gefischt und uns geschenkt haben, sehen wir plötzlich einen eineinhalb Meter langen Schatten langsam neben der Freydis auf- und abschwimmen -unverkennbar ein Hai! Brigitte, die vor dem Essen noch einmal baden wollte und gerade auf der Leiter steht, gibt ihr Vorhaben rasch wieder auf: „Als Fischfutter bin ich mir zu schade.“

Auf den Inseln nisten Paradiesvögel in Felshöhlen und unter freiem Himmel brüten Tölpel und Fregattvögel im Gebüsch oder auf nackten Steinen. Auf dem vorgelagerten Riff, das wir bei Niedrigwasser trockenen Fußes erreichen, untersuchen wir die Reste einer Segelyacht: den zerschmetterten Rumpf aus Fiberglas und mehrere Stücke daraus. Sie hieß „Bora Bora“ und ist 1985 hier gestrandet, weiß Adolfo..

Abrolhos: Hans-Ulrich inspiziert die Reste einer zerstörten Kunststoffyacht

Während unseres Aufenthaltes auf den Abrolhos hätte die französischen Yacht „Tanaga“ um Haaresbreite das gleiche Schicksal wie die „Bora Bora“ ereilt. Adolfo, der vom Leuchturm aus beobachtete, wie sie bei Hochwasser und grobem Seegang mitten über´s Riff auf unsere Ankerbucht zuschipperte, hielt sie bereits für verloren. Wie durch ein Wunder war ihr nichts passiert. Später, bei Kaffee und Crepes im Salon der Tanaga, einer zwölf Meter langen Stahlyacht, erzählt uns Frederique, ihr Skipper, daß sein Kompaß von einem Moment auf den anderen einen verkehrten Kurs angezeigt habe. Vielleicht war ja unbemerkt ein Kompensations-Magnet abgefallen, überlegen wir. Aber bei der guten Sicht war das wohl nicht der einzige Grund fürs Vernavigieren. Bezeichnenderweise nannten Portugiesische Seefahrer die Inseln „Abros fos ossos = halte die Augen offen, hier droht Gefahr“.

Da die Tanaga und die Freydis auf entgegengesetzten Kursen segeln, kann ein Schiff dem anderen viele wertvolle Informationen und Tips im Hinblick auf Ankerplätze und navigatorische Besonderheiten geben. Auf unsere Empfehlung will Frederique auch „Sitio Taigun“ anlaufen.

Der Wind hat in der Nacht auf NO gedreht, die Freydis torkelt um ihren Anker wie ein Betrunkener um den Laternenpfahl. Am Morgen sind wir alle seekrank. Nichts wie weg! Bessere Bedingungen können wir gar nicht bekommen. Wir bäumen die Schmetterlingssegel aus und fliegen förmlich gen Süden. Wie schön für mich, daß Hans Ulrichs Hobby die Astronomie ist, bei den klaren Nächten kann er mir während der Wachen viele Steinbilder erklären. Heute, am 20. 9.1990 steuert die Freydis zum Beispiel geradenwegs auf das Kreuz des Südens zu, das sich nur wenig über den Horizont erhebt. Rasmus meint es gut mit uns, das Wetter bleibt beständig, der Wind bläst unentwegt von achtern und die Freydis läuft wie geschmiert. Brigitte, die bisher von uns allen am stärksten unter Seekrankheit gelitten hat und nach eigenen Aussagen eher ihrem Mann zu Liebe als aus eigenem Antrieb mitsegelt, kann wieder lachen: Hans Ulrich hätte ihr zum Hochzeitstag eine Kreuzfahrt versprochen, und sie habe natürlich eingewilligt und an einen Luxusdampfer in der Karibik gedacht „Und wenn ich außerdem noch gewußt hätte, daß man beim Segeln tagelang kein Land sieht, wäre ich nie mitgekommen!“ Aber nun ist sie doch stolz, daß sie bisher so gut durchgehalten hat. Nach einem Bade-Tag in der schmalen Bucht von Buzios mit ihren superweißen Palmenstränden, verschlechtert sich das Wetter plötzlich. Fallböen fegen von den Bergen und lassen die Freydis ganz schön zur Kehr gehen. Brigitte verkriecht sich in ihre Koje und zieht die Bettdecke über den Kopf. Ich stehe am Ruder, für mich immer noch der beste Platz gegen Seekrankheit.

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Episode 6: Atoll DAS ROCAS

Dienstag, 22.12.2015, La Palma

Kurz vor Sonnenuntergang verabschieden wir uns von der brasilianischen Insel Fernando de Noronha und laufen mit frischem achterlichen Wind aus der malerischen Bucht St. Antonio, unserem geruhsamen Liegeplatz der vergangenen 14 Tage. Aber nun lockt uns ein neues Ziel. Achtzig Seemeilen westlich liegt das Atoll Das Rocas, ein kreisförmiges Korallenriff von 1,8 Seemeilen Durchmesser mit zwei kleinen Sandinseln mittendrin. Das unbewohnte Atoll steht unter Naturschutz. Mit einer Sondergenehmigung dürfen wir dieses einsame Fleckchen Land im Atlantik anlaufen und sind nun natürlich gespannt, was uns dort erwartet.

Absichtlich sind wir abends losgesegelt, weil wir uns dem flachen, erst auf wenige Seemeilen hin sichtbar werdenden Riff bei Helligkeit nähern wollen. Zwar steht auf einer der Inseln ein Leuchtfeuer, aber die Frage ist halt, ob es auch brennt.

Draußen auf See beutelt uns eine hohe Dünung, der Wind flaut ab. Die Freydis torkelt wie betrunken durch die helle Vollmondnacht. Nur ab und zu verdunkeln Wolkenungetüme den gelben Lampion am Himmel und erschrecken uns mit Starkwindböen und kühlen Regengüssen. An Schlaf ist nicht zu denken, in der Koje wird man hin und her gerollt, selbst im Liegen läßt mich die Seekrankheit nicht los. Die Mallungen haben uns offensichtlich wieder am Wickel. Der Sonnenaufgang erscheint mir wie eine Erlösung und ich begrüße ihn in freudiger Erwartung auf kommende Abenteuer.

Etwas später höre ich vereinzelt Vogelschreie, Tölpel kreisen über der Freydis wie Späher, ausgesandt von einem nicht mehr weit entfernten Land.

Langsam müsste das Atoll in Sicht kommen, falls wir uns nicht vernavigiert haben. Seit gestern abend weigert sich nämlich unser GPS, einen Standort anzuzeigen. Wahrscheinlich hat er wieder mal nicht genug Satelliten für seine Berechnungen. Immer mehr Tölpel und jetzt auch Seeschwalben und Paradiesvögel fliegen über uns hinweg oder versuchen irgendwie auf der Freydis zu landen.
Angestrengt halten wir Ausschau nach Land. Laut Seehandbuch sind bei Hochwasser nur ein Teil der Klippen und die beiden niedrigen Sandinseln im Westteil des Atolls zu sehen.

Endlich, gegen neun Uhr, kommen etwa fünf Seemeilen voraus einige turmähnliche Gebilde in Sicht. Das Geschrei, Gezeter und Gezwitscher der zahllosen, wirr durcheinander fliegenden Inselbewohner wird geradezu ohrenbetäubend, als wir uns dem Riffkranz nähern, der die leuchtend weißen Eilande umgibt wie eine Dornenhecke, die vor ungebetenen Gästen schützen soll – vor uns? Nachdem wir rundum vergeblich nach einer Durchfahrt für die Freydis gesucht haben, entschließen wir uns, vor der Riffkante, an der Nordwest-Seite des Atolls, zu ankern.

Trotz des Landschutzes ist das ein unruhiger Liegeplatz bei hohem Schwell, weil die Passatdünung um das Riff herumläuft. Von der Seekrankheit kann ich mich hier gewiß nicht erholen. Sobald wir uns vergewissert haben, daß der Anker hält, fliehen wir mit dem Dingi von Bord. Aber wie sollen
wir nur über das Riff kommen? Wir fahren daran entlang, immer auf der Hut, nicht mit einer Welle auf die scharfen, spitzen Kanten gestoßen zu werden. Schließlich finden wir eine schmale Öffnung und hangeln uns über einen verworrenen Wasserpfad durchs Korallenlabyrinth ans Ziel unserer Wünsche.

Vor uns eine Lagune mit spiegelglattem, türkisfarbenem Wasser und einem unbeschreiblichen Strand. Noch nie haben wir einen funkelnderen, weißeren Sand gesehen. Kein Wunder, weil es auch gar kein richtiger Sand ist – der Strand besteht allein aus zerriebenen Korallen und Muscheln.

Staunend und fast geblendet stehen wir auf unserem neu entdeckten Land und schauen uns um.

Der Himmel über den beiden Inseln ist fast schwarz vor Vögel. Abertausende Seevögel – Seeschwalben, Tölpel und Fregatten – sind hier beheimatet. Unentwegt landen und starten sie auf saftig-grünen Grasteppichen, die mich mit all den Vogelfamilien an überfüllte Picknickwiesen an einem Sommersonntag zuhause erinnern. Der Luftraum scheint völlig überlastet, Zusammenstöße sind trotzdem selten, und wenn, dann verlaufen sie harmlos. Nur wenige armselige Bäumchen säumen den Strand – ihre mageren Äste tief gebeugt von der schweren Last der Vögel, die sich auf ihnen drängeln. Auch eine Handvoll Kokospalmen wächst auf der bananenförmigen Miniinsel. Mit all dem Federvieh in ihren Kronen sehen sie aus wie riesige Staubwedel.

Wir schlendern am Strand entlang zu den Ruinen, die wir als erste Landmarken von See aus hatten ausmachen können. Im Sand finde ich viele leere kleine Panzer gerade geschlüpfter Seeschildkröten. Bevor sie das rettende Wasser erreichten sind sie schon hungrigen Vögeln und Krebsen zum Opfer gefallen. Wir kommen zu einem windschiefen, verrosteten Stahlbetongerüst eines ehemaligen Leuchtturmes. Es steht dicht am Ufer und wird von Hunderten faustgroßer roter Krebse belagert, die alle an seinen feuchten Wänden Schutz vor der heißen Mittagssonne suchen. Auf den Mauerresten des eingestürzten Leuchtturmwärterhauses reihen sich schwarzweiße Vogelleiber dicht an dicht wie Wehrsoldaten auf den Zinnen einer Burg. Daneben eine zementierte Wanne, so groß wie ein kleiner Swimmingpool, in der auf der süßwasserlosen Insel einst das Regenwasser gesammelt wurde. Jetzt ist die Zisterne geborsten und zum Strand hin abgerutscht.

In Brasilien erzählt man uns später die traurige Geschichte der letzten in den Vierziger Jahren hier lebenden Leuchtturmwärterfamilie. Zu dieser Zeit wurde das Atoll zweimal jährlich von einem Versorgungschiff angelaufen, das u.a. einen großen Tank mit Süßwasser füllte. Als der Versorger aber eines Tages (nach der üblichen Zeit) wieder anlandete, fand er die kleine Familie verdurstet vor. Die Tragödie konnte man sich nur so erklären; das Kind des Leuchtturm-wärterpaares hatte wohl den Hahn des Tanks geöffnet und das kostbare Naß floss ins Meer, ehe die Eltern es bemerkten.

Landeinwärts reckt sich ein schlankes Stahlgerüst neueren Datums gen Himmel, an dessen Spitze eine solarzellengespeiste, computergesteuerte Lampe pünktlich um 18 Uhr – wie wir später feststellen – ihr Licht in die Ferne sendet. Sicher wird sie vielen Schiffen ein Schicksal wie das der zahllosen, vorher schon auf dem Riff gestrandeten, ersparen helfen.

Bei Niedrigwasser untersuchen wir die Reste einer Ferrozementyacht, deren Rumpfboden samt Kiel und Ruder noch leidlich erhalten ist. Unweit davon einen rostigen muschelverkrusteten Yachtmotor. Zerstörung durch Naturgewalten inmitten eines Naturidylls. Ein paar Seeschwalben hocken auf den Trümmern eines Seglertraums.

Auch wir picknicken am Nachmittag auf den „Vogel-Picknickwiesen“. Im spärlichen Schatten der Palmen am Strand genießen wir statt Kaffee und Kuchen die fast noch klare Flüssigkeit grüner Kokosnüsse, schauen den Vögeln beim Fischen zu und dem blaugrünen Meer, wie es langsam über das Riff klettert und es mit tosender Brandung in Besitz nimmt. Noch immer flimmert die Luft vor Hitze und die untergehende Sonne brät am Himmel wie ein riesiges Spiegelei. Erst als das Meer die Sonne endgültig verschluckt hat, reissen auch wir uns los von diesen verwunschenen Inseln, auf denen außer dem Leuchtfeuer, dessen rhythmischer Strahl unsere Freydis jetzt jeweils für kurze Augenblicke der Dämmerung entreißt, nichts an die hektische, übervölkerte und übertechnisierte Welt um sie herum erinnert. Der helle sandige Grund weist uns wie ein Leuchtstreifen gespenstisch den Weg durchs Riff zurück zu unserem Schiff.

Die ganze Nacht fliegen die Vögel zwischen See und Inseln geschäftig hin und her. Ab und zu wache ich auf und höre die hohen Fistelstimmen der Seeschwalben: Frederick, Frederick rufen.

Am morgen läßt sich wieder der vorwitzige Tölpel mit einem hellen und einem dunklen Auge, der uns schon am Vortage besuchte, auf unserem schaukelnden Bugkorb nieder. Stundenlang klammert er sich dort mit seinen Schwimmfüßen fest. Mit seinem langen spitzen Schnabel wehrt er nicht nur die Konkurrenz ab, sondern er untersucht damit auch unsere Buglampe samt den Kabeln. Erich sieht’s mit gemischten Gefühlen. „Muß ausgerechnet so ein Tölpel Galionsfigur auf der Freydis spielen, warum nicht ein edler Paradiesvogel?“

Nach einem weiteren geruhsamen Vogelinseltag ist am dritten Morgen Schnorcheln angesagt. Erich will sich vergewissern, daß Anker und Kette nicht in Korallen haken, mich treibt die Neugier auf die Unterwasserwelt zur Aussenkante des Riffs. Kaum am Heck mit dem Kopf untergetaucht, huschen schon Schwärme fingerlanger, buntschillernder Fischchen wie kleine Kolibris vor meiner Brille hin und her, manche bleiben auch Auge in Auge mit mir richtig davor stehen. Ein Stockwerk tiefer ziehen Schulen armlanger, blaugrauer Fische wohlformiert ihres Weges. Vor mir, langsam ansteigend, das Korallenriff. Plötzlich taucht ein grosser dunkler Schatten am Grund auf. Etwa zwei Meter lang mit typischer Silhouette und starren grauen Augen. Unverkennbar, ein Hai! Wie ein Blitz durchzuckt es mich. Er schwimmt jetzt geradewegs auf Erich zu, der vorn am Bug den Unterwasserbewuchs kontrolliert und ihn offenbar nicht bemerkt. In wilder Panik klettere ich an Bord und haste nach vorn. „Ein Hai, Erich, ein Hai unter Dir!“ schreie ich. Erich, gerade aufgetaucht, hört mich. Ein kurzer Blick ins Wasser, dann ein Kraulsprint zur Badeleiter und ein Hechtsprung über die Reling. Wasserspuckend und außer Atem sitzt er an Deck als die sichelförmige Rückenflosse wie ein Messer an der Badeleiter vorbei durchs Wasser schneidet.

Am Abend nehmen wir Abschied von diesen korallenbewehrten, haifischbewachten „Dornröschen-Inseln“, die uns einen jener Naturerlebnisse schenkten, wie sie, außer in wenigen Reservaten, dem Menschen schon fast überall längst verloren gegangen sind. Wie kleine Nachtgespenster begleiten uns die Seevögel von Das Rocas noch lange auf unserem Weg nach Westen in Richtung brasilianische Küste.

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Episode 5: Fernando Noronha – der Finger Gottes

Dienstag, 22.12.2015, La Palma

Die Insel war so isoliert, daß sie eigene Arten von Pflanzen und Tieren entwickelte, sie war auch so fern, daß ein eigener Menschenschlag sich fand.

(Joseph Conrad)

Ein übellauniger Geselle kann er sein, der Passat, das ist für Seeleute keine neue Erkenntnis, aber diesmal hat er es bei seinen übermütigen Katz und Maus-Spielchen (wir als Maus) wirklich etwas zu weit getrieben. Nie ließ er die Freydis zur Ruhe kommen, fauchte sie ständig grimmig von allen Seiten an, wirbelte ruppige Seen auf und machte zudem noch gemeinsame Sache mit dem Südäquatorialstrom, der unser gutmütiges Schifflein immer stärker WNW-lich und weg von unserer Zielgeraden versetzte. Aber nun, da dieser Quertreiber seine Kraft verliert, können wir einen günstigeren Kurs laufen, dem Passat endlich den Rücken kehren.

Das Segeln wird wieder segelnswert! Ruhig gleitet die Freydis jetzt über die zwar hohen, aber weichen und langgezogenen Wellen der atlantischen Südäquatorialzone. Dankbar für diese angenehme Erleichterung liegen wir auf den mit Schaumstoff-Matten gepolsterten Bänken im Cockpit und genießen entspannt den verträumten Abendhimmel. Wir sind müde von den zuletzt durchgestandenen Tagen auf See. Segeln ist eben kein Müßiggang, nicht einmal das Passatsegeln auf der „Barfußroute“. Ständig erfordert es Einsatz, wenn auch mit unterschiedlicher Intensität. Den Elementen ist es schnurzegal, ob wir fit, erschöpft oder seekrank sind. Regelmäßig müssen Segel, Rigg, Maschine, Batterien, Sicherheitseinrichtungen etc., etc. kontrolliert, jede Veränderung des Windes, der Strömung, des Seegangs, des Himmels, der Bordgeräusche muß wahrgenommen und auf eine mögliche Gefährdung des Schiffes überprüft werden, um gegebenenfalls blitzschnell handeln zu können. Es gehört zur guten Seemannschaft, daß alle „normalen“ Instandhaltungsarbeiten auf See erledigt werden. Die meist kurzen Landaufenthalte sind uns für Lappalien-Reparaturen auch viel zu schade, da wir zudem erfahrungsgemäß wissen, daß meist doch noch genug Reparaturbedürftiges übrig bleibt, das nur im Hafen oder am Liegeplatz in Ordnung gebracht werden kann, was dann zwangsläufig die Mußezeit an Land verkürzt.

Der wunderbar klare Himmel über uns glitzert voller funkelnder Punkte. Einer davon jagt wie ein himmlischer Eilkurier zwischen den anderen hindurch. „Kann nur ein Satellit sein“, kommentiert Erich, und ich – völlig unsentimental – „vielleicht kann das GPS ja damit endlich wieder mal einen Ort berechnen“. Und wer sagt’s denn, kurz darauf haben wir tatsächlich unseren Standort – halt per Eilboten.

Am frühen Morgen schleicht sich von hinten ein Damferungetüm an. Als es bloß noch eine Meile entfernt ist, starten wir – für alle Fälle – die Maschine, man weiß ja nie, wer auf einer Brücke gerade Ausguck hält oder nicht hält, vielleicht das Radar ganz alleine? Aber nein, wir werden über UKW gerufen. Der anonyme Großfrachter entpuppt sich als Russe mit Stückgut von Italien nach Rio do Sul in Brasilien. Der Funker möchte wissen, woher wir kommen und welches Ziel wir haben.
Von Cuxhaven in Deutschland, antwortet Erich, und wir seien auf dem Weg in die Antarktis. Der Russe fragt noch einmal nach: „Where are you going?“ Vielleicht glaubt er, wir wollten ihn auf den Arm nehmen oder er hätte sich verhört. „Erst einmal nach Fernando Noronha“, erklärt ihm Erich, der Funker ist’s zufrieden. Viel Glück und gute Fahrt wünscht er uns, und als das Riesenschiff keine 50 Meter von unserer Nußschale entfernt vorbei brummt, winken uns einige Besatzungsmitglieder freundlich zu. Wir freuen uns, winken zurück. Auch heute noch, wo viele Yachten und Schiffe den Atlantik queren, ist der rasch vergängliche Augenblick, in dem sich zwei Schiffe inmitten des weiten Ozeans freundlich begegnen, etwas Besonderes, Erfreuliches, jedenfalls für uns – ein Hauch von der alten Freiheit der Meere.

Und noch etwas Erfreuliches. Endlich Delphine um unser Schiff!

Sie haben uns also doch noch gefunden. Wie lange habe ich schon auf diese freundlichen Meeresbewohner gewartet, nun sind sie da, umkreisen uns wie gute alte Bekannte. Eine ganze Weile begleiten sie uns, etwa ein Dutzend größere und kleinere Tiere. Eine Familie, eine Schule? Einer der Größeren ist verletzt; wenn er auftaucht oder springt, sehen wir eine klaffende Wunde an seinem Maul. Wir fragen uns, woher sie wohl rührt. Von einem Hai, einer Schiffsschraube, einem Netz? Der Delphin kann es uns nicht sagen, er schwimmt tapfer weiter in seiner Gruppe mit.

Der Himmel hat sich bezogen, es nieselt. Mitte Juli bekommen wir gerade noch das Ende der Regenzeit mit, der letzte Rest an Feuchtigkeit wird noch über uns ausgewrungen. Danach wird es trocken und viel heißer werden und auf den Inseln wird die große Dürre einsetzen, bis zur nächsten Regenzeit.

Kräftige Böen pusten ins Schmetterlingssegel und lassen unser Schiffchen ganz schön temperamentvoll durch die Seen geigen. Unentwegt surrt die elektronische Selbststeueranlage und signalisiert ihren hohen Einsatz beim Kurshalten – aber keiner von uns will ihr das schwere Joch des Rudergehens abnehmen. Warum auch, dazu ist sie ja schließlich da. Hoffentlich hält sie durch.

Am späten Nachmittag kommen voraus zwei Leuchtfeuer in Sicht. Eines steht auf Fernando Noronha selbst, das andere auf einem Felsen nordöstlich der Insel. Schon einmal, auf unserer ersten Atlantiküberquerung mit der Freydis vor zehn Jahren, haben uns die beiden Lichter sicher zu dem 600 sm von der brasilianischen Küste entfernten Eiland geleitet, auf dem wir unvergesslich schöne Tage verbrachten. Wie mag es uns jetzt empfangen? Ist es noch immer das unverdorbene Naturparadies geblieben, das wir kennengelernt haben, oder hat auch hier schon der Sündenfall stattgefunden?

Nur noch drei Meilen bis zum Ziel. Das Geschrei und Gezwitscher unserer unsichtbaren Begleiter in der Luft dringt immer lauter durch die rabenschwarze Neumondnacht. Wir beratschlagen, ob wir nicht lieber den Morgen auf See abwarten sollten, um bei Helligkeit die Ankerbucht anzulaufen. Jede Menge Felsen und blinde Klippen lauern um die Insel herum und sogar drinnen in der Bucht. Bei Dunkelheit können sie einen in böse Schwierigkeiten bringen. Andererseits sind wir von der Aussicht, eine lange Nacht vor dem geschützten Ankerplatz beigedreht zu liegen oder hin und her kreuzen und Wache gehen zu müssen, gar nicht begeistert. Wir entscheiden uns schnell: Wir kennen die Bucht ja schon und verfügen zudem diesmal über Radar und GPS. Wir beschließen also, mit aller Vorsicht einzulaufen.

Während Erich am Ruder die vorgelagerten Felsen und Klippen mit dem Handscheinwerfer sucht und anleuchtet, verfolge ich unten in der Navigation mit Hilfe von Radar und GPS den Kurs auf der Karte. Die Zusammenarbeit klappt hervorragend. Problemlos finden wir den Weg in die nach Süden weit geöffnete Bucht und laufen auf ein Licht am Ufer zu, das wir als das Arbeitslicht der kleinen Fischereigenossenschaft wiedererkennen. Auf fünf Meter Wassertiefe fällt der Anker. Als wir sicher sind, daß er gegriffen hat, setzen wir uns noch ein Weilchen ganz und gar zufrieden ins Cockpit. Wir hören den Vögeln zu und der See, die am nahen Ufer die kleinen Steine im Rhythmus der Wellen unermüdlich hin und her rollt und freuen uns auf den nächsten Tag an Land.

Fernando de Noronha: Das alte Fort mit dem Pico

Ein geradezu paradiesischer Morgen…

…lädt uns in den neuen Tag ein. Kein knatternder Außenborder, kein Hafenlärm, unsere Sinne nehmen nur sanfte Meeres- und Vogelstimmen auf. Ein Tagesanbruch wie auf einer menschenleeren Insel. Beim Frühstück bemerken wir allerdings, daß in der Bucht doch nicht mehr alles Natur pur ist. Seit unserem letzten Besuch hat sich doch einiges verändert. Da ist eine stramme Steinpier reingemauert worden, die ein Hafenbecken abtrennt, das den kleinen Fischerbooten Schutz vor nördlichen Winden bietet, vor denen sie früher zur gegenüberliegenden Seite der Insel flüchten mußten.

Und dann – unverkennbar – Touristen! Entsetzt sehen wir uns an, als hätten wir die Schlange im Paradies entdeckt. Den Gedanken, daß wir wohl selbst auch ein Teil dieser „Schlange“ sind, verdrängen wir dabei großzügig. Stattdessen beobachten wir mit dem verärgerten Argwohn solcher Zeitgenossen, die glauben, ältere Rechte zu haben, die fremden und doch so üblich-wohlvertrauten bunten Feriengestalten, die sich, auf den Steinen der Mole herumkraxelnd, bemühen, das alte Franzosenfort und dazu den Berg „Pico“, das Wahrzeichen der Insel, mit Fotoapparaten und Videokameras einzufangen.

Ganz in unserer Nähe schwoit eine schnittige Yacht, die einmal bessere Tage gesehen haben muß. Viele Rosttränen haben schmutzigbraune Spuren auf ihrem weißen Kleid hinterlassen. Sie wirkt nicht nur verlassen und heruntergekommen, sie ist es auch. Ihre Geschichte gehört auch nicht gerade in unser Paradies. Der Hafenmeister erzählt uns später, daß sie vor ein paar Jahren als Kokainschmuggel-Werkzeug an der brasilianischen Küste beschlagnahmt und anschließend als brasilianisches Staatseigentum nach Fernando Noronha gebracht worden war. Seitdem rostet sie hier vor sich hin und wird’s wahrscheinlich auch weiter tun. Niemand fühlt sich für sie zuständig, deshalb kann sie auch nicht verkauft werden. Schade drum.

An Land spüren wir den Plätzen nach, die wir vom letzten mal noch in Erinnerung haben. Wir wandern über die Insel zum alten Fort, besuchen das einzige, 1500 Einwohner zählende Dorf Vila dos Remeclios, und die wunderschönen kleinen Buchten, von denen die meisten auch heute noch menschenleer sind. Mit ihren blütengespickten Säumen aus sattgrünem tropischen Regenwald-Dschungel, ihrem türkisfarbenen, glasklaren Wasser, das Tausende von Meilen kein Land berührt, bevor es der Südäquatorialstrom hier an die Ufer dieser Insel spült, kommen sie uns noch immer vor wie ungeschliffenen Juwelen aus der verborgenen Schatztruhe unserer Natur.

Eine Krabbe im glasklaren Wasser

Im Dorf Vila dos Remedios

Während wir in einer dieser Wonnebuchten baden und es uns richtig gut gehen lassen, frage ich Erich scherzhaft, ob wir nicht vielleicht doch lieber hier überwintern sollten, statt ausgerechnet in der Antarktis. „Was willst du eigentlich“, antwortet er mit gespielter Entrüstung, „auf der Vulkaninsel, wo wir hinwollen ist das Wasser doch genauso sauber und sogar viel wärmer als hier und dort kannst du auch deine Sachen unbeaufsichtigt am Strand liegenlassen. Pinguine und Robben sind bekannt für ihre Ehrlichkeit. Außerdem kommt dort bestimmt keiner auf die Idee uns 27 $ Liegegeld pro Tag abzuknöpfen“.

Dagegen läßt sich kaum was sagen!

Die teuren Hafengebühren werden sich unter den Seglern schnell herumsprechen. Wahrscheinlich werden in Zukunft nur noch wenige, zahlungskräftige Yachten die Insel für mehr als ein paar Tage aufsuchen. Und genau das will man auf Fernando Noronha ja erreichen: Qualität statt Quantität. Besonders seit große Teile des dem brasilianischen Festland vorgelagerten Archipels – einschliesslich Fernando Noronha – 1988 zum Nationalpark erklärt wurden, kommen auch immer mehr Touristen und bringen Geld in die Kasse. Ein unkontrollierter Touristenboom allerdings, der keine Rücksicht auf die Natur nimmt, hätte binnen kurzem die Zerstörung der Ursprünglichkeit der Insel zur Folge, deretwegen die Gäste ja gerade kommen. Das wollen sowohl die Naturschützer wie auch die „Kassierer“ verhindern. Noch ist der Tourismus „handlich“ – hohe Preise und geringe Bettenkapazität halten die Gästezahl niedrig. Pauschalreisen von Recife aus lassen sich nur für eine Woche buchen, Anreisen auf eigne Faust sind bisher noch nicht möglich, wenn man nicht gerade mit der eigenen Yacht daherkommt. Bisher gibt es nur ein einziges Hotel auf der Insel. Ein zweites, größeres ist allerdings geplant. Man kann nur hoffen, daß es nicht zu groß gerät, nicht weitere folgen, daß die Natur nicht auch hier vor der Profitgier kapitulieren muß.

Wir staunen nicht schlecht: das alte Hotel, das wir kannten, hat sich herausgeputzt, ist voller Leben. Bei unserem letzten Besuch hatten wir die Wellblechhütten, die damals gar nicht als Hotel zu erkennen waren, in einem desolaten Zustand vorgefunden. Die Hütten waren in den Sechziger Jahren von den „Gringos“ während ihrer Satellitenbeobachtungen bewohnt worden, später in die Hände der brasilianischen Regierung übergegangen, die sie zum Hotel umfunktionierte. Notorischer Gästemangel und Versorgungsprobleme hatten aber bald wieder zu seiner Schließung geführt. An Gästen mangelt’s nun nicht mehr, es ist angebaut worden und alles ist belegt. Auch das Versorgungsproblem scheint gelöst. Diesen Eindruck bekommen wir jedenfalls beim Abendessen in der Hotelkantine. Unser Hunger auf Frischfleisch, Grünzeug und Obst wird auf’s Beste und dazu noch recht preiswert gestillt.

Während eines solchen Essens lernen wir auch den jungen Ozeanografen José Martin kennen, der hier als Naturschutzbeauftragter arbeitet. Natürlich besuchen wir seine Film- und Diavorträge, mit denen er versucht, den Touristen und Einheimischen mehr Wissen und damit Verständnis für die so einzigartige Natur der Insel zu vermitteln.

Wie die Felsen von St. Peter und Paul ist auch Fernando Noronha nur die Spitze eines gigantischen submarinen, erloschenen Vulkans. Im Gegensatz zu den festlandsnahen Inseln hatte sie aber niemals Verbindung mit dem Kontinent. Die Insel war so isoliert, daß sich ähnlich wie auf den Galapagos im Pazifik und auf Aldabra im Indic, endemische Arten von Tieren und Pflanzen entwickelten, also Flora- und Fauna-Arten, wie sie nirgendwo sonst auf der Erde zu finden sind. Zum Beispiel eine spezifische Tölpel-Art und Landkrabben, die eine beachtliche Größe (bis 20 cm Durchmesser) erreichen können. Wir können sie häufig auf unseren Abendspaziergängen beobachten, wenn sie gemeinsam mit uns über die Insel Richtung Strand marschieren. Angesichts solcher „Zehen-Amputierer“ bewege ich mich durch Wiesen und Gestrüpp nur noch wie ein Storch im Salat. Zum Ausgleich gibt’s hier aber keine Schlangen, ja überhaupt nichts Giftiges, auch keine Insekten – von Moskitos wird niemand geplagt. Unter den Pflanzen ist eine Fichtenart inselspezifisch. Zum Glück wurde sie 1832 nicht ausgerottet, als sämtliche Bäume auf der Insel gefällt wurden, um zu verhindern, daß hierher verbannte Gefangene die Insel mit Hilfe von Flößen verließen.

Die Delphine

José Martin arbeitet auch an einem Projekt zur Erforschung der Delphine. Diese Tiere leben zwar in allen Ozeanen, aber nur an zwei Orten, auf Fernando Noronha und in der Kealakekuabucht der Hawaii-Insel Big Island kann man sie in größerer Zahl das ganze Jahr über beobachten. José und seine Freunde holen uns eines Morgens mit dem Landrover ab und nehmen uns mit zur Bahia Leon, der Delphinbucht. Der Delphin-Beobachtungsposten liegt am Rand eines 150 Meter hohen, halbkreisförmigen Felsenkliffs, das eine große, nahezu strandlose Bucht umgibt. Von hier oben haben wir einen herrlichen Blick auf das klare grüne, sich zum Ausgang der Bucht immer tiefer blau verfärbende Wasser bis weit hinaus auf’s offenen Meer. So leicht kann uns nichts entgehen, was sich da unten bewegt. Wir entdecken Schildkröten, die dicht unter der Wasseroberfläche auf gelblichen Korallenköpfen weiden und immer mehr Delphine, die eine wahre Akrobatikshow abziehen. Paarweise oder in kleinen Gruppen ziehen sie durch die Bucht, dabei immer wieder mehrere Luftsprünge hintereinander vollführend, in die sie auch noch Doppel- und Dreifachaxel einbauen, geradeso, als müßten sie bei einer Kür den höchsten Schwierigkeitsgrad erreichen. Ihre kunstvollen Sprünge haben ihnen den Namen „Gofinos rotatores“ (rotierende Delphine) eingebracht.

„Die Bucht ist der Ort, wo sich die Delphine paaren, ihre Jungen gebären und aufziehen, und wo sie Ruhe finden, wenn sie bei Sonnenaufgang von See zurückkehren, wo sie in der Nacht fischen“, erklärt uns José. Früher seien die Tiere häufig durch Fischer, Taucher und Tierbeobachter gestört worden. Sie hätten sich immer seltener hier aufgehalten. Erst als die Bucht vor zwei Jahren für alle Schiffe gesperrt worden sei, habe ihre Zahl wieder zugenommen. 80 zählt José an diesem Morgen, darunter auch Jungtiere.

Zehn Monate dauert die Tragzeit, erfahren wir, und bei Geburt sind die Jungen ca. 80 cm lang. Erwachsene Tiere erreichen durchschnittlich 1.90 m und 90 kg – Größe und Gewicht eines kräftigen Menschen also. Kaum zu glauben, wenn man ihrem Pirouettentanz auf dem Wasser zuschaut, der so federleicht, anmutig und spielerisch erscheint Was sie zu dieser Leistung treibt, kann uns José auch nicht sagen. Schiere Freude am Leben vielleicht? Man möchte es fast glauben, denn ein bißchen davon überträgt sich beim Anblick auf uns selbst.

Tauchen und Schnorcheln

Zum Tourismus gehört heutzutage natürlich auch eine Tauchschule. Kein Wunder, die Bedingungen für diesen Sport sind hervorragend. Daß dabei allerdings auch Erfahrene nicht vor Überraschungen sicher sein können, das demonstriert unfreiwillig ein Tauchlehrer seinen Schülern, während wir in der Nähe schnorcheln. Eine armdicke „zahme“ Muräne, der er liebevoll seine Hand entgegenstreckt, mißversteht diese freundliche Geste und beißt böse zu. Ein kleines Gefahrenspielchen ist wohl auch der vertraute Umgang mit den „gar nicht angriffslustigen“, bis zu zwei Meter langen Haien. Das jedenfalls berichten Taucher, die Haie dort in Notwehr harpunieren mußten. Wir schnorcheln am liebsten in den schwimmbeckenartigen Vertiefungen des Außenriffs, zu Fuß keine zehn Minuten von unserer Ankerbucht entfernt. Dort gibt es keine Haie und das Wasser ist bei Ebbe so durchsichtig wie in einem Aquarium. In Ruhe läßt sich fast die gesamte Unterwasserflora und -fauna der Insel bewundern.

Aber nun zu unseren seglerischen Pflichten

Die kleine Hotelwerkstatt, die Tauchgeräte ebenso repariert wie alte Autos, schweißt auch unser gerissenes Auspuffrohr wieder zusammen. Die Dichtungsmasse, mit der wir auf See den Riß provisorisch zugespachtelt hatten, war bereits am Platzen. Einen ganzen Tag sind wir mit Schleppen, Schweißenlassen und dem Aus- und Einbau des schweren Rohres beschäftigt. Aber die beruhigende Gewißheit, unter Motor nicht mehr Gefahr zu laufen, mit Abgasen vergiftet zu werden, ist dies Opfer allemal wert. Danach kommt die Haut der Freydis dran: das Unterwasserschiff muß unbedingt vom Bewuchs gereinigt, der ganze Rumpf frisch gestrichen werden.

Trockenfallen am Strand: das Unterwasserschiff benötigt einen neuen Anstrich.

Am Vormittag lassen wir uns deshalb am Strand der Ankerbucht trocken fallen. Bei den zuschauenden Fischern sorgt unser aufholbarer Drehkiel für „heiße“ Diskussionen in der prallen Sonne. Zwei Tiden nützen wir aus, um bei Niedrigwasser zu kratzen, zu schrubben und zu pinseln, dann ist die Freydis wieder feuerrot – wir auch – trotz Sonnenschutzcreme. Aber nun „dürfen“ wir innen werkeln. Alle Bilgen müssen gelenzt werden. Die achtere Toilette hat ein Leck, das wir jetzt erst entdecken und abdichten. Die Bilge ist eine Jauchegrube, eine Riesenschweinerei! Nach dem Pumpen müssen wir den letzten Rest sogar mit Schwämmen und Bürsten rausholen. „Jetzt weiß ich wenigstens wozu man Kielschweine braucht“, motze ich, während wir im stinkenden Sumpf wühlen. „Arbeit adelt“, verkündet Erich trocken.

Die Insel wollen wir auf keinen Fall verlassen, ohne den 323 Meter hohen, turmartigen „Pico” bestiegen zu haben, dessen Gipfel eines der beiden Leuchtfeuer trägt, die uns den Weg zur Insel wiesen. Zu Zeiten Amerigo Vespuccis, der das Atoll auf seiner dritten Reise nach Brasilien 1503 als Erster besucht haben soll, diente der Pico zwar noch nicht als überdimensionaler Leuchtturm, aber es ist trotzdem anzunehmen, daß er es war, der dem Schiff die Insel verriet. Wer könnte diesen abgeknabberten Lavapfeiler auch übersehen, der so auffällig und kerzengerade in den Himmel ragt und deshalb auch „Finger Gottes“ heißt? Vor vielen Millionen Jahren erhob sich hier ein hoher Aschenkegel aus dem Meer, der gelegentlich auch Lava spuckte. Als seine vulkanische Tätigkeit erlosch, verwitterte der Berg. Wind und Wellen trugen Asche und dünne Lavaströme mit sich fort. Nur der massive Lavasockel und der riesige Lavapfropf, der den Vulkanschlot ausfüllte, blieben übrig.

Die Insel und der Pico waren geboren.

Besteigung des Pico…

Auch Darwin erwähnt den Berg in seinem Tagebuch 1831 bis 36. Weil er das Archipel zur Trockenzeit anlief, beschrieb er dessen Vegetationsmantel als äußerst spärlich. Wir dagegen stapfen durch üppig wucherndes Grün bis zu seinem Fuß. Dann allerdings stehen wir vor einer fast nackten Felswand.

Gipfelbesteigung

Es ist früh am Morgen und wir haben noch eine Stunde Zeit, bis die Sonne den Berg wieder wie einen riesigen Schamottstein aufheizt. Bis dahin wollen wir den Gipfel der Lavasäule erklommen haben. Daß man das überhaupt kann ohne ein verwegener Freeclimber zu sein, verdanken wir wieder einmal der amerikanischen Armee, die in den vierziger Jahren die Insel als Federal Territory verwaltete und eine schmale eiserne Himmelsleiter, die auch überhängende Felswände überbrückt, bis zum Gipfel baute. Manche Abschnitte sehen allerdings nicht mehr allzu vertrauenserweckend aus. Einzementierte Verankerungen haben sich gelöst, Stufen und Stangen sind verbogen oder durchgerostet. Erich hat Bedenken sich und sein Gewicht da dranzuhängen. Ich werde als Testperson vorweggeschickt. „Wenn sie hält, sagt das doch noch gar nichts, schließlich bist du doppelt so schwer wie ich“, gebe ich zu bedenken.

…auf rostigen Eisenleitern…

„Gut, aber wenn sie nicht hält, sagt das schon eine Menge“, grinst Erich. Tapfer hangeln wir uns immer höher, vermeiden dabei nach unten zu schauen, wir sind beide nicht schwindelfrei. Muß der Blick aber doch mal sein, überkommt uns schlagartig ein mächtiges Gefühl des Hinabstürzens. Also immer schön nach oben gucken, Angst verdrängen und gut festhalten. Nach einer Stunde haben wir den Gipfel des Berges und auch unseres Berg-Schwindels erreicht. Ach hätte ich doch bloß meinen Lifebelt mitgenommen, dann könnte ich mich wenigstens irgendwo festbinden! Vom Festkrallen schmerzen mir schon die Finger. Und ein ganz schön steifer Passatwind weht hier oben auch.

Tölpel, Fregatten, Seeschwalben und Tropikvögel segeln dicht an uns vorbei. In der Sonne leuchten ihre Flügel grellweiß vor der schwarzen Lavawand. Geschickt nutzen sie die Auf- und Abwinde am Berg, lassen sich hochreißen und in die Tiefe stürzen. Einige sitzen mit ihrer Brut auf winzigen Vorsprüngen senkrechter Wände. Haben die Nerven! Ich kann gar nicht hinschauen. Wir kauern uns ganz oben neben das Leuchtfeuer, blicken aus der Vogelperspektive über die sonnige Insel, die Felsenkegel im Meer, die Strände und Buchten.

…bis auf die Spitze mit herrlichem Rundblick…

In ihrer Ankerbucht schwoit eine winzige Freydis. Die Luft läßt sich genüßlich einsaugen, die Fernsicht läßt sich nicht beschreiben.

Aber wir Banausen erleben das alles nur unter Vorbehalt: Die Vorstellung, auch wieder hinunter zu müssen, vermiest uns unseren Gipfelsieg. Wie heißt es so schön: „Schuster bleib bei deinen Leisten“ – wir sind eben Segler, keine Alpinisten!

Viel Platz ist nicht neben dem Leuchtfeuer in luftiger Höhe

Nicht die Touristen – die Einheimischen

Zur Identität einer bewohnten Insel gehören natürlich insbesondere ihre Menschen. Nicht die Touristen, die Einheimischen, die auf der Insel geboren und aufgewachsen sind. Uns scheinen sie von einem besonders glücklichen Schlag zu sein. Wir können jedenfalls nur Positives von ihnen berichten, weil wir in der kurzen Zeit, die wir bei ihnen waren, eben nur Positives erfahren haben: freundliches Lachen, Anteilnahme, Interesse ohne üble Neugier, Hilfsbereitschaft auch ohne Bezahlung und unaufgefordert. Wer es auch war, der Hafenmeister, sein Mitarbeiter, der Besitzer des Dorfminiladens, der Fahrer des Wagens, der uns ein Stück Weg mitnahm, Kinder, Bauern, Fischer mit denen wir ins Gespräch kamen, ob schwarz, braun, hellhäutig, alt oder jung, alle schienen sie zufrieden, ohne Stress und vor allem ohne Neid auf vermeintlich Wohlhabendere.

Diese Menschen, die von zehn Jahren noch ausschließlich von der Fischerei und ein wenig Obst- und Gemüseanbau lebten, profitieren natürlich nun auch vom neuen Inseltourismus. Bisher haben sie sich aber dabei ihre Aufgeschlossenheit und Unvoreingenommenheit gegen Fremde bewahrt. Als ich Erich frage, was ihm am allerbesten auf der Insel gefallen hat, antwortet er deshalb auch ohne Zögern „Die Menschen – kein einziger blöder Typ dabei“. Es gibt noch Paradiese!

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